Neulich bei Vollmond

Sandra war wieder einmal genervt. Mama und Papa waren in der Küche und schrieen sich an. Mama ist viel in der Arbeit, kommt oft gereizt heim. „Stress in der Arbeit“ nennt sie das immer. Papa kommt meistens später heim als Mama. An manchen Tagen sieht sie ihn abends gar nicht, da sie schon im Bett ist wenn er heimkommt. „Stress in der Arbeit“ nennt er das.
Auch heute sah sie ihn nicht. Dass er daheim war, merkte sie erst als sie aufwachte, weil Papa und Mama sich stritten. Sie verstand nicht warum sie sich so oft stritten, aber es machte ihr Angst.

Der Mond leuchtete in ihr Zimmer, zog sie magisch an. Mama schrie Papa an, ein Gegenstand flog gegen die Wand. Sandra hatte endgültig genug davon. Im hellen Mondschein konnte sie ihre Strickjacke finden und ihre Schuhe anziehen, ohne das verräterische Licht anknipsen zu müssen. Leise, ganz leise und langsam, öffnete sie ihr Fenster und kletterte aufs Dach. Nun konnte sie keiner mehr aufhalten. Der Abstieg vom Dach war ihr ein Leichtes, denn sie ist ja schon ein großes Mädchen. Schließlich war sie schon acht und würde nächstes Jahr zur Kommunion gehen.
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Lebenswege

Immer wieder träume ich denselben Traum. Er kommt zu mir und geht, doch jedes Mal träume ich ein kleines bisschen weiter. Bin ich auf der Suche oder ist es mein Unterbewusstsein, was mir die Bilder vorgaukelt? Dinge, die lang vergessen in meinem Kopf ruhen?

Es scheint ein Puzzle zu sein und schon seit Jahren bin ich auf der Suche, alle Teile zu finden. Doch dann geschah das Unfassbare – ich erlebte ein Déjà-vus. Etwas aus meinem Traum wurde real.

Seither bin ich auf einem Weg zwischen Wirklichkeit und Phantasie, zwischen Traum und Hoffnung.
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Die Zugfahrt

Gleich ist es geschafft. Die letzten Treppen hoch dann habe ich die düstere Umgebung der Unterführung verlassen. Das Hinaustreten ins Licht ist keine Erleichterung. Der Bahnsteig ist überfüllt. Ein kalter Wind lässt mich frösteln. Ich suche mir meinen Weg durch herumstehende Taschen und Koffer und blende das laute Gerede der Wartenden aus. Eine Gruppe Jugendlicher, jeder mit einem Handy in der Hand, aus dem laute Musik dröhnt, lasse ich weit hinter mir. Eine blecherne Lautsprecherstimme kündigt den einfahrenden Zug an. Bitte zurücktreten! Der Mann vor mir nimmt die Durchsage wörtlich und steigt mir prompt auf den Fuß. Ich unterdrücke den Fluch, der mir auf der Zunge liegt und stelle fest, dass er sich nicht mal entschuldigt. Meine Schläfen fangen an zu pochen, ganz im Rhythmus mit dem Geräusch des ankommenden Zuges. Das Quietschen der Bremsen dringt tief in meinen Kopf.
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Heimreise

Andreas war nun schon zwei Wochen in Jakarta. Die Eindrücke in diesem fremdem, exotischem Land waren überwältigend. Die Menschen waren arm, aber freundlich. Gestern ging Andy durch ein paar verwinkelte Gassen in Mitten der Stadt. Überall kamen Kinder angerannt und wuselten um ihn herum. Sie sahen seine Fotokamera, welche um seinen Hals hing.
„ Hello Mister, take a photo, Mister!“, bettelten sie. Gerne posierten sie mit einem Puttyman mit breiten Lachen im Gesicht… Andreas wollte der Mutter, der Kinder ein paar Rupien geben, doch erschocken lief sie mit den Kindern davon, verschwunden im Gewirr, zwischen Unrat, freilaufenden Hühnern und Hunden. Ein alter Mann mit einem ausgewaschenen T-Shirt und zerfetzten Jeans beobachtete Andreas. „ Wissen sie, ein Mann ist nicht reich, wenn er viel Geld hat, sondern durch die Kinder, die er hat.“, sagte er. „ Gute Frauen nehmen kein Geld von Männern. Es sind nur die anderen…“, sprach er und ging weiter.
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Strandgespräch

„Sag es mir“, klang es plötzlich und völlig unerwartet in die Stille. Die Hand schützend vor die Augen gelegt drehte ich mich stöhnend zu ihm herum.
„Hmm?“, fragte ich noch ein wenig benommen, da er mich aus einem wohligen Wachschlaf gerissen hatte. In der Ferne rauschten die Wellen und ein paar Möwen schrien traurig. Er sass ein bisschen verkrümmt da und sah mich erwartungsvoll an, sagte aber nichts. Seufzend richtete ich mich auf.
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Der Fahrstuhl

„Halten Sie den Fahrstuhl auf! Bitte“, rief Paul Keel und legte einen Schritt zu. Aline Fahrenholz drückte genervt auf den „Tür schließen“-Knopf. Sie wollte endlich nach Hause. Wenn sie sich jetzt beeilte, konnte sie noch die Bahn erwischen. Sie ließ in Gedanken schon ihre Badewanne voll laufen. Paul drückte sich durch den Spalt der sich schließenden Türen. Er war keuchend hindurch geschlittert, fand sich aber einigermaßen gut in Form. Er wandte sich an die brünette junge Frau, die als einziger weiterer Fahrgast den Lift mit ihm teilte. Sie durchsuchte gerade ihre Handtasche und zog ein silberfarbenes Mobiltelefon hervor. Sie sah auf und traf auf Pauls Blick. Aline wurde einen kurzen Moment speiübel. Das war Paul, ihr gegenüber, sexy wie eh und je. Er war allein mit ihr und keine zwei Meter entfernt.
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Unterwegs zu meinem ich

Es wird bereits merklich kühl. Ich merke, dass schon sehr bald der Herbst kommt, die ersten Blätter färben sich auch schon und das Ufer wird langsam bunt. Ich setze mich auf meinen Lieblingsplatz und schaue hinaus auf den Fluss. Heute liegt er ganz still da, als würde er auch diesen wunderschönen Sonnenuntergang genießen. Dann höre ich sie wieder, die Enten und Gänse. Hoch über mir fliegen sie. Ich schließe die Augen.

Sanft streicht meine Hand über das goldene Korn, die Luft ist schön warm und erfüllt vom Gesang der Vögel. Ich liebe den Sommer. Langsam gehe ich durch das goldene Feld und atme tief die wunderschöne Luft ein. Es ging mir nie besser.
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Zwischendurch

Mir hat sie eigentlich noch nie gefallen: die Welt da draußen. Mit ihren vielen Leuten. Leute die reden Tag für Tag. Frönen ihren Eitelkeiten , liefern inhaltsloses Gewäsch Tag für Tag.Ich bin lieber zu Hause in meiner kleinen Welt. Bei meinen Büchern, meinem Fernseher, dem Computer. Da bin ich nämlich weit weg: höre und sehe die große Welt, ohne dass sie mir zur Last wird.

Ich habe Erfahrungen, war da draußen. Man muss rausgehen: Schulbildung über sich ergehen lassen, einen Beruf lernen.
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„Unterwegs“ – Der Netzkritzler Schreibwettbewerb 2010

„Des Menschen wahres Haus ist nicht das Haus, sondern der Weg, und das Leben selbst eine Reise, die zu Fuß zurückgelegt werden muss.“ (Bruce Chatwin)

Netzkritzler Schreibwettbewerb 2010
Thema: „Unterwegs“
Kategorie: Kurzgeschichten (unveröffentlicht)


ACHTUNG! Die Frist zur Einreichung von Wettbewerbsbeiträgen ist abgelaufen! Die Jury wird die Gewinner Anfang kommenden Jahres benachrichtigen und auch hier auf den Netzkritzler bekannt geben.

Wir sind täglich unterwegs:
– auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Freizeitaktivitäten.
– auf Reisen, nah oder fern, fort aus dem Alltag. Real oder in der Fantasie.
– auf dem Lebensweg, nicht immer gradlinig, aber doch unseren großen und kleinen Zielen entgegen.
Netzkritzler.de sucht Kurzgeschichten, die vom Unterwegssein erzählen. Die Möglichkeiten sind vielfältig, der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
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Wohin die Reise geht

Johannes verdrehte die Augen. „Du willst mich nicht verstehen, das ist für mich eine einmalige Gelegenheit, um hier raus zu kommen, um etwas von der Welt zu sehen: Glasgow“, genießerisch ließ er das Wort über die Zunge rollen.
Ich versuchte es noch einmal mit Vernunft und gesundem Menschenverstand. „Junge, die ganze Aktion verzögert dein Studium um mindestens ein Jahr, wenn nicht noch länger. Außerdem ist doch überhaupt nicht klar, wie du das alles finanzieren willst. Von uns kannst du nichts mehr erwarten, wir sind so was von blank …“
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