3000 Meter

Sie hatte lange trainiert. Dennoch spürte sie die Anspannung in jeder Faser ihres Körpers. Herzklopfen, die Atmung zu schnell. Unruhig ging sie auf und ab, wandte der Welt den Rücken zu, bis der Starter sie an die Linie rief. Das aufmunternde Händeklatschen ihres Trainers nahm sie nur unterschwellig wahr.

Konzentration. Der Starter hob den Arm. Sie wusste, was auf sie zukam, auch wenn sie es im Blick nach vorn nicht sehen konnte. Das erste Hindernis war erst hinter dem Stadionrund zu überwinden. Das erste von vielen weiteren. „Ready.“ Dann der Schuss. Sie rannte los. Schnell, schnell, Abstand gewinnen oder den Abstand nicht verlieren, wie auch immer, dranbleiben und doch mit den Kräften haushalten. „Teil dir deine Kraft ein“, hatte der Trainer sie instruiert, immer und immer wieder. Sie lief, suchte sich ihren Rhythmus durch die Kurve und kam gut auf das Hindernis zu. Ein Sprung und ja!, das gab Sicherheit. „Weiterlaufen, das Tempo ist gut“, machte sie sich Mut.

Das Feld der Läuferinnen war noch nah beisammen, sie mittendrin. Nicht vorpreschen, nicht hinterherhecheln, im Strom mitschwimmen, das war ihre Taktik. „Du schaffst das, du bist konditionell sehr gut vorbereitet und mental die Stärkste, die ich kenne“, hatte ihre Freundin gesagt. Sie würde hinter der Ziellinie im Publikum stehen, das hatte sie versprochen.

Das nächste Hindernis, ein weiteres, dann kam der Wassergraben. Sie setzte den Fuß auf die Hürde und stieß sich ab, lief weiter, ohne aus dem Rhythmus zu kommen. Der Jubel des Publikums, als das ganze Feld den Wassergraben überwunden hatte, drang zu ihr durch und spornte sie an.

Eine weitere Runde, die nächste und übernächste. Die Schritte wurden kürzer, das Atmen fiel ihr schwerer. Irgendwo im Innenraum stand ihr Trainer und klatschte jedes Mal aufmunternd in die Hände, wenn sie an ihm vorbeilief. „Hopp, hopp, hopp“, rief er. Er hatte sie vorbereitet, er war bei ihr, er glaubte an sie. Er selbst war diese Strecke oft genug gelaufen, er wusste, dass nun die schwierige Phase kam, das jede Hürde nicht mehr 76 Zentimeter maß, sondern berghoch wurde, dass jeder Sprung im Querbalken enden konnte und der Wassergraben ein Meer in ihren Augen war. „Du schaffst das“, hörte sie ihre Freundin sagen.

Noch drei Runden. „Eine für dich, Trainer“, flüsterte sie ihm zu und wiederholte „Eine für dich“ im Rhythmus ihrer Schritte. Das Feld war inzwischen auseinandergezogen. Unwichtig, wie viele vorweg liefen und wie viele ihr folgten. Wichtig nur, dass sie es schaffte. „Eine für dich, meine Freundin“, nahm sie sich vor, als sie die Ziellinie passierte. Sie trippelte nun häufiger an die Hindernisse heran, die Abstände passten nicht mehr, aber sie hielt durch. Das Wasser des Grabens reichte ihr längst bis ans Knie, da sie nicht mehr weit genug absprang. Doch was machte es, solange sie lief.

„Diese für mich!“, rief sie zu Beginn der letzten Runde. Durch die Kurve auf die Gegengerade, alle Kräfte mobilisiert, ein letztes Mal der Wassergraben, die letzten Hürden, die Linie, die Flagge, dann sank sie nieder und atmete durch. Der Jubel war längst im Stadion aufgebrandet, er galt denen, die für ihren Sieg eine Medaille bekamen. Sie sah ihre Freundin im Publikum stehen, ging hinüber und ließ sich von ihr umarmen. „Du hast es geschafft“, jubelte diese, „du hast gewonnen!“ „Ja, das habe ich“, lachte sie mit ihr. Der Trainer kam und nahm sie wortlos in den Arm, stolz, wie er immer schon auf sie war, aber heute besonders.

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