Filibart, die Weihnachtskugel – Der einzige Zeuge
Helga Günthersen hatte lange überlegt, wie sie sich ihres Gatten Günther entledigen konnte. Seit seiner Pensionierung ging ihr der alte Sack unglaublich auf die Nerven. Hatte sie früher jede Stunde genossen, in der er auf der Arbeit war, püngelte er nun ständig um sie herum. Verzweifelt hatte sie versucht, ihn für ein Hobby zu begeistern, mit dem er wenigstens stundenweise außerhäusig beschäftigt war, aber Günther Günthersen liebte nur Zeitschriften und Bücher. Er las die Tageszeitung auf dem Klo und diverse Wochenzeitschriften immer gerade in dem Raum, in dem sie ihren hausfraulichen Pflichten nachkam. Abends im Bett schlug er ein Buch auf, über dem er dann einschlief und sie mit seinem Schnarchen um ihre Nachtruhe brachte.
Gut ein Jahr hielt sie das nun schon aus. Oder auch nicht, denn inzwischen war sie abhängig von Johanniskraut, mit dem sie ihre Nerven zu beruhigen suchte. Es gab nur eine Lösung – Günther musste weg.
Am Vorabend des ersten Advents bastelte Helga ein Weihnachtsgesteck aus Tannenzweigen, Zapfen und roten Perlen. Früher hatten sie einen Weihnachtsbaum gehabt, aber seit ihr Sohn Oswald aus dem Haus war, begnügten sie sich mit diesem bescheidenen Schmuck. Helga setzte eine große rote Kerze in die Mitte des Grüns und postierte schließlich Filibart die Weihnachtskugel etwas davon entfernt. Filibart sah aus wie ein Weihnachtsmann. Mit seinen goldenen Verzierungen und einem breiten Grinsen zauberte er tatsächlich ein Lächeln in Helgas Gesicht. Als Günther am nächsten Tag seine morgendliche Sitzung auf der Toilette hielt, weihte Helga Filibart in ihre Pläne ein.
„Fili“, flüsterte sie einschmeichelnd, „würdest du Günther vermissen, wenn er plötzlich nicht mehr da wäre?“
Filibart grinste. Dass er keinerlei Erschrecken zeigte, nahm Helga als sicheres Zeichen, dass ihm die Abwesenheit von Günther nichts ausmachen würde.
„Erinnerst du dich daran, wie deine Brüder gestorben sind?“, fragte Helga.
Filibart kippte vornüber und vergrub sein Gesicht im Tannengrün. Es war ein rabenschwarzer Tag gewesen, als Günther vor 5 Jahren beim letzten Abschmücken eines Weihnachtsbaumes die Packung mit den 6 Weihnachtsmannweihnachtskugeln fallengelassen hatte und alle bis auf Filibart in Scherben zersprangen. Helga richtete Fili wieder auf.
„Wir werden deine Brüder rächen!“, sagte sie mit sicherer Stimme.
Filibart grinste.
„Ich weiß nur noch nicht, wie. Erschießen vielleicht?“
Filibart kippte vornüber.
„Ja, du hast Recht, ich wüsste nicht, woher ich eine Waffe bekommen soll. Erstechen?“
Filibart stand nicht wieder auf.
„Stimmt, Erstechen ist eine unglaubliche Sauerei, dieses ganze Blut in meinem frisch geputzten Wohnzimmer! Nein, das geht nicht. Vergiften?“ Helga richtete Filibart auf, er grinste und fiel nicht wieder um. „Also gut, abgemacht, Günther wird vergiftet!“
Verschwörerisch sahen sich Helga und Filibart tief in die Augen, als Günther den Raum betrat und sich mit seiner Zeitschrift auf das Sofa setzte. Helga meinte, auf dem Titelblatt „Auto, Motor und Mord“ gelesen zu haben, und nahm dies als Zeichen, dass ihre Entscheidung absolut richtig sei.
Während Günther in der Nacht neben ihr schnarchte, dachte Helga über das richtige Gift nach. Frostschutzmittel wäre einfach zu besorgen, aber sollte sie ihren biologisch ernährten Günther zuletzt noch chemisch verunreinigen? Nein, so sehr sie sich über ihn ärgerte, das hatte er nicht verdient. Keine Chemie, keine Medikamente. Irgendwas Natürliches musste es sein, das einfach zu besorgen und absolut sicher war. Helga dachte an die roten Perlen im Weihnachtsgesteckt und hatte eine Idee …
Am Heiligabend trug Helga eine weiße Bluse mit roten Streifen und dazu eine Halskette aus leuchtend roten Früchten mit schwarzen Köpfen. Die fiel selbst Günther auf.
„Hast du eine neue Kette?“ fragte er sie.
„Ja, das ist Bio-Schmuck“, antwortete Helga, „der wird aus Samen gemacht.“
Filibart grinste.
Günther packte eine Krawatte aus und Helga einen Tortenheber. Dann servierte Helga Kartoffelsalat mit Würstchen, wobei sie peinlich genau darauf achtete, wer welchen Teller bekam.
Als in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages Günthers Schnarchen erstarb, stand Helga auf und ging zu Fili.
„Er hat es hinter sich“, flüsterte sie.
Und Filibart grinste.
Angi
16. Dez. 2011
Hallo Andrea, verrätst du auch um welche schönen roten Früchte es sich handelt? Nur für alle Fälle… 😉
Songline
16. Dez. 2011
Hi Angie, das darf ich nicht, sonst bin ich auf einmal Mittäter 😉 Aber ein Tipp: Das ist binnen 30 Sekunden auf Google abrufbar.
Angi
16. Dez. 2011
Cool, die 30 Sekunden werde ich dann mal investieren. Es klingt nach einem glücklichen Ableben – was will man mehr für den Liebsten…