Der weise König

Im Reich des Zauberers, gerade an der Grenze zum Irgendwo, lag das kleine Königreich Lamar. Dichter Wald bedeckte die sanften Hügel und verbarg die kleinen Dörfer in seinem Schatten. Nur die Burg des Königs ragte weit über das Land. Die Bewohner nährten sich redlich von Ackerbau und Viehzucht. Ein jeder gab dem König einen Zehnten seines Ertrages und wer den Zehnten brachte, diente am Hof für einen Mond. So kannte der König alle seine Untertanen und sie ihren Herrn.

Eines Tages erschien auf der Burg eine junge Frau, die ein Kalb brachte. Wer immer sie sah, bewunderte ihre Schönheit, und als sie vor den König trat und ihre Aufgabe erbat, war er von ihrem Liebreiz so entzückt, dass er sie einlud, an seiner Seite Platz zu nehmen und Königin zu sein. Die junge Frau erschrak. „Herr“, sprach sie, „ich bin geehrt durch Eure Bitte, aber ich versorge meine Geschwister, unsere Mutter starb. Bitte lasst mich zum nächsten Mond heimkehren oder sie zu mir nehmen.“

Der König aber wollte weder die Frau gehen lassen, noch sich um fremde Kinder kümmern. „Ich schicke den Kindern die Frau, die mir Amme war, sie wird sie gut versorgen“, sprach er. Und so geschah es. Die Tage gingen dahin. Die junge Frau war von dem König angetan, doch die Sehnsucht nach ihren Geschwistern zehrte an ihr. Auch das Hofleben behagte ihr nicht. Hatte sie früher ihren Hausstand selbst geführt, lag nun jede Planung und Entscheidung in der Hand des Königs. Und so schien der nächste Mond auf ihre Tränen.

Als der König das sah, fragte er nach dem Grund für ihre Traurigkeit. „Herr“, sagte sie da, „ich war frei wie ein Vogel und bestimmte meinen Weg. Ich nahm die Liebe meines Herzens und gab sie meinen Geschwistern. Nun haltet Ihr mich in einem goldenen Käfig und die Liebe für meine Geschwister versickert tränenreich auf Eurem Grund. Für den Preis unserer Liebe soll ich sie lassen und so bin ich erblühende und verwelkende Rose zugleich.“ Da wurde der König nachdenklich. „Sag mir, was möchtest du tun?“, fragte er.

„Lasst mich bei Euch sein, wie Ihr es wünscht“, sagte die junge Frau, „denn ich möchte Euch nicht missen. Doch gebt mir in jedem Mond sieben Tage, an denen ich zu meinen Geschwistern gehe, bis sie erwachsen sind. Danach will ich gänzlich bei Euch sein.“ „So muss ich dich mit ihnen teilen?“, grummelte der König. „Nein“, sagte die junge Frau. „nicht mich, nur meine Zeit. Mich habt ihr ganz für Euch.“ „Aber deine Liebe …“, begann der König. „Meine Liebe für Euch ist eine andere als die für meine Geschwister. Sie gehört Euch allein“, antwortete sie.

Der König dachte nach. Er könnte die junge Frau an den Hof binden, doch aus ihrem Liebreiz würde Traurigkeit, wenn er es tat. „Gut“, sagte er dann. „Du wirst zwischen deiner Welt und unserer reisen, und mich in Gedanken stets bei dir tragen. Mein schnellstes Pferd gebe ich dir, damit die Zeit nicht zwischen hier und dort vertan wird. Und wenn deine Geschwister erwachsen sind, kehrst du für immer zu mir zurück.“ Da lächelte die junge Frau und dankte dem König für seine Weisheit.

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