Die Strandfrau II

Alice machte eine kurze Pause und lächelte, als Marc sie ungeduldig anblickte.
„Wissen Sie, wie es ist, am Meer zu stehen und hineinspringen zu wollen? Sich ihm hinzugeben, sich treiben zu lassen, ihm zuzuhören? Schwerelos zu sein, in ihm? Gedankenverloren auszuruhen?“
„Nein“, schüttelte Marc den Kopf, „ich bin zwar schon im Meer geschwommen, aber ich habe mich noch nicht von ihm treiben lassen.“
„Kopfmensch“, brummelte Joseph.
„Wir werden sehen“, zwinkerte Alice ihm zu und setzte die Geschichte fort:

„Nun hatte Liz das Meer gesehen und doch nur eines von ihnen. ‚Nordsee‘, dachte sie, während Namen wie Verheißung in ihr klangen. Atlantik, Pazifik, Indischer Ozean. Sie sparte all ihr Geld und reiste von Meer zu Meer, von Strand zu Strand, immer auf der Suche nach dem einen, an dem sie ihre Ruhe finden würde. ‚Fernweh‘, nannte sie es, ohne zu sehen, dass es ein Nahweh war. Und an jedem Strand rieb sie den Sand von ihren Füßen in das Glas.“

Marc hatte bei „Nahweh“ die Augenbrauen gehoben, doch Alice erzählte unbeirrt weiter:


„Eines Tages kam Liz an einen Ort, der sie an ihre Kindheit erinnerte. Es war ein kleines Haus, von dem aus man über Hügel sehen konnte. Das Getreide stand goldgelb auf den Feldern und in der Nähe war ein Wald, in dem sie sich Beeren pflücken sah. Vom Haus aus führte ein Weg hinab zum Meer, dessen Gesang der Wind zu ihr trug. Liz stellte den Rucksack ab, der sie auf all ihren Reisen begleitet hatte, nahm das Glas heraus und ging zum Strand herunter. Zum ersten Mal sprang sie nicht gleich ins Wasser, sondern spazierte am Wellensaum auf und ab, sog die salzige Luft ein, hörte hier und da den vereinzelten Ruf einer Möwe und wusste hinter dem Horizont keinen schöneren Platz als diesen.

Als sie das Glas aufschraubte und den Sand von ihren Füßen hinein rieb, tat sie es zum letzten Mal.“

Alice schwieg, trank einen Schluck Wein und sah Marc erwartungsvoll an, während er sanft über den Sand des Bildes strich. „Liz ist die Abkürzung von Alice, nicht wahr?“
„Wer weiß?“, zwinkerte sie ihm zu.
„Wenn es nicht so ist, was wurde dann aus ihr?“

„In den Höhen geboren,
mit dem Strand verschworen
trug sie der Wind
zwischen Hügel und Meer.
Das ist alles, was wichtig ist.“
Und mit diesen Worten stand sie auf, küsste Joseph und zog sich zurück.

Marc traute sich nicht, noch einmal nachzufragen.
„Kopfmensch“, hätte Joseph mit Sicherheit gesagt, wenn er es versucht hätte.
Die Geschichte im Kopf, ging auch er zu Bett und fiel er in einen entspannten Schlaf.

***

Zwischen Hügeln und Meer, erster Teil

Du musst eingeloggt sein, um zu kommentieren.