Der Fels und die Pflanze
„Das ist die schönste Geschichte, die ich je gehört habe“, sagtest du.
Ich wurde rot: „Es ist unsere.“
Hoch oben im Gebirge war ein Fels, größer als die anderen Felsen und doch einer von ihnen. Rau war es dort oben und der Fels trotze brennender Sonne und tosendem Sturm. Eines Tages trug der Wind den Samen einer Pflanze zu ihm und der Samen fiel in eine kleine Spalte, die der Frost im Winter in den Fels gesprengt hatte. Aus dem Samen wuchs eine Pflanze heran und der Fels, der nichts als harte Felsen kannte, wunderte sich.
„Was willst du hier?“, fragte er.
„Nur bei dir sein. Du bist mir Halt und Schutz“, antwortete die Pflanze.
„Ich bin nichts, hau ab“, grummelte er zurück.
„Du bist viel mehr als nichts. Du bist stark, in dir finden meine Wurzeln Halt und Nahrung. Du bist mir Schutz gegen alles, was mir nicht wohlgesonnen ist. Lass mich bleiben.“
Der Fels wusste nicht so recht, was er tun sollte. Er war bisher gut ohne eine Pflanze ausgekommen. Andererseits: Vielleicht wäre sie ein angenehmer Zeitvertreib. So ließ er es dabei bewenden.
Die Pflanze wuchs weiter heran und bildete die ersten Knospen. Der Fels gab ihr Leben. In seiner Spalte sammelten sich Erde und Wasser, seine Vorsprünge schützen sie vor Sturm und Orkan.
„Ich fühle mich wohl mit dir“, sagte sie zum Felsen.
„Ich bin niemand, mit dem man sich wohl fühlen kann“, antwortete dieser.
Dem Fels blieb die Entwicklung der Pflanze nicht verborgen. Er sah, wie sie wuchs, er spürte, wie ihre Wurzeln an ihm Halt fanden, und heimlich erfreute er sich an ihren Blüten. Sie war da. Sie war einfach da. Und sie sah ihn anders, als die Felsen um ihn herum ihn bisher gesehen hatten.
Mit der Zeit unterhielt er sich mit ihr. Und sie begannen, gemeinsam zu träumen. „Ich bin der Fels, du die Pflanze. Irgendwann werden wir beide Wind sein und gemeinsam reisen.“
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