Maskerade

Putbus TheaterEin letztes Mal steht sie im Blitzlichtgewitter. Dann fällt der Vorhang.
So fühlt es sich also an. Seltsam ist es, sehr seltsam, als sei sie an dem, was gerade geschieht, nicht beteiligt.  Es passiert um sie herum: das Blitzlichtgewitter der Fotografen, der tosende Applaus, die Menschen, die schon vor Minuten von ihren Stühlen aufgestanden sind, um ihr ein letztes Mal die Ehre zu erweisen.  Selbst der Strauß roter Rosen, den sie im Arm trägt, gehört nicht zu ihr.

Sie verbeugt sich wieder, lächelt, wie sie es immer tut, bevor sie die Bühne verlässt, und wendet sich dann ab, tritt aus dem Licht des Scheinwerfers und verlässt die Bretter, die sie nun so lange getragen haben, auf einer Welle des Erfolgs. Raunt dem Bühnentechniker ein „Mach’s gut, Mike.“ zu und geht in ihre Garderobe, wo Maria auf sie wartet.
Heute wird sie sich hier umziehen, nicht erst im Hotel, wie sonst.  Heute wird sie das Theater als Privatperson verlassen und nicht mehr zurückehren.

Maria stellt die Rosen in die Vase.
„Wie fühlst Du Dich?“
„ Es geht mir gut, mein Schatz, es geht mir gut.“
„Sicher?“
„Ja.“

Sie dreht sich um und lässt Marias Hände ihren Dienst tun. Das Kleid, mit Perlen aufwendig bestickt, ist sehr schnell abgelegt.

„Weißt Du noch, wann Du das zum ersten Mal getragen hast?“
„Ja Maria, als ich hier Premiere hatte.“
„Ja.“

Sie beginnt damit, sich abzuschminken, entfernt die Wimpern, die die eigenen ersetzen, und sieht Maria dann im Spiegel an.

„Es ist gut so, weißt Du.“
„Ja, ich weiß.“
„Für die da draußen bin ich nichts als Illusion. Ich bin ein Name, der gut klingt, und eine Show, die sie für kurze Zeit aus ihrem Alltag reißt. Wer mit mir spricht, der tut es nur, um sich mit mir zu schmücken.“
„Ja.“
„Erinnerst Du Dich an den Mann, der mir einst hundert rote Rosen schenkte und der mir sagte, wie sehr er mich verehrt? Mich als Person und nicht die Künstlerin, die auf der Bühne steht?“
„Er konnte es nicht wissen.“
„Ja, da hast Du Recht. Doch er hat nie nach meinem Innersten gefragt. Nur nach den Bühnen, die ich kenne, nach dem Ruhm und wie ich damit klarkomme, nach den VIPs, die man so trifft, wenn man berühmt ist.“
„Es sind nicht alle so.“
„Oh doch, das sind sie. Die Menschen sehen nie dahinter. Sie kommen ins Theater und halten das für Leben, was sie sehen. Doch das Leben spielt woanders. Das Leben spielt im Hinterhof beim Notausgang, dort wo der Abfall steht. Das Leben spielt in Straßenbahnen, wo jeder in sich selbst gekehrt dort sitzt und man mich nicht erkennt.“
„Das ist doch, was Du immer wolltest.“
„Ja, das wollte ich. Und es hat all die Jahre funktioniert. All die Jahre haben sie sich blenden lassen. All die Jahre war mir niemand nah genug, um DAS zu sehen.“

Mit geübtem Griff nimmt sie die Perücke ab. Das ergraute Haar ist kurz geschnitten und das Gesicht, nun abgeschminkt, wirkt plötzlich hart.

„Frank, Du hast es so entschieden.“
„Ja, das habe ich.

Er zieht sich an, wie er es sonst im Alltag tut: Jeans, ein Polohemd, ein Sakko. Niemand wird ihn nun erkennen, auch die Fotografen nicht, die am Ausgang auf SIE warten für ein letztes Bild.

Und Frank geht mit Maria heim, ein letztes Mal.

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Bildquelle: Songline JdNHEi2meT

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