Wir nicht!

Deine Stimme so wütend, so verzweifelt wütend. Ich höre Dir zu, meine Freundin, ich höre Dir zu. Und es brennt auch bei mir, unsäglich. Aber ich lasse keine Autos mehr auf mich zurasen. Und weißt Du, warum nicht? Weil ich versprach, hinter der Ziellinie auf Dich zu warten.

„Scheißegal“ ist leicht gesagt. Je lauter man es brüllt, umso weniger ist es wahr. Es ist dir nicht egal. Weil „egal“ ein Aufgeben wäre. Aber wir geben nicht auf, meine Freundin, wir nicht!

Du wirst rennen, auch wenn es brennt. Ich werde warten, und halte mein Brennen aus, weil ich weiß, dass Du kommst. DU, hörst Du? Und wenn Du dann da bist, schreien wir endlich. Ich höre uns jetzt schon: „Wir nicht!“

Vom Recht auf Ertrag

Es gibt ja Nachrichten, die treiben mir die nicht vorhandene Hutschnur hoch. Gestern las ich, dass die Hedge-Fonds ein Menschenrecht auf Ertrag fordern. Na toll. Wenn ein Bauer seinen Acker bestellt, damit er sich ernähren kann, trägt er selbst das Risiko, wenn es zu viel oder nicht genug regnet und seine Ernte mager ausfällt. So ein Landwirt ist dem Wetter relativ hilflos ausgeliefert, darum betet er in der Regel auch hübsch fromm zum lieben Gott und zu allen Heiligen, auf deren Fürsprache er vertraut.

Ein Hedge-Fonds hat vom lieben Gott noch nie etwas gehört. Er hat keinen Bezug zur eigenen Scholle, sondern jongliert mit dem Geld anderer Leute, und das möglichst spekulativ. Ein Hedge-Fonds zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass er versucht, mit riskanten Finanzgeschäften möglichst große Gewinne zu erzielen. Da werden Aktien leer verkauft und mit sinkenden oder steigenden Börsenkursen spekuliert. Da investiert man in Staatsanleihen klammer Staaten, weil die höhere Zinsen bringen. Und dann wundert man sich auf einmal, wenn so ein Staat tatsächlich mal pleitegeht. Wie Griechenland zum Beispiel. Dort sollen ja jetzt die Gläubiger auf 50% ihrer Einlagen verzichten. Die Hedge-Fonds auch, und die regen sich drüber auf. Dabei ist der Kapitalverlust für Hedge-Fonds genauso ein tägliches Geschäft wie der ausbleibende Regen für einen Landwirt. Der dann übrigens nicht von einem Menschenrecht auf Ertrag faselt, sondern den Gürtel enger schnallt, damit er über den Winter kommt. Zumindest in Afrika. In Europa rufen die Bauern schon mal nach Fördermitteln aus der EU, wenn die Ernte ersoffen oder vertrocknet ist. Aber ehrlich: Den Bauern gönne ich ihre Zuschüsse, schließlich sorgen die für unser täglich Brot und die Milch im Kaffee.
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Im Nirgendwo

Sie stand an der Landstraße mitten im Nirgendwo. Jeans, ein T-Shirt, die Haare offen im Wind. Er hielt an. „Wohin?“, fragte er. „Wohin du willst.“ Er nickte, sie stieg ein. Ein paar Meilen weiter bat sie ihn, anzuhalten. „Komm“, sagte sie und führte ihn zu einem nahe gelegenen See. „Schsch“, flüsterte sie, „die Seeadler brüten.“ „Aber hier gibt es doch gar keine …“ „Schsch …“ Sie starrten auf den See hinaus und sie folgte mit den Augen einem Vogel, der nur ihrer war. Zurück am Wagen verabschiedete sie sich. „Farewell, my friend“, sagte sie und stand wieder mitten im Nirgendwo.

Es gab diese Zeit

Es gab diese Zeit, als ich taub war. Da lief das Leben an mir vorbei oder wie ein Film vor mir ab und ich dachte: Wann hört das auf? Es gab diese Zeit, als es mir egal war, ob ich lebe oder sterbe, stell dir das vor, mit zwei kleinen Kindern! Es gab diese Zeit, da ich die schlimmen Tage zählte und irgenwann waren sie es alle. Es gab diese Zeit.

Und dann kam die Zeit, als ich dachte: Zähle die guten! Und es tat. Es kam die Zeit, da ich kämpfte, gegen die Taubheit, gegen die Gleichgültigkeit, für meine Kinder. Und für mich.
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Wenn der Po nicht auf die Brille passt

Es gibt ja Leute, bei denen ich mich ernsthaft frage, ob die nicht ihren Beruf verfehlt haben. Nein, ich schimpfe jetzt nicht auf die üblichen Verdächtigen, von denen der geneigte Leser selbst genug zu benennen weiß. Mein Groll gilt den Designern.

Ich überlege schon länger, ob es in deren Studium auch ein Fach „angewandtes Design“ gibt und verneine die Frage nicht erst seit dem Zeitpunkt, als ich im Sanitärfachhandel ein viereckiges WC entdeckte. Um die werten Leser aufzuklären: Es gibt viereckige WCs, deren Brillenrand außen eckig, das Loch aber oval ist. Und dann gibt es WCs, deren Brillen ein rechteckiges Loch haben. Da stellt frau sich natürlich die Frage, wie denn das Runde auf das Eckige passen soll. Vertrauensvoll sprach ich die Sanitärfachfrau an:
„Entschuldigen Sie bitte, sitzt man auf den viereckigen Brillen bequem?“
„Wie bitte?“
„Sie haben da viereckige Toilettenbrillen auf viereckigen WCs. Sitzt man darauf bequem?“
„Wo haben wir die?“ Ich zeigte es ihr.
Die Sanitärfachfrau sah mich konsterniert an: „Das habe ich noch nicht ausprobiert.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein runder Po bequem auf eine viereckige Brille passt.“
Sie sah so aus, als könne sie sich das ebenfalls nicht vorstellen, doch ihr Verkäuferverstand antwortete: „Aber die sind jetzt ganz modern!“ Das Ausstellungsstück war nur notdürftig befestigt und nicht für die praktische Erkundung geeignet.
Ich entschied mich für ein anderes Modell.
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Worte bloß

Da stehen sie, Worte bloß.
Als Antwort auf Worte bloß.
„Ja“ geschrieben,
„Nein“ geschrien,
Lautlos.

Der Schmerz schrei(b)t mehr als
Worte bloß.

Brennendes

Brand gegen Brand. Wein gegen Herz. Irgendwas hilft immer. Und wenn nichts mehr hilft, ist es das. Schmalzwort Herzschmerz. Runter damit. Das Gefühl gleich hinterher. Noch drei, dann ist alles weg. Ich auch.
Lege mich ins Betäuben. Egal, wie die Lichter des auf mich zurasenden Autos. Was soll’s. Und sie steht da und sagt: „Aber ich brauch dich“ und ich denke: „Aber er nicht. Er nicht.“ Noch ein Schluck.
Egal sollte man großschreiben. Dann braucht es nicht mal das Kack-Wort davor.
EGAL.
E G A L.
Alles egal.
Nur er nicht.
Nur er nicht.

Flüsterwind

Clare schlief unruhig. Gedankenfetzen rissen sie aus dem Schlaf, Worte tanzten vor ihren Augen, bis sie sie in eine Dose zwang und den Deckel schloss. Leer wollte sie sein, nicht mehr über den Streit nachdenken, der zwischen ihnen lag. Ihre Hand strich über sein Kopfkissen. „Ich wünschte, du wärest hier“, flüsterte sie, küsste ihre Fingerspitzen und gab mit der Hand diese Zärtlichkeit für ihn auf die Reise, wie sie es immer tat, bevor sie einschlief. Ihr Atem ging nun ruhiger, tiefer.

Im Traum lächelte sie. Sie sah eine Pflanze hoch oben im Gebirge im Spalt eines Felsens wachsen. Dort sammelten sich Erde und Wasser, die Vorsprünge des Felsens schützen sie vor Sturm und Orkan, so dass die Pflanze wuchs und aufblühte. „Du bist mir Halt und Schutz“, sagte sie zum Felsen, und: „Ich fühle mich wohl mit dir.“ „Ich bin niemand, mit dem man sich wohl fühlen kann“, antwortete dieser. „Und doch tue ich es“, widersprach sie ihm. Dem Fels blieb die Entwicklung der Pflanze nicht verborgen. Er sah, wie sie wuchs, er spürte, wie ihre Wurzeln an ihm Halt fanden, und heimlich erfreute er sich an ihren Blüten. Sie war da. Sie war einfach da. Und sie sah ihn anders, als die Felsen um ihn herum ihn bisher gesehen hatten.
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Verstand verstrahlt

Heute habe ich mir den halben Tag den Kopf darüber zerbrochen, wie ich dem geneigten Leser das Thema des heutigen Tages nahebringe. „Worüber schreibst du?“, fragte meine Freundin und ich antwortete: „Atompolitik.“ „Puh!“, sagte sie da.
Wer jetzt ebenfalls „Puh“ denkt, findet hier ja gottseidank genügend Alternativen, aber vielleicht geht ja doch der eine oder die andere mit mir auf eine atomare Entdeckungsreise.

Das Atom an und für sich ist ja keine schlechte Sache, es ist klitzeklein und alle Materie besteht daraus. Kompliziert wird es aber, wenn man Atome spaltet (Fission) oder mehrere miteinander vereinigt (Fusion). In beiden Fällen wird ungeheure Energie freigesetzt und wenn man diese Energie in eine Bombe packt, malt sich die Welt geschockt Szenarien wie Hiroshima und Nagasaki.
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Der weise König

Im Reich des Zauberers, gerade an der Grenze zum Irgendwo, lag das kleine Königreich Lamar. Dichter Wald bedeckte die sanften Hügel und verbarg die kleinen Dörfer in seinem Schatten. Nur die Burg des Königs ragte weit über das Land. Die Bewohner nährten sich redlich von Ackerbau und Viehzucht. Ein jeder gab dem König einen Zehnten seines Ertrages und wer den Zehnten brachte, diente am Hof für einen Mond. So kannte der König alle seine Untertanen und sie ihren Herrn.

Eines Tages erschien auf der Burg eine junge Frau, die ein Kalb brachte. Wer immer sie sah, bewunderte ihre Schönheit, und als sie vor den König trat und ihre Aufgabe erbat, war er von ihrem Liebreiz so entzückt, dass er sie einlud, an seiner Seite Platz zu nehmen und Königin zu sein. Die junge Frau erschrak. „Herr“, sprach sie, „ich bin geehrt durch Eure Bitte, aber ich versorge meine Geschwister, unsere Mutter starb. Bitte lasst mich zum nächsten Mond heimkehren oder sie zu mir nehmen.“
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