Niemandes Liebe

„Niemandes Liebe ist mir so wichtig wie deine“,
sagte Adèle zu ihrer Mutter, als sie Kind war.

„Niemandes Liebe ist mir so wichtig wie deine“,
sagte Adèle zu ihrer Freundin, als sie heranwuchs.

„Niemandes Liebe ist mir so wichtig wie deine“,
sagte Adèle zu dem Mann, der ihr Herz berührte.

„Niemandes Liebe ist mir so wichtig wie deine“,
sagte Adèle mit Blick auf das Kind, das sie gebar.

„Niemandes Liebe ist mir so wichtig wie deine“,
sagte Adèle zum Leben.

Sankt Martin und der Nebel des Grauens

Martinszug. Laternen. Leuchtende Kinderaugen. Und eine Fachsimpelei über Horrorfilme. Zwischen mir und einem Achtjährigen. Wobei er der Experte war.

Gestern Abend. Martinszug bei uns im Dorf, von den Kindern mit Vorfreude erwartet und von mir wie jedes Jahr begleitet. Es beginnt mit aufgeregtem Plappern, bis die Musik erklingt und sich der Zug in Bewegung setzt, St. Martin auf dem Pferd voran und die Grundschüler hinterher. Ein tolles Bild. Die Kinder, noch voll motiviert, singen lauthals mit. Gut, sie singen schneller, als die Musik spielt, aber über solche Kleinigkeiten sehen wir gelassen hinweg. Wie übrigens auch darüber, dass sich unsere Klasse genau zwischen zwei Musikkapellen befindet und wir nie so genau wissen, welches der beiden (natürlich unterschiedlichen) Lieder dieser Kapellen wir denn nun mitsingen sollen. Nun ja.
„Du singst ja falsch.“, muss ich mir von dem Schulfreund meiner Tochter sagen lassen, der gleich neben mir geht. Nein. Ich singe nicht falsch. Die Kapelle spielt die Lieder eine Terz zu hoch und da komme ich nicht hin. So. Dafür bin ich unglaublich textsicher. Und es macht mir auch gar nichts aus, dass die Lehrerin meiner Tochter die Strophen von „Laterne, Laterne…“ in einer anderen Reihenfolge singt als ich. Von so etwas lasse ich mich keinesfalls entmutigen. Immerhin finde ich vier Kinder, die sich meinem Singsang anschließen, während ein paar andere der Lehrerin folgen und der Rest das Lied der vorderen Kapelle mitsingt.
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allabendlich

Ich hülle mich
in deine Liebe
und schlafe ein
mit deinem Namen
auf meinen Lippen.

Das Atmen der Eiche

Der Park war gut besucht, doch niemand beachtete die Frau, die den Weg verließ und auf den Baum zutrat, dessen Flüstern sie vernommen hatte. „Hey, mein Freund“, sagte sie und strich sanft über seine knorrige Rinde. Schritt für Schritt umrundete sie den Stamm und ließ ihre Hand durch die Furchen gleiten und über ein paar Flechten, die sich auf der Wetterseite nährten. Das Sonnenlicht glitzerte im Blätterdach und die herabwachsenden Äste boten Schutz vor ungebetenen Blicken. Die Frau blieb stehen und legte nun beide Hände auf die Rinde.

„Wie viele Geschichten kannst du wohl erzählen?“, fragte sie. Mehrere hundert Jahre stand er hier, hatte Wachsen gesehen und Sterben, Aufbau und Zerstörung, den ewigen Kreislauf des Lebens und der Zeit. „Eine alte Eiche hat viel gesehen“, sagte ihr Vater immer, und wenn er von diesem Baum sprach, klang in seiner Stimme ein tief empfundener Respekt wie vor keinem anderen. Als er sie gelehrt hatte, die Bäume zu unterscheiden, war die Eiche der erste, den sie sicher bestimmen konnte. Die gelappten Blätter, die Eicheln, die Wuchsform. Sie wusste um die Einsatzmöglichkeiten des Holzes für Haus- und Möbelbau und hatte ihren Vater, der Schreiner war, damit umgehen sehen. Wie gut es im Haus roch, wenn er es verarbeitete. Doch dieser Baum hier sollte nicht fallen. Dieser sollte leben und Leben sein.
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Inmitten der Brandung

„Leid kann man nicht aufrechnen“, sagte ich früher.
„Solange man noch weint, ist es nicht wirklich schlimm“, sagte Louize.
Ich habe aufgehört zu weinen, während ich dir zuhörte.
Ein Fels in der Brandung sollte ich werden.
Jetzt kann ich einer sein.

Ja – Nein – Toastbrot

Der Zettel liegt immer noch neben mir. Jener Zettel, den ich in der Hosentasche trug, um ihn dir zu geben. Ein einfaches Blatt nur, nichts, was man kaufen kann, nicht einmal etwas von Wert. Wie die Kinder wolltest du es machen, ja, nein, Toastbrot. So einfach, aber das war es nicht. Ich brachte ihn mit, ich nahm ihn wieder mit heim, und so liegt er hier. Aufgeklappt, die drei Worte darauf und ein deutlicher Kreis um das „Ja“.
Warum ich den Kreis schon zuhause zog?
Weil ich mir sicher bin.
Bitte sage nicht nein. Das Toastbrot toaste ich dir dann schon.
Aber den Kaffee machst du besser als ich.

Sannas Träume

Sanna lächelte still in sich hinein. Es war nicht das erste Mal, dass ihr diese Frage gestellt wurde, doch nun kam sie von ihm. Sie spielten ein Spiel, um sich besser kennenzulernen: Jeder stellte eine Frage und der andere durfte entscheiden, ob er sie beantwortete oder nicht. Wenn er es tat, musste der Fragende ebenfalls antworten. Nun hörte sie: „Und wovon träumst du?“

Er hatte ihr seine Träume in den schönsten Farben gemalt, von einem Leben am Meer, in Sichtweite des Leuchtturms. Ein kleines Haus am Wald wollte er bewohnen, das vielgrüne Blätterspiel des Sommers genießen, das flammende Rot des Herbstes, die Reinheit des Schnees im Winter und das knospende neue Leben im Frühjahr. Er beschrieb die Nuancen des Meeres, den türkisen Schimmer im Nachmittagslicht, die schwarzen Wogen bei Sturm und das beruhigende Blau, dem er sich allzu gern hingab. Er wusste all dies so lebendig zu erzählen, dass jeder, der es hören mochte, die Bilder vor Augen sah.
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Im Fluss

Im Rückblick
fließt uns die Zeit
entgegen.

Fließt sie
nach vorn
davon?

Besuch

Du stehst im Garten
und betrachtest
die Farben
die dich an Heimat erinnern.

Die Sonne spiegelt sich
im Morgentau
der Rose.

Strandgefühl

Ich hab die Wiese nicht gesucht, weil ich, was ich suchte, an der Küste fand. Bin nicht Sturm, bin nur ein Hauch und berührte leis den Fels, dem Flechten Farben malten. Das Meer nahm meine Sehnsucht auf.

Ein Atemzug: er bedeutet Sein und Leben, Erinnerung und Tränensalz auf meiner Haut. Spuren zeichnet uns die Zeit, die Kreise zieht und wiederkehrt.