Der Park war gut besucht, doch niemand beachtete die Frau, die den Weg verließ und auf den Baum zutrat, dessen Flüstern sie vernommen hatte. „Hey, mein Freund“, sagte sie und strich sanft über seine knorrige Rinde. Schritt für Schritt umrundete sie den Stamm und ließ ihre Hand durch die Furchen gleiten und über ein paar Flechten, die sich auf der Wetterseite nährten. Das Sonnenlicht glitzerte im Blätterdach und die herabwachsenden Äste boten Schutz vor ungebetenen Blicken. Die Frau blieb stehen und legte nun beide Hände auf die Rinde.
„Wie viele Geschichten kannst du wohl erzählen?“, fragte sie. Mehrere hundert Jahre stand er hier, hatte Wachsen gesehen und Sterben, Aufbau und Zerstörung, den ewigen Kreislauf des Lebens und der Zeit. „Eine alte Eiche hat viel gesehen“, sagte ihr Vater immer, und wenn er von diesem Baum sprach, klang in seiner Stimme ein tief empfundener Respekt wie vor keinem anderen. Als er sie gelehrt hatte, die Bäume zu unterscheiden, war die Eiche der erste, den sie sicher bestimmen konnte. Die gelappten Blätter, die Eicheln, die Wuchsform. Sie wusste um die Einsatzmöglichkeiten des Holzes für Haus- und Möbelbau und hatte ihren Vater, der Schreiner war, damit umgehen sehen. Wie gut es im Haus roch, wenn er es verarbeitete. Doch dieser Baum hier sollte nicht fallen. Dieser sollte leben und Leben sein.
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