Simsalablubb
Der kleine Mann mit dem viel zu großen Turban wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ sich erschöpft in eines der vielen Plüschkissen sinken, die in dem ebenso gemütlich wie verschwenderisch eingerichteten Wohnraum verstreut lagen. Endlich Ruhe! Was war das heute wieder für ein hektischer Arbeitstag gewesen, nicht zum Aushalten. Aber jetzt war Feierabend. Zeit zum Ausspannen. Ein schönes Glas Wein wäre jetzt das Richtige, dachte der schmächtige Orientale, und schwupps hatte er auch schon ein solches in der Hand. Doch noch bevor er den ersten Schluck hatte nippen können, hupte plötzlich ein Signalhorn. Dazu erklang eine laute Stimme: „Ich rufe dich, Jim’bi-Im! Erscheine!“ Der Angesprochene verzog angesäuert das Gesicht, stieß einen gequälten Laut aus und schmiss wütend das Weinglas an die Wand. Nicht schon wieder! Kopfschüttelnd hob der kleine Mann vom Boden ab, schwebte zu einem geräumigen, offenen Leitungsrohr, das nach oben führte, und verschwand in dem dunklen Loch.
Etwa eine Viertelstunde später war Jim’bi-Im wieder da. Kopfüber plumpste er in die Kissen und blieb erst mal so liegen. Nur sein röchelnder Atem verriet, dass er noch lebte. Er war mit seinen Kräften am Ende. Noch ein Auftrag mehr, und er würde die Brocken hinschmeißen. Die harte Strafe, die ihn für die Nichterfüllung seiner Pflicht erwarten würde, schreckte ihn nicht mehr sonderlich. Nichts konnte schlimmer sein als diese Fron.
„Bei Allah, ich hätte auf meine Mutter hören sollen“, dachte Jim’bi-Im. Er solle sich mehr Mühe beim Lernen geben, hatte sie ihn in seinen Kindertagen stets gemahnt, sonst würde er später nie mehr sein als ein Erfüllungsgehilfe. Wie wahr. Jim’bi-Im schwuppste sich ein neues Glas Wein herbei. Gierig schlürfte er den edlen Tropfen, dann sank er wieder in die Kissen zurück. Nein, so hatte er sich das Berufsleben nicht vorgestellt. Er hatte zwar viele dankbare Klienten, aber des ungeachtet einen undankbaren Job. Er war ein Flaschengeist. Sicher, Kost und Logis waren frei und auch vom Feinsten, die Arbeitszeiten dafür aber extrem mies. Ständig Bereitschaftsdienst! Und wenn er ran musste, dann richtig. Seine Herren kannten da kein Pardon und kein Maß. Eben erst hatte er seinem gegenwärtigen Besitzer eine Luxusjacht beschaffen müssen. So lief das immer: Jim’bi-Im, mach mal eben! Und zwar pronto! Also, wenn er das geahnt hätte, dann wäre er damals den Anwerbebüros ferngeblieben. Jim’bi-Im schalt sich selbst einen Trottel. Für 5000 Jahre hatte er sich gleich verpflichtet, und noch nicht mal ein Drittel war rum.
Er seufzte. Gelockt hatten sie ihn damals mit den tollsten Versprechungen. Flaschendschinns würden immer gebraucht, hatte es geheißen, das sei eine krisenfeste Anstellung. Man käme viel rum, in alle Ecken der Welt, und habe freien Zugang zu sämtlichen Zaubereigilden, weiß- wie schwarzmagische. Man müsse halt nur ein bisschen flexibel in Sachen Arbeitszeit und Aufgabenstellung sein. Ja genau! Diese Bauernfänger! Ständig stand er Gewehr bei Fuß, tagein, tagaus. Wurde nach ihm gepfiffen, musste er antreten und das Unmögliche möglich machen. Dass Träume erfüllen eine mörderische Schufterei war, daran dachten seine egoistischen Auftraggeber nicht. Das bisschen Hokuspokus kann doch nicht so schwer sein, meinten sie. Von wegen! Jim’bi-Im zauberte sich einen nassen, kalten Waschlappen herbei, den er auf seine Stirn platzierte. Steinbruchsklaven hatten ein leichteres Leben als er. Apropos Steine. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie viele Schlösser und Prachtvillen er schon hatte bauen müssen. Aber diese Paläste errichteten sich ja ganz allein, so ein Dschinn schüttelt die doch locker aus dem Ärmel. Phh, nichts da, er musste genauso kloppen und mörteln wie jeder andere Häuslebauer auch, und das obendrein sehr viel fixer. Und die anderen Wünsche, deren Erfüllung man ihm antrug, waren in aller Regel auch nicht leichter. Gut, klar, im Laufe der Jahrtausende kriegt man so etwas wie Routine bei der Beschaffung. Man weiß halt, wo man suchen muss. Menschen sind ja so fantasielos. Es wird immer dasselbe nachgefragt: Geld, Luxusgegenstände, Delikatessen, Berühmtheit, Macht, Gesundheit, Lebenszeit. Bei männlichen Besitzern von Wunderlampen oder -flaschen kamen noch Potenz und schöne Frauen dazu. Dem Schwachkopf, dem Jim’bi-Im zur Zeit diente, hatte er zum Beispiel zuzüglich zu seiner Prunkjacht noch eine Horde heißer Mädels verlangt. Sehr wohl, Gebieter! Jim’bi-Im kannte da so eine Modelagentur auf Fantasy Island, deren Damen hatten noch nie zu Beschwerden Anlass gegeben. Sein Herr dürfte im Augenblick schwer beschäftigt sein, was bedeutete, dass sein dienstbarer Geist auf ein paar Stunden Ruhe hoffen konnte.
Leider ist es einem Dschinn nicht gestattet, Nein zu sagen. Nie! Wehe, wenn man einen Befehl verweigert, der nicht gerade totaler Nonsens ist wie beispielsweise der Wunsch nach ewigem Leben oder der, Herrscher über das Universum zu werden! Eine solche Unterlassungssünde geht sofort an die Dienstgeistbehörde und zieht drastische Ahndungen nach sich. Auf Befehlsverweigerung steht mindestens ein unerfülltes, unbefriedigtes Dasein als normaler irdischer Mensch bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung je nach Kulturkreis. Im Klartext heißt das, ein unglückliches Dahindarben zwischen 55 und 80 Jahren, und dann geht’s ohne Anrechnung der Fehlzeit zurück in den alten Job. Allerdings war Jim’bi-Im mittlerweile fast so weit, dass er die Jammerexistenz der jetzigen vorzog. Besser stark gefrustet als völlig entkräftet! Und überhaupt, gemessen an seinem Ist-Zustand stellte ein Leben als Normalsterblicher wohl eher eine Abwechslung denn eine Verschlechterung dar. Jim’bi-Im seufzte erneut und wendete den Lappen auf seiner Stirn. „Wer erfüllt mir mal einen Wunsch?“, dachte er laut. „Und wann?!“ Rhetorische Fragen. Er war verdammt. Er würde sich abrackern müssen, bis seine 5000 Lenze vollständig rum waren. Aus dem Joch kam er nicht heraus. Verträge galten noch was in der Geisterwelt.
Ein lautes Platschen schreckte ihn aus seinen trüben Gedanken. Nanu, was denn jetzt wieder los? Seine Flasche war ins Trudeln geraten. Von oben hörte er kurz wütendes, entsetztes Geschrei, dann war den Ton weg. Wie verschluckt … Zudem wurde es langsam kühl. Jim’bi-Im wartete, dass man ihn rief, aber das Signalhorn blieb stumm. Seltsam. Er beschloss, ungefragt nach dem Rechten zu sehen. Abermals entschwebte er durchs Rohr. Diesmal dauerte es nur wenige Sekunden, bis er wieder in seine Heimstatt zurückkehrte. Nun aber trug er ein fettes, vergnügtes Grinsen im Gesicht. Laute Jubelrufe ausstoßend, tanzte er wie ein Derwisch durch sein Phiolengemach. Er konnte sein Glück kaum fassen. Eine der kecken Schnecken von der Modelagentur hatte beim neugierigen Stöbern seine Flasche entdeckt und sie ihren Kolleginnen gezeigt. Und was soll man sagen, beim Herumreichen war die Pulle über Bord gefallen – zum Graus ihres menschlichen Eigentümers. Hoppala, so’n Pech aber auch! Jim’bi-Im raste vor Freude. Sie befanden sich hier im Karibischen Meer, und der Wellengang war im Moment sehr schwach. Das hieß, die Flasche ging unter und trieb nicht etwa im Wasser! Bis zum Grund würde sie sinken, und jener war in etwa 7000 Meter Tiefe. Da konnten sie angeln bis sie schwarz wurden, rausfischen würden sie die Buddel nie, nicht einmal mit den modernsten technischen Gerätschaften. Zudem war bei den vielen unterseeischen Vulkaninseln und Riffen nicht zu befürchten, dass sie an Land geschwemmt werden würde. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie sich nicht irgendwo im Felsgestein verhakte. Jim’bi-Im frohlockte. Das bedeutete bezahlten Urlaub bis zum Ablauf seines Arbeitsvertrages. Jahrtausendlanger Friede und Müßiggang! O großer Schöpfer, hab Dank!
Jim’bi-Im lauerte ungeduldig auf das Zeichen, dass sein Wohnflakon auf den Meeresboden stieß. Dann, nach einer ganzen Weile, spürte er eine leichte Erschütterung. Großartig, sein Domizil war unten angekommen. Wurde aber auch Zeit! Ihre magische Beschaffenheit verhinderte, dass die Flasche durch den Druck zerbrach. Ja, Zauberkraft hat doch was für sich. Jim’bi-Im kuschelte sich behaglich in sein flauschiges Polsterparadies und frönte endlich mal seinen eigenen Vorlieben und Gelüsten: Beine hoch, Fernseher an und Chips her! Ah, das Leben kann so schön sein, so ohne Störungen, Kommandotöne und Plackerei.
Songline
13. Jan 2010
Ich liebe diese Geschichte! Sie ist phantasievoll und schön erzählt. Man empfindet Mit-Leid mit dem armen Jim’bi-Im und teilt am Ende seine Freude.“Beine hoch, Fernseher an und Chips her!“ Das könnte ich mir gelegentlich auch schön vorstellen 😉
Mumpitz
14. Jan 2010
Ja, ein sehr mitfühlender Text! Man muss auch mal an die Service-Berufe denken, die sind wirklich nicht einfach! Sicher ist der Flacon eine Whiskey-Flasche…
tiehe
24. Jan 2010
Der Flaschengeist muss wirklich mitbauen?! Da habe ich wirklich Mitleid mit ihm und gönne von Herzen die Auszeit.
gruß aus dus
tiehe, die all den Rödelnden eine entspannende Zeit wünscht
Songline
2. Feb 2010
Wow! Harry, das ist wirklich ein phänomenales Foto!