“Kuss der Spinnenfrau” („Kiss of the Spiderwoman“)

Eine Wiederbegegnung mit Hector Babencos „Oscar®“-prämierten Film, endlich auf DVD erschienen.

Zwei Männer in einem Gefängnis in einem beliebigen südamerikanischen Land, irgendwann Anfang der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Das wäre noch nichts besonderes, wenn der eine –Molina – nicht ein Homosexueller, obendrein eine Tunte wäre, der andere – Valentin – nicht ein schwer gefolterter politischer Gefangener. Die beiden umkreisen sich zunächst wie feindliche Galaxien: Auf der einen Seite die scheinbar oberflächliche Tunte, die völlig naiv von alten Nazi-Filmen bzw. von deren Hauptdarstellerin schwärmt und auf der anderen Seite der überzeugte Revolutionär, scheinbar ungebrochen von der Folter.

Aber das ist nur die Oberfläche. Im Verlauf des Zusammenseins auf engstem Raum offenbaren Molina (herausragend: William Hurt) und Valentin (ebenfalls herausragend: Raul Julia), dass sich hinter ihren „offiziellen“ Masken zwei außerordentlich verletzliche und sensible Menschen verbergen, zwei Männer, die mehr miteinander gemeinsam haben, als es zuerst den Anschein hat.

Die Entstehungsgeschichte von “Kuss der Spinnenfrau” ist die eines Projektes einer Handvoll Filmbessessener. Eine Tunte und ein Revolutionär – das war kein Stoff für ein amerikanisches Massenpublikum Mitte der 80iger Jahre. Und folgerichtig fand sich kein großes Hollywood-Studio, das diesen Film finanzieren, geschweige denn drehen wollte.

Hector Babenco, der brasilianische Regisseur, der sich mit „Asphalt Haie“ im Westen bekannt gemacht hatte, wollte diesen Film jedoch unbedingt machen. Nach langen Verhandlungen mit Manuel Puig, dem Autor der Vorlage, war es ihm endlich gelungen, dessen Zustimmung zu erhalten. Und dann stieg Burt Lancaster – man höre und staune – in das Projekt mit ein. Er wollte unbedingt die Rolle des Molina übernehmen. Über Lancaster fanden sich Finanziers außerhalb Hollywoods, die mutig genug waren, dem Film eine Chance zu geben.

Aber Lancaster wollte einen anderen Film als Babenco. Er wollte aus der Vorlage eine große schwule Seifenoper machen, hatte bereits selbst ein Drehbuch verfasst. Die Differenzen wurden unüberbrückbar, am Ende schied Lancaster wegen seiner angeschlagenen Gesundheit aus. Babenco musste quasi wieder bei Null anfangen.

Raul Julia stand noch bereit, aber woher den Darsteller für den Molina nehmen? In den USA war zwischenzeitlich William Hurt auf diese Rolle aufmerksam geworden. William Hurt hatte sich als Charakterdarsteller im gehobenen Mainstream-Segment positioniert, in höchst erfolgreichen Filmen wie „Body Heat“ oder „Der große Frust“.

Hurt, ein großer kräftiger Mann, der entgegen seiner körperlichen Erscheinung sich auf einfühlsame Charaktere spezialisiert hatte, wollte diese Rolle unbedingt. Babenco akzeptierte widerwillig, und obwohl es – so überliefert es das fast zweistündige „Making of“ des Films – während der Dreharbeiten zu heftigen Verwerfungen zwischen Regisseur und Darsteller kam, stand am Ende eine umso größere künstlerische Leistung auf beiden Seiten.

Dabei darf man den – leider inzwischen verstorbenen – Raul Julia nicht vergessen. Mir ist bei der Wiederbegegnung mit diesem Film erst recht aufgefallen, in welch einer schauspielerischen Symbiose Raul Julia und William Hurt miteinander verschmelzen. (die beiden hatten sich über Tage auf dem Set eingeschlossen und geprobt). Julia und Hurt sind der absolute schauspielerische Glücksfall für dieses Kammerspiel, ein Zwei-Personen-Stück, das auch auf die Bühne übertragbar wäre.

Valentin und Molina, zwei Seiten einer Medaille. Am Anfang zwei Duellanten, am Ende in tiefer Freundschaft miteinander verbunden. Beide stellen sich ihren Lebenslügen: Molina, der sich nach Liebe und echter, ehrlicher Partnerschaft sehnt und doch seine Zeit mit oberflächlichen Beziehungen vertut. Valentin, der im Innersten schon lange nicht mehr an die Ziele der Bewegung glaubt und nicht seine Freundin in der Bewegung liebt, sondern sein persönliches Glück in der Beziehung zur aus der bourgeoisen Oberschicht stammenden Marta (Sonia Braga in einer ihrer drei Rollen) gefunden hatte.

Der von Molina erzählte Nazi-Liebesfilm – als Film im Film inszeniert- hat dabei eine dramaturgische Schlüsselposition und treibt die Handlung voran. Valentin, der anfangs– zu Recht – nur die propagandistische Oberfläche des Films sieht und kritisiert, lässt sich von Molina – der sich andersrum ganz auf die Liebesstory kapriziert – einspinnen – und schafft es so, sich zu seiner empfindsamen „weiblichen“ Seite zu bekennen. Beide nutzen den Film als Hebel, sich zueinander zu öffnen.

Die Story von der Spinnenfrau, die Molina gegen Ende erzählt, ist vieldeutig. Während Valentin Marta mit der Spinnenfrau, die in ihrem eigenen Netz gefangen am Strand den Schiffbrüchigen versorgt, assoziiert, kann auch Molina selbst als Spinnenfrau gesehen werden. Einen Kuss gibt es auch: ausgetauscht zwischen den beiden Männern, am Morgen nach der einzigen Liebesnacht.

Das war für 1985 schon sehr mutig: Ein Kuss zwischen zwei Männern, die auch noch Sex miteinander hatten, auch wenn der Film sehr behutsam und diskret damit umgeht.

„Kuss der Spinnenfrau“ hat – wie der Nazi-Liebesfilm bereits andeutet – kein Happy-End. Molina – der eigentlich Valentin ausspionieren sollte und zum Schein entlassen wird, um den Sicherheitsdienst auf die Spur der Bewegung zu bringen – stirbt draussen für seinen Liebesdienst an Valentin, ohne diesen zu verraten. Valentin wird erneut schwer gefoltert – man kann davon ausgehen, dass er das Gefängnis nicht überleben wird.

Die Geschichte des Films jedoch ist eine Erfolgsstory. Nach einer chaotischen einjährigen Post-Produktionsphase gerät der Film über Umwege auf das Festival in Cannes. Dort ist er schlagartig ein Erfolg, William Hurt gewinnt den Darstellerpreis, Hector Babenco wird für die „Goldene Palme“ nominiert.

Der Film, zunächst in nur einem Kino in New York angelaufen, wird zum erfolgreichen Selbstläufer, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa.

Bei der „Oscar®“-Verleihung 1986 gewinnt Hurt den „Oscar®“ für seine Darstellung – eigentlich hätte dieser „Oscar®“ zwischen Hurt und Julia geteilt werden müssen – mit gleichzeitigen Nominierungen des Films als „Bester Film“, für „Beste Regie“ und „Bestes Drehbuch“.

Die DVD – auf die man lange hat warten müssen – ist als Doppel-DVD ausgestattet. Der Film ist im Original (sehr zu empfehlen) mit – ausblendbaren – Untertiteln und in deutscher Synchronisation erhältlich, die deutsche und englische Tonspur ist sowohl in DD 1.0 als auch DD 5.1 anwählbar, wobei DD 1.0 völlig ausreichend ist.

Die zweite DVD enthält ein sehr detailliertes „Making of“ (ich würde empfehlen, sich dieses vor dem Film anzusehen) sowie Informationen über den Autor der Vorlage, Manuel Puig, und einige detallierte Filmbetrachtungen.

„Kuss der Spinnenfrau“ gehört zu jenen Glücksfällen der Filmgeschichte, die trotz widrigster Umstände dennoch realisiert werden konnten. Längst hat sich der Film einen Platz im Film-Olymp der „All Time Classics“ gesichert – und seine beiden Hauptdarsteller aufgrund ihrer mehr als herausragenden Leistungen einen ewigen Platz auf der Allzeit-Besten-Liste schauspielerischer Leistungen.

„Kuss der Spinnenfrau“, Brasilien/USA 1985, Regie Hector Babenco, ca. 124 Minuten, als Doppel-DVD erhältlich

© frida 2011

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