Das Indische Filmfestival Stuttgart 2012 – Eine Rückschau – 2. Teil

Von Süd nach Nord: Von Tamil Nadu nach Bollywood in Las Vegas

Der Elefant wacht jedes Jahr

(1) Das Tamil- Special

Die Vielsprachigkeit und die gleichzeitig damit einhergehende kulturelle Vielseitigkeit des Subkontinents spiegelt sich selbstverständlich auch in seinem Filmgeschehen wieder.

Unter der Nicht-Hindi-sprachlichen Filmindustrie ist besonders das große südindische Kino mit seinen Sprachen Malayalam (Kerala), Kannada (Karnataka), Telugu (Andhra Pradesh) und Tamil (Tamil Nadu) hervorzuheben. So sehr sich Südindien kulturell von Nordindien unterscheidet, so sehr unterscheiden sich auch Hindi-Film und südindischer Film.

Sie unterscheiden sich so sehr, dass es gang und gäbe ist, gleich ein Remake von dem einen Hindi-Film oder dem anderen südindischen Film zu drehen oder etwa zwei Versionen parallel zu verfilmen – wie Mani Ratnam es häufig praktiziert – anstatt den einen oder anderen Film jeweils in den Kinos der anderen Region zu zeigen. Es gibt nur wenige Regisseure – wie etwa Mani Ratnam – die in der Filmsprache beider Filmregionen zuhause sind. Und ein Mammoothy oder Rajinikanth besitzen gottgleichen Kultstatus im südindischen Film wie das für Shah Rukh Khan für den Hindi-Film gilt.

Es gibt außer auf Festivals hier sonst kaum Möglichkeiten, auch Filme aus Südindien zu sehen. Auch ich habe nur sehr unvollständige Kenntnisse über diesen Film, eigentlich nur das, was ich selbst in Südindien wahrgenommen habe. Darum war es eigentlich keine Frage, sich aus dem Tamil-Special des Festivalprogramms einige Filme herauszusuchen. Wir entschieden uns zum einen mit „SindhuBhairavi” für einen älteren Film aus dem Jahr 1985 und zum anderen mit „3 (Three)” für eine aktuelle Produktion aus dem Jahr 2011.

„SindhuBhairavi” wurde als Hommage an die indische Filmlegende Suhasini Maniratnam, Ehrengast und Jurymitglied des Festivals, gezeigt. Suhasini, seit 1989 mit dem auch bei uns bekannten Regisseur Mani Ratnam („Dil Se”, „Guru”, „Bombay”, „Ravanaan”) verheiratet, gab eine Einführung in den Film. Sie spielt den Part der Sindhu in einem Drama, in dem ein eher schwacher Mann sich in einer Dreier-Beziehung fast verliert.

JKB, populärer Sänger südindischer klassischer Ragas, ist mit Bhairavi verheiratet, einer Frau, die keinen Sinn für die Musik hat, sondern ihre Erfüllung im häuslichen Dasein und dem Versuch, Mutter zu werden, findet. Er lernt Sindhu kennen, eine lebhafte und gebildete junge Frau, die seine Liebe zur Musik vollständig teilt. Beide verlieben sich ineinander, aber aufgrund des gesellschaftlichen Drucks müssen die beiden sich trennen.

JKB ertränkt seinen Kummer im Alkohol – er wird zu einer Art südindischem Devdas (dem bekanntesten Trinker der indischen Literatur-und Filmgeschichte) – und verliert damit seine Fähigkeit zu singen. Bhairavi merkt schließlich, dass nur Sindhu JKB vom Alkohol heilen kann und holt diese aus dem selbst gewählten Exil zurück. JKB erholt sich und tritt wieder als Sänger auf. Als JKB zu erkennen gibt, dass er Sindhu heiraten möchte und Bhairavi in diese Konstellation einwilligt, wird Sindhu von seinen Freunden gezwungen, wieder fortzugehen.

Monate später kehrt sie anlässlich eines Konzerts zurück. Sie bringt ein besonderes Geschenk mit – JKB’s Sohn, den sie zwischenzeitlich in Chennai zur Welt gebracht hat (Bhairavi ist nämlich unfruchtbar). Gegen jede gesellschaftliche Regel überlässt sie ihren Sohn Bhairavi und kehrt nach Chennai zurück.

„SindhuBhairavi” war ein großer Hit des südindischen Kinos. Suhasini fällt mit ihrer im Vergleich zur statuarischen Darstellung der anderen Hauptdarsteller sehr dynamischen und modern zu nennenden Spielweise deutlich aus dem Rahmen. Sie hat immer wieder starke Frauencharaktere gespielt und auch hier ist sie dem Charakter des Mannes deutlich überlegen, obwohl dieser die Hauptfigur ist.

Ansonsten lebt der Film von einer sehr expressiven Symbolik (da schlagen die hohen Wellen an die Felsen, Feuerwerke werden abgebrannt, den Göttern wird ausgiebigst gehuldigt), die auf uns heute manches Mal unfreiwillig komisch wirken. Aber man muss solche Filme in ihrer Zeit und ihrer Kultur sehen. Tanzszenen gibt es keine, aber dafür südindische Ragas satt.

Technisch ist der Film weit hinter Filmen, die zur gleichen Zeit im Westen entstanden sind, zurück. Da hat zumindest das Hindi-Kino inzwischen einen Quantensprung gemacht.

Sehr expressiv ging es auch in dem modernen Tamil-Film „3 (Three)” weiter. Regisseurin Aishwarya Dhanush erzählt zwei Geschichten in einer. Was als nette Liebesgeschichte beginnt, kippt nach der Pause (jeder indischer Film hat eine „Intermission”) völlig überraschend in ein Drama, das am Ende nicht gut ausgeht.

Ram und Janani lernen sich bereits als Schüler kennen und lieben. Nach jahrelanger Geheimhaltung gelingt es ihnen trotz der elterlichen Vorbehalte auf beiden Seiten zu heiraten. Aber als endlich als gut zu werden scheint, verändert sich Ram schleichend. Es stellt sich heraus, dass er an Bipolarität erkrankt ist, für sich und andere zur Gefahr wird (der Titel des Films „3 (Three)” bezieht sich auf die Dreier-Konstellation Ram, Janani, Rams Krankheit).

Janani bleibt währenddessen ahnungslos, kann sich die Stimmungsschwankungen ihres Mannes nicht erklären. Obwohl Ram sich behandeln lässt, bekommt er sich jedoch nicht unter Kontrolle. Als er fürchten muss, dass er eines Tages Janani umbringen wird, zieht er die Notbremse und begeht stattdessen Selbstmord.

Während man im ersten Teil des Films noch mit dem sympathischen Pärchen mitfiebert, ob sie es denn nun schaffen werden, wird man im zweiten Teil völlig von den sich nun überschlagenden Ereignissen überrannt. Die Bipolarität Rams wird so überdeutlich in Szene gesetzt, dass ich mich auf der einen Seite meinen Gefühlen nicht erwehren konnte, mich aber auf der anderen Seite gewundert habe, warum ich so reagiere.

Janani bleibt passiv, sie stellt Ram nicht wirklich zur Rede. Alles, was sie am Ende weiß, erfährt sie aus der Erzählung des engsten Freundes, dem einzigen, der von der Krankheit Rams wirklich wusste.

Es wird viel geredet, viel geweint, an der Grenze zum „over acting” in der Mimik, ohne dass aber die Personen tatsächlich aktiv handeln. Das schlägt sich auch in der schauspielerischen Darstellung nieder, die in ihrer Beweglichkeit eher gebremst ist. Tanzszenen gibt es im übrigen auch keine, nur zwei Songs.

Was nicht bedeutet, dass der Film schlecht ist oder mir nicht gefallen hätte, ganz im Gegenteil. Aufgefallen ist mir jedoch noch, dass, obwohl eine Frau Regie geführt hat und auch gleichzeitig für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, die Figur der Janani sich so wenig emanzipiert. Als Schülerin hat sie noch Träume von Ausbildung und selbstbestimmten Leben, als verheiratete Frau ist sie dann nur noch wie selbstverständlich Hausfrau. Darin hat sich das Hindi-Kino mittlerweile doch schon ein weiter entwickelt.

Und bevor ich nun den Bogen zum Hindi-Film schlage, möchte ich Sie nicht überfordern und mich stattdessen gesondert in einem dritten Teil meiner Rückschau mit der Hindi-Komödie „Ek Main Aur Ekk Tu” („Hochzeit mit Folgen”) beschäftigen.

© frida 2012

Foto: eigenes

http://www.bollywood-festival.de

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