Afrikanische Träume

Wenn ich sie alle zusammen zählen sollte, ich hätte vergessen wie viele es waren. Meine Träume bei Nacht, nicht bei Tag. Sie unterschieden sich nicht durch das Licht, das fehlte auch nachts nicht. Die tagsüber waren bestimmt durch eine gewisse Kürze, ein Moment der Abwesenheit, den ich mir damals in Schulstunden leistete, wenn es all zu wichtig wurde, oder eine Gedankenversunkenheit an einem der vielen Biertresen, an denen man so herrlich träumen konnte, während ich die Blasen im Glas begann zu zählen. Ich konnte einem Gegenüber zuhören. Selbst wenn ich an Afrika dachte, konnte ich das, und er merkte nicht wie weit ich weg war während er weiter erzählte.

Afrika!

Wenn etwas mit Traum zu tun hatte, wie oft war ich dann dort? Wie lange fort in seinem Gras, das so schnell wuchs wie es sterben konnte? Einmal saß ich am Rand hoch über einem Tal auf einer Klippe, über die der Tag gefallen war. Ich war allein. In seinem typischen Schweigen schien der Vollmond in die Ebene, durch die sich der Fluss wand. Still war er wie die Blumen mit ihren hunderttausenden weißer Blüten, die seinen Rand säumten. Das Ganze war wie ein edles Stückchen Stoff, durch den ein Reißverschluss lief. Die Hänge am Einschnitt fielen dunkel bis schwarz, und ganz oben oberhalb der Bergkette begann der Himmel.

Vornehm und zurückhaltend, sich seiner Weite sehr bewusst, warf er mir ein paar Sterne hin. Ich spürte wie kalt oder heiß sie waren. Spürte, ob es Eis war aus Licht oder Licht aus Eis. Nie saß ich länger hier. Afrika ließ es nicht zu. Ich begann Weite zu ermessen oder Zeit, die nichts anderes war als etwas zwischen den Weiten. Ich suchte nach Tieren, die sich nur nachts heraus trauten, sich ihrer Unsichtbarkeit vergewisserten und am Fluss wagten zu trinken.

Zum Fluss sprang ich durch den weichen Sandhang, lief durch die Blumenwiese und stand bald an seinem Rand. Große Steine luden mich ein ihn zu überqueren. Manche erkannte ich kurz unter der Wasseroberfläche. Er führte Niedrigwasser. Ihn zu überwinden kostete mich nichts außer nassen Füßen und etwas Furcht die Balance zu verlieren. Als ich mich umsah fehlten die Steine, der Fluss führte Hochwasser. Die schöne Wiese lag weit entfernt. Oben am Hang sah ich mich selbst sitzen. Mein zweites Ich. Ich winkte ihm zu mir zu helfen, doch es bemerkte mich nicht.

Als ich laut um Hilfe rief, klang es in der Wirklichwelt meines Schlafzimmers wie ein Wimmern. Ich fror, weil ich zuvor geschwitzt hatte und erwachte. In erreichbarer Entfernung mein Wecker, der spätestens um fünf Uhr alle Träume beendet hätte. Zeitgerecht könnte man sagen, und so elend wahr, dass ich mir die Blumenwiese wieder herbei sehnte und das, was ich bis heute unter Afrika verstehe. Etwas ohne Horizont durch seine Größe, eher dem Himmel zuzuordnen als der Erde. Etwas, bei dem Freude die Angst überwältigt, die Gegenwart zählt, weil die Zukunft schnell vorbei ist wie das Gras, in dem es noch am Morgen an einem der beiden Ufer wagt zu blühen.

  • Jetzt habe ich mich zu dir an den Rand der Klippe gesetzt und über die Weite geschaut. Sehr schöner, entführender Text.

  • Ein bizarres und doch weiches Traumbild, das die Vorstellung, das die „Freude die Angst überwältigt“, sehr klar widerspiegelt. Die beiden „Ich“, eines auf der Klippe, das andere im Fluss, sind genau die beiden „Ich“, die am Biertresen sitzen, das eine, das zuhört, das andere, das durch Afrika reist.
    Besonders gefällt mir der Wecker, der alle Träume beendet hätte – und doch nicht hat.

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