fridas Filmkritik: Roland Emmerichs „Anonymus”
Ist, wo „Shakespeare” drauf steht, gar kein „Shakespeare” drin? Roland Emmerichs „Anonymus” zwischen Politthriller und wilder Spekulation.
Regisseur Roland Emmerich ist im Kino durch seine großen Action-Spektakel wie „Independent Day” oder „The Day after Tomorrow” bekannt geworden bzw. aufgefallen. Kein Regisseur also, für dessen Filme ich ins Kino gehen würde.
Mit „Anonymus” verhielt es sich jedoch anders. Ein Film, nein, nicht über William Shakespeare, sondern die Möglichkeiten auslotend, ob Shakespeare tatsächlich der Autor jener unsterblichen Meisterwerke ist, oder ob vielleicht ein ganz anderer Autor dahinter steckt, einer, der von Bildung und gesellschaftlichem Stande viel näher an eine solche schriftstellerische Leistung heranreicht.
Ein Film also, der vom Sujet her völlig atypisch für das bisherige Werk Emmerichs zu sein versprach. Tatsächlich ist „Anoymus” weniger eine Auseinandersetzung mit der Autorenschaft Shakespeares – weil er diese bereits als nicht gegeben voraussetzt – sondern ein veritabler Politthriller, der sich an vielen Ingredenzien Shakespearescher Dramen und Tragödien bedient.
Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, ein Dichter und Poet, Förderer der schönen Künste, steht bis heute ganz oben auf der Liste derjenigen, die für einen kleinen Teil der Shakespeare-Rezeptionisten (den „anti-stratfordians”) als „wahrer” Autor hinter dem Werk infrage kommen. Argumentierend vom fehlenden Bildungshintergrund William Shakespeares (der Vater war Handschuhmacher, eine schulische Ausbildung ist nicht bekannt) soll es stattdessen de Vere gewesen sein, der für „Hamlet” & Co. als Autor zeichnet.
„Anonymus” greift diese – bisher unbewiesen gebliebene – Theorie auf und rückt de Vere in den Mittelpunkt des Geschehens. de Vere (Rhys Ifans), einst Liebhaber Elizabeth I. (Vanessa Redgrave und Joely Richardson – Mutter und Tochter – als alte und junge Elizabeth), darf aufgrund eines Handels mit William Cecil (David Thewlis), dem mächtigen Staatssekretär Elizabeths, nicht seine Werke veröffentlichen oder aufführen lassen. de Vere und die Familie Cecil – eine, die dem puritanischen Calvinismus huldigt – sind verwandtschaftlich miteinander verbunden, Robert Cecil (Edward Hogg), der Sohn Williams, bereits als Nachfolger seines Vaters im Amte nominiert.
Robert ist ein verlogener, machtgieriger Unsympath, zudem mit einem Handicap – einem Buckel – ausgestattet – für de Vere ein reales Vorbild für seinen „Richard III.”. de Vere will zusammen mit seinen Freunden am Hof, dem Earl of Essex (Sam Reid) und dem Earl of Southampton (Xavier Samuel), verhindern, dass Robert die Nachfolge seines Vaters antritt. Robert spinnt wiederum seine Intrigen gegen das Trio, um die Macht der Familie Cecil zu erhalten und außerdem James, dem King of Scotland, die Thronfolge nach Elizabeth zu sichern.
de Vere sucht eine Möglichkeit, seine Werke, die sich hintersinnig kritisch mit den politischen Verhältnissen auseinandersetzen, ins „Globe”-Theater, das bereits eine große Reputation hat, zu lancieren. Er findet sie zunächst in der Gestalt von Ben Jonson (Sebastian Armesto), einem zu dieser Zeit sehr populären Autor, aber Jonson traut sich nicht recht und ist unter seinen Dichterkollegen auch zu wenig glaubwürdig für diese Art von Dichtung.
Da bietet sich ein Schauspieler des „Globe”, Will Shakespeare (Rafe Spall), an, seinen Namen für de Veres Werke herzugeben. Natürlich nicht, ohne entsprechend dafür entlohnt zu werden. Shakespeare selbst wird als eitler, geldgieriger, halb-analphabetischer Fatzke beschrieben, dem jedes Mittel recht ist, um Ruhm zu ernten. Auch Ben Jonson ist eher ein Anti-Held. So verrät er aus gekränkter Eitelkeit die Aktivitäten de Veres und Essex, rettet jedoch später de Veres Werke vor der endgültigen Vernichtung.
Das Theater ist für de Vere nicht nur der Ort seiner künstlerischen Vollendung, sondern auch der Ort, in dem er Politik machen kann, da er bereits in seiner Jugend vom Hofe verbannt wurde. Aber der Poet ist den Machenschaften eines Robert Cecils nicht gewachsen. „Richard III.” rührt das Volk gegen Cecil zwar auf, aber dieser hat bereits schon im Vorfeld vorgesorgt. Elizabeth ist gnadenlos in ihrer Rache, der Essex zum Opfer fällt (hier wird die historische Rebellion des 2ten Earl of Essex mitverarbeitet).
Bevor de Vere resigniert stirbt, vertraut er Jonson noch seine Werke an. Und während Shakespeare sich nach Stratford abgesetzt hat und das „Globe” von Cecils Leuten niedergebrannt wird, wird Jonson zum Hüter von de Veres Werken, die natürlich vor dem neugekrönten König James I. aufgeführt werden.
„Anonymus” springt so munter zwischen den Jahrzehnten hin und her, dass man schon ein bisschen aufpassen muss, in welchem Jahr man sich gerade befindet. Emmerich hat sich für seinen Film offensichtlich von „Die Tudors” und den beiden „Elizabeth”-Filmen (von Shekar Kapoor) inspirieren lassen. Die Tragödie de Veres, die Ränkespiele am Hofe, die Geilheit nach Ruhm und Macht sind natürlich angelehnt an diverse Dramen unseres verehrten Dichters – nein, nicht de Vere, sondern dem einzig wahren William Shakespeare. Da „Anonymus” sich aufs Dramatische kapriziert, fehlt ihm – leider – die Leichtigkeit von „Shakespeare in Love”, so kommen die wunderbaren Komödien auch nur am Rande vor.
Die Darsteller schlagen sich wacker, allen voran Rhys Ifans, der mir neben Vanessa Redgrave und Joely Richardson als einziger geläufig ist. Joely Richardson als junge Elizabeth gefällt mir besser als Vanessa Redgrave in der Rolle als gealterte Elizabeth, die sie für meinen Geschmack ein wenig zu sehr in die Nähe von Senilität rückt – Altersstarrsinn hätte es auch getan.
Wirklich gut sind die Bilder und das Setting von „Anonymus” gelungen. Emmerich hat hier seine Erfahrungen mit digital erschaffenen Bildwelten perfekt umsetzen können. In Sepia-Tönen eingefärbt, sind die Bilder oft sehr dunkel, nur unzureichend von Kerzenlicht erhellt, da Herbst und Winter die bevorzugten Jahreszeiten sind und die Menschen tatsächlich im Dunklen lebten.
Insgesamt ist Emmerich mit „Anonymus” ein unterhaltsamer – für seine Verhältnisse kleiner – Film gelungen. Dass einige Shakespeare-Aficionados sich vom Ansatz des Films persönlich auf die Füße getreten fühlen, halte ich – gelinde gesagt – für übertrieben. Shakespeare hätte wahrscheinlich seinerseits darüber eine Komödie gemacht.
„Anonymus”, Regie: Roland Emmerich, D/UK 2011, ca. 130 min
© frida 2011
Dirty Harry
6. Dez 2011
Eine tolle, wirklich treffende Filmkritik!
Ich habe mir den Film auch gegönnt, und obwohl ich Roland-Emmerich-Werke durch die Bank grässlich finde, so bin ich von „Anonymus“ sehr angetan (was auch an den guten Darstellern liegen mag).
Der Film ist solide inszeniertes Historienkino mit viel Liebe zum Detail. Er enthält ein paar Klischees, die aber nicht weiter stören, weil viel Ironie im Spiel ist. Eine gute Dosis Action gewährleistet Kurzweil.
Natürlich hat „Emme“ auch hier und da was verhunzt – etwa die hanebüchene Essex-Sterbeszene (auhauaha) -, aber für seine Verhältnisse hat der Schwabe wahrhaftig ein echtes Kunstwerk abgeliefert. Kann ich nur empfehlen!