fridas Filmkritik: „Jane Eyre” – Neu verfilmt von Cary Fukunaga
Wie die Romane von Jane Austen sind auch die der Brontë-Schwestern nach wie vor für das Kino aktuell. Mit Cary Fukunagas Version von „Jane Eyre” ist nun eine weitere Verfilmung von Charlotte Brontës Roman aktuell in die Kinos gekommen.
Sie hatten tragisch kurze Leben, die Schwestern Brontë. Charlotte, die älteste, wurde gerade mal 39 Jahre alt, Anne starb mit 29 Jahren, Emily wurde knapp 30 Jahre alt. Sie hinterließen ein überschaubares Werk, Emily schrieb sogar nur einen einzigen Roman – aber was für einen: „Wuthering Heights” („Sturmhöhe”), dessen Titel schon Programm ist. Anne brachte es auf zwei Romane: „Agnes Grey” und „The Tenant of Wildfell Hall”(„Die Herrin von Wildfell Hall”) und Charlottes Werk umfasst immerhin vier Romane: „Jane Eyre”, „Shirley”, „Vilette” und „The Professor”.
Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass die Brontë-Schwestern – wie ihre ältere Kollegin Jane Austen – zu den beliebtesten Schriftstellerinnen der englischen Klassik zählen, die Faszination an ihrem Werk und ihrem Leben nach wie vor ungebrochen ist. Das gilt für die filmische Umsetzung gleichermaßen. Insbesondere „Jane Eyre” und „Wuthering Heights” sind immer wieder für Film und Fernsehen neu in Szene gesetzt worden.
Nun hat sich der junge amerikanische Regisseur Cary Fukunaga („Sin Nombre”) an „Jane Eyre” gewagt. Er ist nicht gescheitert, hat aber nicht alle Versprechungen einer zeitgemäßen Interpretation eingelöst. Fukunagas „Pech” – wenn man es so nennen will – ist, dass die BBC sich 2006 noch einmal des Stoffes als TV-Mini-Serie annahm und namentlich in der Figur und Darstellung des Mr Rochester und in der überaus frischen Interpretation der unterschwelligen Erotik und Leidenschaftlichkeit die Meßlatte für künftige Verfilmungen derart hochlegte, dass sich jede(r) nachfolgende Regisseur(in) schon ordentlich nach der Decke strecken muss, um diesen Standard zu erreichen.
Nein, eine romantische Heldin ist sie wahrlich nicht, diese Jane Eyre, keine ätherische Schönheit, in gesicherten Verhältnissen lebend. Stattdessen ist sie bereits schwer gebeutelt vom Leben, als Kind von einer eiskalten Tante abgeschoben in die Institution Lowood, wo die Mädchen misshandelt werden und in einer Typhus-Epidemie wegsterben wie die Fliegen. Aber Jane überlebt und beißt sich durch, schafft es tatsächlich, eine Stelle als Gouvernante zu bekommen.
Sie soll das Mündel des Herrn von Thornfield Hall, Mr Rochester, unterrichten und anleiten. Von Mrs Fairfax, der mütterlichen Haushälterin, liebevoll in den Haushalt aufgenommen, lebt sich Jane ein – bis endlich der Hausherr auftaucht. Schon die erste Begegnung verläuft dramatisch – Rochester – kein „gutaussehender” Mann – ist ein eher furchteinflößender, etwas grober Klotz, aber mit einem empfindsamen Herzen, wie sich zeigen wird. Rochester ist ein vielschichtiger Charakter, mit dunklen, aber auch hellen, liebevollen Seiten, während Jane über eine offene, praktische Natur verfügt.
Es kommt wie es kommen muss: Rochester und Jane verlieben sich ineinander, Jane gibt schließlich Rochesters Werben nach und willigt in eine Heirat ein. Aber Rochester hat ein dunkles Geheimnis, das scheinbar fest verschlossen in den abgelegenen Zimmern des Herrenhauses zuhause ist und bereits für seltsame Ereignisse gesorgt hat.
Am Tag der Hochzeit wird es offenbar: Rochester ist bereits verheiratet, mit einer Frau, Bertha Mason, die ihm als junger Mann auf den Westindischen Inseln praktisch untergeschoben wurde. Bertha ist psychisch krank, daher weggeschlossen in Thornfield Hall.
Rochester versucht Jane, davon zu überzeugen, mit ihm auch ohne Trauschein zu leben, aber sie will nicht als Geliebte Rochesters durch die Welt ziehen und damit sowohl ihre moralischen Vorstellungen als auch ihr Selbstwertgefühl untergraben.
Jane verschwindet am nächsten Tag aus Thornfield Hall. Sehr krank wird sie nach tagelangem Umherirren von dem Pfarrer St.John Rivers und seinen Schwestern gerettet. Sie gibt sich nicht als Jane Eyre zu erkennen, nimmt eine Stelle als Lehrerin in St. John Pfarrei an. St. John, der eigentlich eine andere liebt, aber nicht dazu stehen kann, versucht Jane davon zu überzeugen, mit ihm als Ehemann als Missionare nach Indien zu gehen. Aber Jane lehnt dies ab. Nach einigen Irrungen und Wirrungen kommt Jane endlich in den Genuss einer Erbschaft, und es stellt sich heraus, dass Jane und die Rivers-Geschwister Cousin und Cousinen sind.
Jane ist nun finanziell unabhängig. Sie beschließt, noch einmal nach Thornfield Hall zu reisen. Aber dort angekommen, findet sie nur eine ausgebrannte Ruine vor. Von Mrs Fairfax erfährt sie, dass Bertha Mason den Brand verschuldet hat und Rochester selbst bei der Rettung seines Personals schwer verletzt wurde und als Folge erblindet ist.
Jane sucht sofort Rochester auf. Sie ist nun bereit, da auch er nun frei ist, mit ihm ihr Leben zu teilen, mit allen Konsequenzen.
Fukunaga zäumt den Stoff von hinten, also in einer langen Rückblende auf, was unproblematisch ist, da auch jemand, der mit dem Roman nicht vertraut ist, sich schnell einfindet. Allerdings kürzt er an Stellen, die zum einen zum Verständnis von Jane und Rochester meines Erachtens durchaus notwendig sind, zum anderen die sozialkritische Einfärbung des Romans deutlich werden lassen.
Zum einen wird aus der Lowood-Szenerie das ganze schreckliche Ausmaß dieser Institution nicht klar genug. Zum anderen hat Rochester im Roman in Thornfield Hall einen längeren Besuch von Herrschaften aus seiner sozialen Schicht, darunter eine potentielle Heiratskandidatin, Blanche Ingram, ein geistig hohles Mädchen, das sich darin gefällt, über Gouvernanten im allgemeinen und über Jane im besonderen lustig zu machen. Abgesehen davon, dass Blanche Ingram von Rochester nur als Mittel zum Zweck, nämlich Jane eifersüchtig zu machen, eingesetzt wird, ist die herabwürdigende Situation für Jane nahezu unerträglich.
Fukunaga beschränkt sich hier auf einige Blitzlichter, die die soziale Stellung von Jane und ihre Missachtung durch die scheinbar „hochwohlgeborenen” Herrschaften nur unzureichend erhellen. Hier hätte etwas mehr Mut zu mehr Länge dem Film durchaus gut getan.
Fukunaga ist angetreten, eine zeitgemäße Interpretation auch der handelnden Figuren zu liefern. Mia Wasikowska löst das mit ihrer Interpretation der Jane Eyre ein. Sie verleiht diesem Charakter eine glaubwürdige Entwicklung zu einer sich selbst gefundenen und selbstbewussten, sich in ihrem Wert bewussten jungen Frau, über alle Widrigkeiten – aus denen Jane Eyre ihre eigenen Lehren zieht – hinweg.
Was man leider über die Anlage des Mr Rochester nicht sagen kann. Michael Fassbenders Rochester ist ein zu statischer, zu zurückhaltender Charakter, der aufgrunddessen die in ihm brodelnden Leidenschaften weder auf Jane Eyre noch auf die Zuschauer übertragen kann. Der Mann ist ein erotisches Pulverfass, bei Fukunaga jedoch viel zu sehr englischer Gentleman, um dunkel verlockend zu sein.
Das ist ein deutlicher Rückschritt von Fukunaga, der besser daran getan hätte, sich auch in dieser Beziehung an der mehr als treffenden Darstellung des Rochester durch einen entfesselten Toby Stephens zu orientieren, immerhin hat er für das Herrenhaus das gleiche Setting wie die BBC in 2006 benutzt.
Unbedingt erwähnenswert sind Judi Dench als gütige Mrs Fairfax und in einer Kurzrolle Sally Hawkins als schreckliche Tante Mrs Reed. Hier kann man wieder einmal die schauspielerische Klasse dieser beiden bewundern, die ihre ganz eigene Präsenz besitzen.
Zugute halten muss man Fukunagas Film das ausgezeichnete Setting und die auserlesenen Bilder, die – da die Szenerie überwiegend im Herbst/Winter spielt – das Dunkle und Kalte fast physisch widerspiegeln. Komplementiert wird die Szenerie durch einen klassisch inspirierten Soundtrack von Dario Marianelli.
Alles in allem ist Cary Fukunagas „Jane Eyre” eine ordentliche Arbeit, getragen vor allen Dingen durch die Bildsprache und das Spiel von Mia Wasikowska. Die Verfilmung ist gediegen, aber weit entfernt davon, eine Offenbarung zu sein.
Wer sich einmal eine in der Zeit gebliebene und doch wunderbar moderne Verfilmung von „Jane Eyre” ansehen möchte, dem würde ich zur BBC-Miniserie aus 2006 raten. Diese ist als 2er DVD sowohl synchronisiert als auch deutsch untertitelt erhältlich.
„Jane Eyre”, Regie: Cary Fukunaga, UK/USA 2011, ca. 120 min.
© frida 2011
Songline
9. Dez 2011
Ich habe dieser Tage das „Making off“ von Jane Eyre gesehen und war neugierig. Nach dieser ausführlichen und gut argumentierten Kritik sollte ich mich aber vielleicht lieber in die Videothek als ins Kino begeben.