fridas Filmtipp: „Der Seidenfächer” von Wayne Wang

Der amerikanisch-chinesische Regisseur Wayne Wang erzählt in seinem neuesten Film die anrührende Geschichte einer Wahl-Schwesternschaft aus dem alten und neuen China.

Von der chinesischen Sitte des Füße-Bindens – sog. „Lotus”-Füße galten in weiten Teilen Chinas als sexy, waren aber gleichzeitig für die betroffenen Frauen mit schlimmsten Folgen verbunden – hat sicherlich der eine oder andere schon gehört. Dass es in der Provinz Hunan Sitte war, junge Mädchen aus verschiedenen Familien in einer sog. „laotong”, einer Art „Wahl-Schwesternschaft” Zeit ihres Lebens aneinander zu binden, wissen sicherlich nur diejenigen, die sich intensiver mit chinesischer Kultur auseinandersetzen.

Solche „laotongs” wurden bereits im Babyalter bestimmt. Die Mädchen konnten dabei auch aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammen. Eine „laotong” war unlösbar und wurde per Kontrakt besiegelt. Jede Frau konnte nur eine „laotong” haben.

Wichtigster Bestandteil einer „laotong” war, dass beide Frauen sich ein Leben lang emotional bedingungslos zur Seite stehen sollten, um sich durch die Fährnisse des weiblichen Lebens zu geleiten. In der Ehe galt es für die Frau, Söhne zu gebären und ansonsten dem Mann und dessen Familie untertan zu sein. Gefühle sparte man sich für die Schwester in der „laotong” auf. Die Frauen kommunizierten untereinander in „nu shu”, einer eigenen Frauensprache. So konnten sie sich Botschaften senden, die für andere geheim blieben.

Der amerikanisch-chinesische Regisseur Wayne Wang, bei uns bekannt vor allem durch die Filme „Töchter des Himmels” und „Smoke”, erzählt in seinem neuesten Film „Der Seidenfächer” (Original: „Snow Flower and the Secret Fan”) die Geschichte einer solchen „laotong” und verknüpft diese mit der Geschichte einer Frauenfreundschaft im heutigen China, vor der Kulisse der Megalopolis Shanghai. Das Drehbuch beruht auf dem gleichnamigen Roman von Lisa See, allerdings wohl erweitert durch die moderne Komponente.

Vor dem aktuellen Hintergrund der fast zerbrochenen Freundschaft zwischen Nina (Bingbing Li) und Sophia (Gianna Jun), die beide als Teenager von der Sitte der „laotong” erfahren und eine solche eingehen, entwickelt sich die Geschichte der „laotong” von Lilie (ebenfalls Bingbing Li) und Snow Flower (ebenfalls Gianna Jun) aus dem alten China. Während Sophia nach einem Unfall im Krankenhaus im Koma liegt, entdeckt Nina Sophias Skript über „Snow Flower and the Secret Fan”.

Lilie und Snow Flower wurden als kleine Mädchen zu „laotongs”,bestimmt, beide wurden zur gleichen Zeit am gleichen Tag geboren und beiden wurden im gleichen Alter die Füße gebunden. Zwischen Lilie und Snow Flower entwickelt sich eine innigste Beziehung, die erst mit der Verheiratung von Lilie einen ersten Einschnitt erfährt. Lilie, die einen „idealen” sog. „Lotus-Fuß” entwickelt hat, wird aufgrund dessen in eine wohlhabende Familie verheiratet, obwohl sie aus einer niederen Schicht stammt. Snow Flower, die aus einer reichen Familie stammt, erleidet dagegen einen sozialen Abstieg, sie muss einen Fleischer heiraten, ein Beruf, der am untersten Rand der sozialen Leiter steht.

In „nu shu” beschriebene Seidenfächer werden zum einzigen Mittel, den Kontakt und die Kommunikation aufrecht zu erhalten. Beide Frauen durchschreiten in ihren lieblosen Ehen tiefste Täler, aber während Lilie durch die Umstände doch noch zur Herrin des Hauses aufsteigt, muss Snow Flower in Gewalt und Armut verharren. Lilie kann dies jedoch nicht akzeptieren. Sie bedrängt Snow Flower, ihren Mann zu verlassen und mit den Kindern zu ihr zu ziehen. Snow Flower, die die fürsorgliche Liebe der Freundin nicht aushalten kann und diese auch missverständlich als „Mitleid” interpretiert, verweigert sich. Schlimmer noch, sie bricht die „laotong”, was völlig unüblich ist. Erst als Snow Flower im Sterben liegt, kommt es zu einer Wiedervereinigung beider Frauen.

Nina erkennt, dass Sophie mit ihrem Roman die Geschichte ihrer eigenen Freundschaft erzählt. Auch Nina stammt ursprünglich aus einer materiell nicht so gut ausgestatteten Familie, während Sophia in gut situierten Verhältnissen aufwächst. Aber Nina macht als Bankerin einen sozialen Aufstieg, während Sophia nach dem Börsen-Crash und Tod des Vaters am Rande der Gesellschaft mäandert. Und Nina versucht – wie Lilie – in das Leben von Sophia einzugreifen – aus bedingungsloser Zuneigung zu ihr. Aber Sophia kann nur Mitleid dahinter erkennen. Scheinbar kommt es wegen einem Mann (in einer Mini-Rolle: Hugh Jackman) zum Bruch, aber die wahren Gründe liegen in fortwährenden Missverständnissen zwischen Nina und Sophia. Und während Lilie und Snow Flower erst im Tod der einen wieder zueinander finden, werden Nina und Sophia sich im Leben wiederfinden.

Wayne Wangs Film erzählt seine Geschichte in bedächtig anmutenden Bildern und langen Einstellungen, auch in den Szenen, die im nie schlafenden Shanghai spielen. Eine Erzählweise, die schon fast altmodisch zu nennen ist, aber nichts Betuliches an sich hat, ganz im Gegenteil. Trotz der Langsamkeit der Erzählung gelingt es Wang dennoch, die Spannung und das Interesse beim Zuschauer zu halten, insbesondere im historischen Part des Films, der nahezu 2/3 Drittel ausmacht und uns in eine doch weitestgehend unbekannte Welt entführt. Der Darstellerin der Lilie/Nina, die den größeren schauspielerischen Anteil zu meistern hat, gelingt es hervorragend auf weiten Strecken allein über ihre Mimik ihre Gefühle widerzuspiegeln.

Dass die innige Zuneigung vor allem von Lilie und Snow Flower von deutlichen homoerotischen Untertönen geprägt ist, geht der Film allerdings seltsam verdruckst an. Hier hätte man dem Regisseur mehr Mut zum Offensichtlichen gewünscht, zumal das der Story ja keinen Abbruch getan hätte.

Ein letztes: Obwohl ich von der Kategorisierung Männer-/Frauenfilm nicht allzu viel halte, ist dieser Film allerdings eindeutig ein Film für Frauen. Am besten zu sehen zu zweit mit seiner besten Freundin oder zu mehreren mit besten Freundinnen oder mit seiner Schwester oder einer anderen weiblichen Lieblingsverwandten.

„Der Seidenfächer” („Snow Flower and the Secret Fan”), Regie Wayne Wang, USA/China 2011, ca. 104 min.

Ein Nachtrag: „Der Seidenfächer” ist zu zwei Dritteln in chinesischer Sprache mit deutscher Untertitelung gehalten. Umso schmerzlicher fällt dann die deutsche Synchronisation ins Gewicht, die von der Stimmlichkeit und in der Intonation bei weitem nicht an die Original-Stimmen heranreicht. Man hätte besser daran getan, den Film gleich komplett im Original zu behalten.

© frida 2012

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