Das Indische Filmfestival Stuttgart 2012 – Eine Rückschau – 3. Teil
Von Süd nach Nord: Von Tamil Nadu nach Bollywood in Las Vegas
(2) Bollywood in Las Vegas: „Ek Main Aur Ekk Tu” („Hochzeit mit Folgen”)
Natürlich lebt ein Indisches Filmfestival auch von den großen Hindi-Film-Produktionen – bei uns gemeinhin unter dem Sammelbegriff „Bollywood” bekannt. Und so wurde an den 4 Veranstaltungstagen – lässt man den Eröffnungsabend außen vor – mindestens eine solche Filmproduktion gezeigt. Und da wir die meisten Filme schon durch Previews oder reguläres Kino kannten, haben wir uns für die Filmkomödie „Ek Main Aur Ekk Tu” entschieden, die zeitgleich am Aufführungstag auch DVD-Premiere hatte.
„Ek Main Aur Ekk Tu” stammt aus dem Haus „Dharma Productions”, also dem Produktionslabel von Karan Johar, der dem interessierten Publikum hier insbesondere durch seine Regiearbeiten mit Shah Rukh Khan bekannt ist. Karan Johar steht für das Segment gehobeneren mainstream inklusive guter Unterhaltung.
Mit „Ek Main Aur Ekk Tu” verlassen wir zunächst Indien und kehren in das Milieu der sog. NRI’s – der im Ausland lebenden Inder– ein, vorzugsweise in den Staaten, natürlich in Großbritannien oder in Australien.
Viele moderne Hindi-Filme siedeln sich gern unter Indern im Ausland an, auch weil man dort z.B. Geschichten erzählen kann, die in der Heimat schon etwas als anrüchig gelten würden. Bekanntlicherweise hat zwar Indien eine stetig wachsende Bevölkerung, aber schon das Wort „Sex” nur in den Mund nehmen, ist immer noch gewagt.
Aber nicht nur darum geht es in diesen Filmen, sondern auch um den gelockerten Umgang mit Traditionen, auch wenn am Ende viele dieser Filme sehr inkonsequent wieder brav zu den überlieferten Traditionen zurückkehren.
Allen gemeinsam ist, dass sie sich in der Regel an ein städtisches, junges Mittelstandspublikum wenden, also Menschen, die sich gerne als „Global Player” verstehen möchten.
Mit Imran Khan (der Neffe Aamir Khans) als Rahul Kapoor gut und Kareena Kapoor als Riana Briganza hochkarätig besetzt, ist dem Newcomer-Regisseur Shakun Batra (der bisher Erfahrung im Filmgeschäft als Assistent Director gesammelt hat) mit „Ek Main Aur Ekk Tu” ist eine Komödie gelungen, wie sie einst Hollywood zu drehen verstand, aber heute im westlichen Kino eher rar geworden ist.
Der Film hat Witz, ohne albern zu sein, sehr gutes Timing und Tempo und zwei Hauptdarsteller, denen man wünschen würde, dass sie zusammenkämen – aber das Drehbuch hat sich für einen anderen Kniff entschieden.
Zwei einsame, aber gänzlich unterschiedliche Seelen, die sich in Las Vegas am Weihnachtsabend treffen und sich nach durchzechter Nacht am nächsten Tag plötzlich verheiratet finden: Auf der einen Seite der aus der upper class stammende Rahul, der nie den Ansprüchen seiner Eltern genügen konnte und gerade frisch gefeuert wurde, einer, der seine Socken und Unterhosen bügelt und so gänzlich jenseits dessen ist, was man so unter „cool” versteht.
Auf der anderen Seite die vor Leben berstende Riana, eine chronisch abgebrannte Lebenskünstlerin, selbständige „hairstylistin” in diversen Kasinos und gerade mal wieder ohne Job, ohne Geld und auch ohne Wohnung.
Die Ehe muss natürlich geschieden werden, aber auch in Las Vegas geht das nicht ganz so schnell. Und da Riana ja wohnungslos ist, zieht sie kurzentschlossen bei Rahul ein. Darüber kommen die beiden sich näher, und da Riana ohnehin über Silvester nach Hause – also Mumbai – fliegt, nimmt sie Rahul kurzentschlossen mit.
Rianas Familie ist so ganz das Gegenteil der Kapoors, wo nur Geld und Extravaganz zählt. Die Briganzas sind eine bunte, leicht überdrehte Patchwork-Familie, die Rahul mit offenen Armen aufnimmt. Ja, und als dann noch Riana Rahul zu den Stätten erster Liebe mitnimmt, missdeutet Rahul Gefühle ganz gewaltig. Am Ende steht ein Lernprozess über Liebe, Freundschaft und Vertrauen, von dem beide profitieren.
Das ist alles mit leichter Hand in Szene gesetzt, ohne ein Leichtgewicht zu sein. Vor allem hat mir die Figur der Riana gefallen, eine durch und durch moderne junge Frau, die keine Kompromisse eingeht, die ein sexuelles Vorleben hat (was für die Frauenfiguren im indischen Kino immer noch nicht gängigist) und die ein selbst bestimmtes Leben führt.
Mit rund 111 Minuten durchschnittlich lang kommt keine Minute Langeweile auf. Der Film hat eine längere Tanzszene – das empfinde ich als grundsätzliches Manko im neueren Hindi-Film, dass leider zunehmend auf größere Tanzszenen verzichtet wird und man sich stattdessen auf begleitende Songs im Hintergrund beschränkt.
Das schmälert aber das Vergnügen an diesem Film nicht, der die in Hollywood fast schon ausgestorbene Kunst der Komödie auf indische Art weiterleben lässt.
Und damit beende ich meinen Rückblick auf das diesjährige Indische Filmfestival in Stuttgart und freue mich schon auf das nächste Jahr.
© frida 2012
Foto: eigenes
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