Status-Symptome der Gesellschaft
Sie sitzen am Bahnhofsplatz, füttern die Tauben, sind unter sich. Abends und an den Wochenenden fragen Einzelne, ob man ein wenig Kleingeld für die Notschlafstelle hätte, meistens ohne Erfolg. Manchmal sprechen sie Leute zwei-, dreimal an, wenn sich ihre Wege nochmals am selben Abend kreuzen. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich an sie. Sie gehören zum Stadtbild wie die Strassenlaternen. Doch nicht viele machen sich Gedanken über die Randständigen. Über den Menschen, die Geschichte und die Ängste dahinter.
Oli findet man Tagsüber in einem der besseren Shopping-Strassen der Stadt. Er steht immer an der gleichen Ecke. Fragt Passanten, die an ihm vorbei gehen, nach Geld.
„ Tut mir leid, ich habe kein Geld…“, sagte eine Frau, die soeben in einer Boutique ihren Kleiderschrank aufstockte, oder ein Mann ging einfach weiter. Er tuschelte, nach ein paar Schritten Entfernung mit seiner Begleitung, aber gerade noch in Hörweite von Oli, dass es eine Unverschämtheit sei. Diese Aussage hört er oft. Aber dies störe ihn nicht, sagt er immer. Es gibt Tage, da erhält er vielleicht zwei Franken, oder auch nichts. Im Winter sei es hart, sagt er. Überall wo man früher einen Unterschlupf gefunden hatte, wie zum Beispiel Bahnhöfe oder Kirchen sind nun Tabu, da die Polizei Kontrolle macht, oder die Gebäude am frühen Abend schliessen. Alternative für Obdachlose sind die Notschlafstelle, oder zum Beispiel Männer-/ und oder Frauenheime. Das Problem dabei ist, dass diese Institutionen kosten, und nicht jeder Glück hat, genug Geld zusammen zu betteln, dass es für eine Nacht reicht. Ein weiterer Faktor ist, dass Obdachlose mit psychischen, physischen oder drogenabhängigen Menschen unter einem Dach verbringen müssen. So entsteht der Eindruck gegen Aussen, dass ein Obdachloser automatisch auch drogensüchtig sei. So suchen einige, meistens junge Erwachsene leerstehende Gebäude oder Wohnungen, die sie besetzen, so lange bis es jemandem auffällt.
Es ist wieder so weit, die Messen des Jahres kommen in die Stadt. Da wo das teuerste noch zu billig ist, und wo sich ein George Clooney und ein Brad Pitt jährlich die Aufwartung bieten, müssen Oli und seine Kollegen verschwinden. Man rechtfertigt sich damit, dass man den Touristen es nicht zumuten könnte, kaum angekommen, schon um Geld angepumpt zu werden. Doch einige schaffen es dennoch, und sprechen auch die Touristen und feinen Herren der Gesellschaft an. Doch erwarten tut keiner etwas von ihnen. Nach der Frage, wer ihnen Kleingeld gibt, sagten die meisten, dass es eher Leute seien, die selber nicht viel davon hätten, oder Kinder, die anders, als ihre Eltern, frei vom Statusdenken seien.
Oli lief als Jugendlicher von zu Hause weg. Sein Vater hatte seine Mutter geschlagen und sie liess all ihren Frust an Oli aus. Weil er sich nicht von seinen Eltern verstanden fühlte, genug von der Schule hatte, und keinen grossen Sinn am Leben sah, stieg er aus. Da niemand in seinem Umfeld merkte, wie unglücklich er war, hinderte ihn auch niemand daran. Bald fing er an mit anderen jungen Leuten abzuhängen, die selbst null Bock hatten, das Leben richtig in die Hand zu nehmen, rutschte Oli in die Drogenszene ab. Jeder fand Unterschlupf bei einem anderen, und am Morgen war nicht sicher, bei wem man die Nacht verbringen würde. Das Geld schnorrte man sich bei einem anderen, der das Geld ebenfalls von einem Kollegen abgezwackt hatte. Doch nicht lange dauerte dieser Zustand und Oli raffte sich auf und wollte eine Lehre als Bäcker machte. Nach einem halben Jahr schmiss er die Lehre wieder hin. Er hasste das frühe Aufstehen. Jedoch war sein Meister sehr zufrieden mit ihm. Seither lebt er permanent auf der Strasse. Aber nun war er auf sich alleine gestellt, was für ihn auch stimmt. In der Gruppe zieht man sich eher runter, aber wer überleben wollte, sollte für sich selber schauen,meinte er. Das einzige, was ihm zu schaffen macht, ist die Ignoranz und Abneigung, die Menschen wie ihn, in die Tiefe fallen lassen.
Es ist Weihnachten. Pünktlich um sechs Uhr, legt der Fährmann, Manni seine Fähre an. Das Zelt stand, und Gabi, eine gute Freundin von Manni, kocht eine dicke Gemüsesuppe auf einem kleinen Gaskocher. Geschenke, teils selbstgemacht, neu gekauft oder secondhand, liegen verpackt auf dem Tisch. Sogar ein kleiner geschmückter Plastikweihnachtsbaum darf dabei nicht fehlen. Nicht lange lassen sich Rudi, Oli, Jojo und Pit auf sich warten. Mit der Zeit füllte sich das Zelt. Geschenke werden geöffnet, Suppe und Kuchen werden gegessen, Glühwein getrunken und man lacht und geniesst die Zeit, fern ab von irgendwelchem Status und denken anderer und lebt den Weihnachtsgeist.
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