Inga Hetten * Nachbetrachtung Gladbecklesung 04.10.2011

Ein erklärendes Vorwort von „Dirty“ Harry Michael Liedtke:
Liebe Netzkritzler!
Ich möchte Euch einen gar wunderbaren Nachbericht zu einer gar wunderbaren Lesung, an der ich aktiv beteiligt war, nicht vorenthalten (zumal ich sehr gut dabei wegkomme, hehe).
Der Report stammt von der gar wunderbaren, umwerfenden, hinreißenden, einzigartigen, phänomenalen (Noch-)Trierer Schriftstellerin Inga Hetten, uns allen wohlbekannt aus der gar wunderbaren „Unterwegs“-Netzkritzler-Anthologie. Auf geht’s!

Inga Hetten

Gladbeck, Stadtbücherei: Mordsmütter
Punkt neunzehn Uhr dreißig entsteige ich dem Dorstener ((Regionalbahn 44, pendelt zwischen Oberhausen und – wer hätte das gedacht – Dorsten.)) ins Gladbecker Herbstdunkel. Das Café Stilbruch lasse ich diesmal links liegen, folge meiner mental map zum Veranstaltungsort. Google lügt nicht, wie vorgesehen zweigt Friedrich von der Schützenstraße ab, an der nächsten Kreuzung liegt die Stadthalle. Einige der rotgeklinkerten Elemente des Gebäudekomplexes beherbergen die Stadtbücherei.
Durch wandbreite Fenster fällt Licht. Leser stöbern in Regalen, sitzen in ein Buch vertieft. Winddurchweht umrunde ich den halben Bau.

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Des Autors Leid

Nichts anderes schreibt man doch um sich herum als das, was man als Leben sieht, als Wachsen und Werden und Sterben. Schreibt über seine Zweifel an Gerechtigkeit auf der Welt, über Beobachtetes wie Erlebtes und Erduldetes. Also schreibe ich. Wird es dadurch haltbarer, das Unrecht was ich sehe und nicht ändern kann? Soll es verschwinden als seien die Worte es, die es zum Verschwinden bringen, hat damit der Autor sein Lebenswerk vollendet? Nichts ist von Allem. Worte, die geschrieben sind unterscheiden sich nur durch die Druckerschwärze von denen, die im Kopf sind. Aus diesem aber können sie entweichen, vergessen werden. Das Papier hält sie fest wie eine Amme das Baby, das noch nicht selbst für sich sorgen kann.

Das Triviale, spricht es in mir, das nimmst du dir und bringst es zu Papier. Damit fängt das Drama an. Wen bitte interessiert ein Spatz, der am frühen Morgen in einem bereits geöffneten Cafe´ einen Brotrest findet? Niemand. Wenn aber dieser Spatz noch mit dem Brocken im Schnabel kurz darauf von einem LKW erfasst wird, und das Bild nicht zum Baguette und der frischen Marmelade passt, gibt es etwas zum Nachdenken. Das rettet nicht sein Leben, höchstenfalls macht es betroffen. Passiert das selbe Geschick einem Elefanten, gibt es die Schlagzeile des Tages. Der Fall ist abhängig von der Größe der Beteiligten, vom Ort des Geschehens, vom Schicksal der Beteiligten und von der Schuld, die anscheinend immer einer tragen muss. Egal, ob es Beide waren, oder der LKW Fahrer, der den Elefanten einfach übersehen hatte. Was treibt der sich auch morgens um die Zeit auf der Straße herum?

Eine Zeitung funktioniert in der Art. Es kommt auf die Überschrift an. Schreibe ich einen Roman, kommt es auf die Überschrift an. Je geringer die Seiten, desto wichtiger sind die Überschriften. Ein fett gedrucktes ELEFANTENTOD in Wuppertal auf nur 4 Seiten Boulevardpresse steigert den Verkauf. Ich beschließe aufgrund dieser Erkenntnisse einen Roman zu schreiben, der mehr Seiten umfasst, dennoch an den Titel denkt. Denn Beide, Roman und Zeitung wollen verkauft sein. Wer erst einmal die Memoiren eines 18 jährigen Fußballspielers gekauft hat, hat schon gewonnen. Nicht Geld, das muss er ja hergeben, an Erfahrung versteht sich. Und dass er es sich hätte denken können, dass da nur Müll raus kommt in dem Alter.

Das Beste, was einem als Autor passieren kann, ist der Verriss durch einen, der es wissen muss. Nun muss man aber einen Reich Ranitzky erst einmal dazu bringen deinen Roman zu lesen, wo er doch noch soviel anderes lesen muss, was er verreißen soll. Man muss ihn ködern. Als Kritiker wie er bist du besser dran. Brauchst dir keine Gedanken über den Titel zu machen, nimmst das Buch und wirfst es nach dem Lesen ins Feuer. Oder bei der Lesung stehst du mitten im Vortrag auf, wirfst einen bösen Blick in Richtung Rednerpult mit der Lampe und dem Glas Wasser und schlägst die Tür hörbar zu.

Das Schlechteste, was einem Autor passieren kann ist unverdienter Erfolg. Eine Frau, stellen sie sich das Wort bitte fett gedruckt vor, eine Frau also erdreistet sich über eine Frau zu schreiben. Dieses in einer derart intimen Art, dass es die Schamlippenröte durch die Hose treibt. Nur auf den ersten 20 Seiten, dann kann sie schreiben was sie will. Hätte sie einen Roman von nur 20 Seiten verfasst, er wäre nicht mal in den Druck gekommen. Es kommt also auf eine Menge Füllstoff an, die dermaßen geschickt um die Hauptsauerei von Feuchtgebietschoßgebeten garniert werden muss, dass es niemand merkt, was für ein Schwachsinn zum Kauf anregt.

Jahrestage

Auch nach langer Zeit waren die Jahrestage immer noch ganz besondere Tage. Sie widmete sich an diesen Tagen ihrer Mutter, besuchte ihren alten Heimatort, in dem sie aufgewachsen war, befand sich mit einer Mischung aus Wehmut und Freude auf den Spuren ihrer Kindheit oder traf sich mit ihrer Cousine, mit der sie stundenlang lachend über alte Zeiten reden konnte.
Je älter sie beide wurden, desto mehr schwelgten sie in Erinnerungen ihrer gemeinsam verbrachten Kindheit, je älter sie wurde, würde sie der Mutter immer ähnlicher, meinte ihre Cousine.

Heute, an diesem heißen Augusttag, möchte sie jedoch allein bleiben. Der alte Hutkarton mit den Papieren, Briefen, Postkarten und schon teilweise verblichenen Fotos ihrer Familie würde ihr Gesellschaft leisten.
Irgendwann waren die Fotos chronologisch geordnet worden, ganz oben lagen die Jüngsten aus den neunziger Jahren und ganz unten die, die ihr aus den Sechzigern geblieben waren.

Sie fängt mit den Hochzeitsfotos ihrer Eltern an. Jedes Mal, wenn sie die Schwarz-Weiß-Fotos mit den typischen Zacken am Rand betrachtet, tut sie es mit einer großen Aufmerksamkeit, als hätte sie die Fotos noch nie gesehen. Ihre damals 22jährige Mutter sah sehr jung und schön aus, sie war schlank, um nicht zu sagen dünn und trug ein wunderschönes Kostüm zu ihrer Trauung. Ihr Vater war dunkelhaarig, hochgewachsen und ebenfalls sehr schlank.
Sie arbeitet sich dank der vielen Fotos durch ein ganzes, aber kurzes Leben.
Foto für Foto legt sie zur Seite.

Das Letzte zeigt ihre Mutter Ende der neunziger Jahre. An diesen Tag erinnert sie sich genau – Bilder, Momente und Sequenzen gehen ihr durch den Kopf, als wäre es gestern gewesen. Es muss Ende Juli gewesen sein. Sie waren zusammen im Urlaub an der Nordseeküste, es war ein relativ kalter Tag. Sie hatten schon zehn Tage Aufenthalt hinter sich, unternahmen lange Spaziergänge in Regenstiefeln und Windjacken, wärmten sich in Cafès auf, aßen warmen Apfelstrudel mit Sahne, gingen ins Meerwasserschwimmbad, und träumten von der Sonne, Strandtagen und Sonnenbaden in Badeanzügen.

Irgendwann kam dann endlich dieser Tag mit Sonnenschein, der erste Tag am Strand, der erste Tag im Strandkorb. Sie wird es nie vergessen – es waren 18 Grad Lufttemperatur und wie viel Grad die Nordsee hatte, wollten sie gar nicht wissen. Aber sie waren am Strand, am Meer, dort, wo ihre Mutter sich am wohlsten fühlte!
Keiner der anderen Urlauber war im Wasser, alle versuchten frierend im Strandkorb die Sonne einzufangen, nur ihre Mutter – die war so verrückt, sie musste in die Fluten springen, das Meer spüren.

„Mutter, komm da heraus, es ist zu viel kalt, das tut deinem Husten nicht gut “, hört sie sich rufen und die lachende Stimme ihrer Mutter antwortet: „Du bist eine Memme, lass mich doch, wer weiß, wann ich mal wieder im Meer schwimmen kann.“
Als sie aus dem Wasser herauskommt, schreit sie lachend: „ Nun mach endlich mal ein Foto von mir am Strand, damit die Leute auch glauben, dass wir in unserem Urlaub sogar schwimmen waren.“

Und sie – sie drückt auf den Auslöser.
Fotografiert ihre Mutter im Badeanzug an der Nordsee, an diesem kalten Juli-Tag.

Es sollte das letzte Foto von ihr sein. Es zeigt ihre Mutter im Badeanzug allein am Strand, hinter ihr die Wellen der Nordsee. Die Sonne spiegelt sich im Wasser.
Sie winkt der Fotografin lachend zu.

Etwas mehr als ein Jahr später starb sie.
Und hatte in dem Jahr tatsächlich nie mehr Gelegenheit zu einem Bad im Meer.

Sie legt die Fotos wieder zurück in den Karton, und verschließt ihn mit dem dazugehörigen Deckel.
Die Fotos würden mit den Jahren vergilben, ihre Erinnerungen an ihre Mutter jedoch nie.

Bilder zaubern Worte – Zauberer

Ist es Euch nicht auch schon passiert, dass Ihr ein Bild gesehen habt und dachtet: Dazu könnte ich jetzt eine Geschichte schreiben? Unter dem Slogan „Bilder zaubern Worte“ bieten wir regelmäßig ein Bild an, das Euch Inspiration für einen Text sein soll.

Diesmal geht es um Zauberer.

Gibt es einen schöneren Zauber, als Menschen lächeln zu machen? Der junge Mann auf dem Bild konnte es und auch Walt Disney, vor dessen Laden er stand, hat weltweit Menschen zauberhaft in seinen Bann gezogen.

Daher geht es diesmal um Zauberer, märchenhafte oder reale, gute oder böse, alltägliche oder skurrile. Ich bin sehr gespannt, was Euch zu diesem Thema einfällt.

Ihr könnt Eure Texte auf Euren Blogs einstellen und sie werden dann hierher verlinkt. Wer keinen eigenen Blog hat, kann seinen Text auf der Gemeinschaftsseite „Netzwerk“ eintstellen.

Und nun wünsche ich Euch viel Spaß beim Schreiben!

***

Hier sind die Texte zum Thema:

Eulenschwestern von Songline

Mordsmäßige Mütter im Lesecafé der Gladbecker Stadtbücherei – am 4.10.

PRESSENOTIZ

Flyer: Mordsmütter


In der Gladbecker Stadtbücherei findet am 4. Oktober eine mordsmäßige Krimilesung statt. Im Mittelpunkt des tödlichen Treibens steht der vom Aarbergener ViaTerra-Verlag 2011 herausgebrachte Anthologieband „Mordsmütter“. In dem sich zu einem Bestseller entwickelnden Band wird der Mythos Mutti gründlich und endgültig demontiert.

Es lesen Topstar Sabine Deitmer, Mitherausgeberin Regina Schleheck, Krimispezialistin Kerstin Lange und Lokalmatador Harry Michael Liedtke.
Los geht es um 20.00 Uhr. Der Eintritt beträgt 6 Euro (ermäßigt 3 Euro).
Im Anschluss an die Veranstaltung besteht Gelegenheit zum Gedankenausstausch mit den AutorInnen. Auch steht ein Büchertisch bereit, um die Lese- und Mordlust zu stillen.

Sabine Deitmer


Veranstalter ist die Stadtbücherei in Zusammenarbeit mit einem Sponsorenverbund und der „Café Stilbruch Connection“, einer Gladbecker Literaturgemeinschaft.
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Burn, Baby, Burn

Entflammtes Herz – eine Rezension

Was ist das? Es ist spaßig, es ist verspielt und es ist spannend. Nein, es ist kein Überraschungsei. Es ist ein Buch! Ein Erzählband mit Prosa und Lyrik.

Angelika Stephans im Engelsdorfer Verlag erschienenes Werk „Entflammtes Herz“ ist unterhaltsam, ulkig, ziemlich gepfeffert, sogar etwas frivol, streckenweise poetisch, oft ungestüm, sehr gefühlvoll, unaufdringlich tiefsinnig, makaber, stilistisch aufputschend uneinheitlich, bunt, poppig und insgesamt ziemlich heiß.
Um Rache geht’s in den hier versammelten Kurzgeschichten, Aphorismen und Gedichten, um verletzte Gefühle, Trabbel mit der Haarpracht, die Berliner Mauer, Naturkatastrophen, das Verschwindenlassen von Leichen, gerechte Strafen, verschiedene Sichtweisen, Tagträume, die Zeit, die Seele, die Liebe natürlich, Erinnerungen, Masken …
Alltägliches nimmt überraschende Wendungen, die geschilderten Gefühlsmomente bergen viel Abenteuerliches, häufig spürt man zwischen den Zeilen große Nachdenklichkeit. Man ist schnell durch mit diesem schmalen, kurzweiligen Büchlein, aber nach der Lektüre noch lange nicht fertig damit.
Aufgepeppt wird das Ganze zusätzlich durch wunderhübsche abstrakte Illustrationen der Essener Autorin, die sich schon als Malerin in der Kunstszene einen guten Namen gemacht hat.
Wie gesagt, „Entflammtes Herz“ ist kein Überraschungsei. Aber es ist definitiv was zum Vernaschen!

Angelika Stephan


Entflammtes Herz: Prosa und Lyrik
Angelika Stephan (Autor)
ISBN: 978-3862681891
Engelsdorfer Verlag

Heute 19 Uhr in Gladbeck: In Bücherwelten unterwegs


Wir alle sind ständig unterwegs! Und am Montag, den 8.8. sind wir alle hoffentlich unterwegs zum Gladbecker Café Stilbruch!! In der lauschigen Kulturkneipe auf der Rentforter Straße wird die Anthologie „Unterwegs“ vorgestellt, eine Sammlung von Geschichten über Reisen – Reisen aller Art und Länge!

Copyright: Bettina Lohaus


Das textnomadische Autorenforum „Netzkritzler“ geht auf Literatour und lädt Sie ein mitzukommen. Ihre Reiseleiter sind: Andrea Heinrich, Regina Schleheck, Harry Michael Liedtke, Inga Hetten, Robert Königshausen, Bettina Lohaus und der fahrende Musikant Andreas Gers.

Die Anthologie „Unterwegs“ – herausgegeben von Andrea Heinrich – beinhaltet die besten Beiträge des Netzkritzler-Schreibwettbewerbs 2010. Ob nun Selbstfindungstrips, Urlaubseindrücke, Übergänge ins Jenseits, Gewaltmärsche, Transitverkehr, Stop and Go, Traumreisen, Landstreicherei, Abstecher in die Vergangenheit, Weltraumfahrten, Verfolgungsjagden, Heimatsuche, Wattwanderungen, Freiheitsstreben, erste Schritte, Irrwege – zu nahezu jeder Form der Rast- und Ruhelosigkeit findet sich eine Story.

Unterwegs
Anthologie u.a. mit Regina Schleheck, Inga Hetten, Bettina Lohaus, Harry Michael Liedtke, Angie Pfeiffer, Robert Königshausen, Henrik Lode, Frank Haberland
Andrea Heinrich (Hrsg.)
ISBN 978-3-8423-4802-8; bei Books on Demand

ANDREA HEINRICH

Andrea Heinrich


Jahrgang 1965, Verwaltungsfrau und Familienmanagerin. Viel gereist und doch immer wieder nach Hause gekommen. Mit einem Erfahrungsschatz, den man nur auf Reisen gewinnen kann.
Andrea Heinrich ist Herausgeberin der Anthologien „Lauter kleine Bühnen“ (2007) und „Unterwegs“ (2011). Auf ihrem Online-Portal Netzkritzler hat sich eine kreative Autorengemeinschaft zusammengefunden, die auch musikalische und künstlerische Beiträge präsentiert.

REGINA SCHLEHECK

Regina Schleheck


Gebürtig 1959 in Wuppertal, nach Jugend in Köln über die Stationen Aachen und Herford heute in Leverkusen wohnhaft, fünffache Mutter, an einer Kölner Schule berufstätig, Referentin in der Erwachsenenbildung, Autorin, Herausgeberin und Lektorin.
www.regina-schleheck.de
Vielfach ausgezeichnet, u. a.
* 2000 und 2001 2. Leverkusener Short Story-Preis
* 2006 1. Hapimag-Kurzgeschichtenpreis
* 2008 Deutscher Phantastikpreis Hörspiel und Anthologie, 2. Literascript-Preis Kindertheaterstücke, 2. Corona-Kurzgeschichten-Preis
* 2009 1. World Cookbook Award für Kaffee-Anthologie, Kneipenschreiberin „Weißer Holunder“, 2. Preis beim ersten deutschsprachigen Krimipreis für Hörbuch-Kurzgeschichten, 1. Corona-Kurzgeschichten-Preis
* 2010 1. und 2. Corona-Kurzgeschichten-Preis
* 2011 ALFA-Preis für die beste Kurzgeschichte
Veröffentlichungen vor allem im Bereich Kurzprosa und Hörspiel, insbesondere:
* Mark Brandis. Bordbuch Delta VII. Hörspiel nach dem SF-Bestseller von Nikolai von Michalewsky. Steinbach Sprechende Bücher 2007
* Adventsgeschichte von A bis Z. Hörspiel für Ü-Zehner. Drachenmond Verlag 2009
* Klappe zu – Balg tot. Bitterböse Geschichten. Regina Schleheck. Wurdack Verlag 2009
* Mordsmütter. Hg.: Regina Schleheck/Mechthild Zimmermann. ViaTerra Verlag 2011
* Mark Brandis. Aktenzeichen Illegal. Hörspiel nach dem SF-Bestseller von Nikolai von Michalewsky. Folgenreich (Universal) 2011

HARRY MICHAEL LIEDTKE

Harry Michael Liedtke


Stammt aus Bielefeld und lebt in Gladbeck. Im Hauptberuf arbeitet er – nach Lust und Laune – als Industriekaufmann, nebenher betätigt er sich als Setzer, Drucker, Korrekturleser, Filmkritiker, Sphäronaut und seit geraumer Zeit auch als Autor. Im Juni 2009 erschien sein Erzählband „Begräbnis auf dem Mond“. Sein Lebensmotto: Wenn du bis zum Hals in der Scheiße steckst, lass den Kopf nicht hängen.

INGA HETTEN

Inga Hetten


Geboren 1965 in Saarbrücken, Gärtnerlehre ebendort, Geografiestudium an der Universität Trier.
Als Hiwi und Kneipenaushilfe gejobbt, nach Diplom Gastwirtin im Kollektiv geworden. Außerdem gewesen: Arbeitslos & Zeitungsverteilerin, Verkäuferin im Getränkemarkt. Bekennender Altgruftipunk. Derzeit Spülerin und Autorin der Bonsaiklasse.
Bisher drei Kurzgeschichten veröffentlicht, Romanprojekte in Arbeit.

ROBERT KÖNIGSHAUSEN

Robert Königshausen


Robert Königshausen, geboren 1972, absolvierte eine technische Berufsausbildung, ist tätig im Vertriebsinnendienst, wohnt mit seiner Frau in Höhenkirchen-Siegertsbrunn bei München. Im Alter von 11 Jahren begann er mit einem Gedicht, das den Stundenplan der ganzen Schulwocheaugenzwinkernd beschrieb. Er ist Mitglied der Gruppe „PunktUm“, der Sprach- und Wortkünstler von Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Seine Interessen sind Reisen, Lesen und Musik hören – dabei kommen Anregungen für neue Stücke. Der erste Roman „Energiespender“, über energiesaugende Vampire, erschien 2010 im AAVAA-Verlag.

BETTINA LOHAUS

Kulturserver NRW: Bettina Lohaus


Bettina Lohaus, geb. 1963, wuchs als fünftes Kind einer Handwerkerfamilie auf. Als Teenagerin liebte sie Texte von Hesse, Dürrenmatt und Steinbeck.
Sie studierte Mathematik, Soziale Verhaltenswissenschaften und Malerei, war als Seminarleiterin und Konferenzsprecherin in ganz Deutschland unterwegs und schrieb zahlreiche Artikel für Zeitungen.
Es sind vor allem die Sehnsüchte des Menschen und die daraus folgende lebenslange Suche, für die sich die Künstlerin interessiert und denen sie in ihren Bildern und Geschichten nachspürt.

ANDREAS GERS

Mumpitz live


Jahrgang 1961, verheiratet, drei Kinder, Beruf: Geograf, Wohnort: Nottuln-Appelhülsen bei Münster, Gesang, Gitarre, Blues-Harp, Sprache
Schon im Studium in den achtziger Jahren als Liedermacher und Dichter in Münster (Westf.) unterwegs. Auftritte in Kneipen, auf Kleinkunstfestivals oder am Lagerfeuer. 1991 Gründer eines Gospelchors, den er 18 Jahre leitete. Zwei eigene Musicals und viele Lieder und Texte entstanden in dieser Zeit. Seit 2008 wieder allein auf der Bühne und als Autor von Gedichten und Kurzgeschichten aktiv. Das gesprochene Wort und seine Wirkung auf ein Publikum liegen dem Schelmendichter besonders am Herzen. Außer der Rhythmik, die neben Lautmalerei, Bild und Vergleich die emotionale Ansprache der Verse prägen, sind ihm wichtige Stilmittel deshalb das Wortspiel und die Pointe.

Funkelnde Lyriktropfen aus dem Meer

Meeresfunkeln – eine Rezension

Wer Angelika Nauschütz‘ Biografie in Augenschein nimmt, dem wird rasch klar: Die Dame versteht viel von Sprache.
Als Bachelor of Arts, Fremdsprachenkorrespondentin, Vertragsbearbeiterin im Verlagswesen und Lehrerin weiß die gebürtige Leipzigerin vortrefflich mit Worten umzugehen. Dies merkt man auch ihrem Gedichtband „Meeresfunkeln“ an, einer ebenso scharfsinnigen wie gefühlvollen Reflektion über Mutter Erdes eigentlich unergründliche Ozeane.
Cover
Mit diesem Büchlein erlangt das Meer eine besondere Tiefe, eine neue Dimension. Nicht nur, dass es gelang, den Zauber dieses inspirierenden Lebensraumes einzufangen, auf die Kräfte der Natur wird in den Versen genauso eingegangen wie auf die Kräfte gegen die Natur.
Unterteilt in drei Abschnitte – „Von der Zeit“, „Über die Liebe“ und „Auf Reisen“ –, kreist das Werk um die existenziellen Fragen des Daseins. Dem Meer kommt dabei eine sinnbildhafte, Zusammenhänge stiftende Bedeutung zu.
Jedes Wort in diesem Band ist mit größter Bedachtsamkeit platziert, sodass die Sentenzen über eine immens hohe Dichte verfügen. Da ist nichts überflüssig oder hingeworfen. So sanft die Poesiegebilde erscheinen, so ausdrucksstark sind sie auch.
Wie gesagt, Angelika Nauschütz versteht viel von Sprache.

Angelika Nauschütz


Inmitten
salziger Sprudel
schniefen winzige Muscheln
Die glibberigen Meeresbewohner
tragen Hüllen aus schillernden Tönen

Meeresfunkeln: Gedichte
Angelika Nauschütz (Autor)
ISBN 9783895148910, Karin Fischer Verlag
Genre: Lyrik/Drama

Vorstellung

Mit den nachfolgenden Zeilen möchte ich mich bei Euch hier in diesem Blog vorstellen. Registrieren lassen habe ich mich vor allem, damit ich kommentieren kann. Anlass dazu war, dass mir zwei Gedichte von Songline und Mumpitz so sehr gefallen haben, dass ich unbedingt meinen Senf dazu geben musste 😉

Was mein Leben reicher macht
Mit meiner Kanadierin im Urwald von Guatemala unter unserem Geländewagen liegen und in ihr vor Anstrengung verzerrtes und von Schlamm verdrecktes Gesicht schauen, während wir gemeinsam das 42 Kilo schwere Rad wechseln. Ebendiese Kanadierin ein paar Wochen später dabei beobachten, wie sie im Theater Basel beim Gang zur Garderobe die Blicke der Männer auf sich zieht. Sich jeden Tag wundern, wie eine so schöne und kluge Frau 40 Jahre mit mir verbringen konnte. Jeden Tag auf die Ewigkeit hoffen. Mit genau dieser Kanadierin.

Bilder zaubern Worte – Mein Leben als Küchentisch

Angefangen hatte alles recht harmlos.
Als meine alte Frau Wittig starb, war ich maßlos traurig. Ihr halbes Leben lang hatte sie ihr Tagwerk an meiner Seite verbracht. Bohnen schnibbeln, Kartoffeln schälen, Zwiebeln hacken. Nur selten gönnte sich Frau Wittig eine Tasse Kaffee und die Muße, einfach nur dazusitzen und Selbstgespräche zu führen. Frau Wittig erhielt nie Besuch, daher sprach sie oft und gerne mit sich selbst. Schimpfte und fluchte und weinte auch zwischendurch. Manchmal packte sie derartig die Wut, dass sie kräftig auf mich einschlug und ich mir den alten Tischläufer zurück wünschte, den sie kürzlich in Brand gesteckt hatte.

Frau Wittig wurde immer sonderlicher. Und irgendwann brach sie direkt vor meinen Augen zusammen und wurde erst Tage später abgeholt. Ich trauerte. Auch wenn wir nie ein sehr inniges Verhältnis zueinander hatten, es eher langweilig in ihrer kleinen Küche zuging, so hatten wir uns doch gegenseitig ins Herz geschlossen und schließlich viele Jahre miteinander verbracht.

Kurz nachdem Frau Wittig aus ihrer Wohnung transportiert wurde, kamen fremde Menschen in die Küche gestürmt, packten mich bei den geschwungenen Beinen und schleppten mich auf die Straße. Dort stellten sie mich ab und ließen mein schönen altes Holz vom Regen durchnässen. So stand ich also da und konnte mir bereits lebhaft ausmalen, wo ich letztendlich landen würde. Irgendwo in einer Müllverbrennung würde ich ein ähnlich trauriges Ende finden wie meine Frau Wittig.

So blies ich also Trübsal und erschreckte mich förmlich, als eine sanfte Hand über mich strich. Schon lange war ich nicht mehr mit so viel Bedacht angefasst worden. Mühsam versuchte ich das dazugehörige Gesicht im schwachen Licht der Straßenlaterne auszumachen. Man kann schon mit Fug und Recht behaupten, dass es wohl beiderseits Liebe auf den ersten Blick war. Die junge Frau, die mich so gedankenverloren berührte, hatte strahlend blaue Augen und ein wundervolles Lächeln. Sie war nicht im eigentlichen Sinne schön, aber sie hatte diese gewisse Ausstrahlung, die selbst in dunkelster Nacht das Leben irgendwie heller machte.

„Du bist jetzt meiner“ sagte sie leise und hob mich mit einer Kraft hoch, die ich ihr so gar nicht zugetraut hätte.
Langsam ging sie die Straßen entlang und sang dabei leise vor sich hin. Ich mochte ihren leisen Gesang und freute mich bereits über mein neues Leben an der Seite dieser durchaus harmonisch wirkenden Person.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass sie ein echter Wildfang war. Diane hatte ein sehr abwechslungsreiches Leben. Das war ich von meiner alten Frau Wittig nicht gewohnt.
Dianes Küche war groß und warm und hell und sie platzierte mich in die Nähe des Fensters, so dass ich immer mal die Vögel beobachten konnte, wenn sie unterwegs war. Und sie war viel unterwegs! Auf mir wurden keine Lebensmittel mehr zubereitet und gegessen wurde in den seltensten Fällen. Nun gut, sie bestellte schon mal etwas und verschlang es dann eher im Schnellverfahren anstatt sich Zeit zu lassen. Diane war eher als unruhiger Mensch zu bezeichnen, jedoch ruhte sie dennoch in sich und empfing viele Freundinnen, mit denen sie nächtelang an meiner Seite hockte. Unzählige Rotweinflaschen wurde über mich hinweg geschoben. Kerzen hinterließen ihren heißen Wachs und aus den Tabakkrümeln, die auf mir herum gestreut wurden, hätte ich schachtelweise Zigaretten herstellen können.

Ich mochte diese Gespräche unter Frauen. Sie waren meist von sehr inniger Art. Es wurde viel gelacht und es wurde ebenso viel geweint. Ich hatte riesigen Spaß, endlich war mal was los in der Bude und ich war geliebter Teil dieses Ganzen. Immer wenn Diane bei mir saß, ließ sie auch ganz sanft ihre Fingerspitzen über mich hinweg spazieren. Sie war mein. Meine Diane.

Bis zu der Nacht als Diane diesen Mann mit nach Hause brachte. Sie saßen stundenlang auf dem Balkon vor meinem Fenster, aber ich konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen. Immer wieder mal tänzelte Diane durch die Küche, um Getränkenachschub zu holen und entschwand dann wieder zu ihm nach draußen. Ich war wütend! Ich wollte auch an diesem Gespräch teilhaben. Aber ich hörte nur ihre leisen Stimmen und albernes Lachen. Ja, es klang albern für mich. Vielleicht weil ich da schon ahnte, was möglicherweise zwischen den Beiden passieren könnte.

Ein neuer Tag breitete sich schon am Himmel aus, als Diane und der Mann eng umschlungen durch die Küche stolperten. Ohne dass sie zu küssen aufhörten hob er Diane mit einem Ruck hoch und setzte sie auf mich. Was dann folgte war eine Demütigung! Ich sah Dianes herrlichen Hintern auf und ab wippen und wurde dabei in einem Stakkato durch die Küche geschoben, dass mein altes Holz knirschte und krachte. Dieses wilde Gerammel würde ich nicht mehr lange durchhalten und dieses Gestöhne wurde immer lauter und unerträglicher für meine Seele.

Dianes letzter Schrei war auch mein letzter Tag in ihrem Leben. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm krachte ich unter Dianes Po zusammen und brach mir alle Knochen.

In Einzelteilen landete ich wieder unter einer Straßenlaterne.
Und was soll ich sagen?
Es regnete wieder in Strömen.
Diane hatte eine neue Liebe gefunden, die sie ab jetzt mit ihren Fingerspitzen in höchste Wonnen versetzte.

Als ich dann unsanft in diesem großen orangefarbenen Lastwagen landete, entfuhr mir noch ein letztes Seufzen:
„Frau Wittig, ich komme!“