Zorn

Törnend

„Deine Triebe sind Attentäter“, flüsterte ich.
„Deine sind verdorrt.“
„Ich habe deine Abgründe in Noten gepackt, jetzt bist du ein Lied.“
„Du Poesie“, erwiderte er, „wie willst du etwas besingen, was es nicht gibt?“
„Sieh in den Spiegel, du Held“, zischte ich, „alles, was du darin siehst, bist du in Scherben gerechnet.“
„Glas“, sagte er, „nicht Krone.“
„Und Zitat“, fügte ich hinzu.
„Wir haben es nie zu Ende gebracht.“
„Du hast es niemals zu einem Anfang kommen lassen.“

Macht die Augen zu, für das, was jetzt kommt.

Ich habe meine Zelle noch im Kopf und die Spuren, die sich nicht abwaschen lassen. Schmecken nach Gestern, nach Amsterdam, Frau und Mann, nach einem Schwanz im Mund oder einer Frau im Arm. Die Augen vergessen nichts. Ich bin wütend. Vielleicht für immer.
»Mädchen sind teurer«, sagte die Hausdame. Der Typ bot einen guten Preis. Lust ist eine Mörderbraut. Als ich schrie, wurde er geil. Ich fing mein Leben als Spielzeug an, bevor ich Werkzeug wurde.

Später las ich viele Texte, Gedichte und Reime, diese Storys von Opfern, die sich selbst Opfer genug sind, und dachte:
„Scheiße, die brauchen keine Kirche, die brauchen einen anständigen Fick.“
Die Menschen und die Medien, da entstehen Krimis, wie aus einem World Disney Projekt. Ich weiß schon, warum ich Fernsehen ablehne, das versaut einem die Kreativität. Die besten Geschichten schreibt das Leben und die schönsten, die Phantasie. Ist, als würde man eine Tasse Kaffee verschütten und sich fragen, wie das passieren konnte, wischt den Scheiß auf und weiß nichts mehr von einem Fleck.

Kinderzeit, schöne Erinnerungen, ich höre gerne anderen zu. Bilderchen gemalt, die hängen heute noch an vergilbten Wänden, die vergehen nicht, die bleiben … weil sie Vergangenheit sind. Ich habe meine Mutti besucht. Es gab keinen Kuchen, es gab Angst. Ich hatte keine Axt dabei, nur einen Haken und ein ziemlich dickes Seil. Was ist Zeit, wenn sie stehenbleibt? Wenn sie wie ein Pfeil von der Decke schießt? Und dann war da ja noch … Zorn, und die Tatsache, dass ich ein gutes Mädchen bin.

Die Grausamkeit der Schlaflosigkeit

Nachts

Inmitten der Nacht, dieser und der letzten, sehe ich auf die Uhr. Halb drei. Wie hätte es auch anders sein können? Ich trage mich müde und schlapp in die Küche – nein – wie immer zuerst ins Bad. Die erste Runde ging an dich, du ungnädige Nacht. Nach einer Zigarette denke ich mich in den Himmel, der schwarz über den Dächern der Stadt wacht. Ob er weiß, dass er es tut? Menschens Traum nach Frieden und Schutz, wie in mir die Kluft dazwischen meine Fantasie belebt. Denke an Haferschleim mit Honig, an eine Banane, den Joghurt – der im Kühlschrank steht – und Melonen, geschnitten, an Paris, die Stadt der Liebe. Könnte ich mit meinen Tränen Blumen gießen?

Vielleicht möchtest du mich um ein, zwei Stunden erneut entführen, mich in dich wickeln und mir Träume schicken, die nicht davon erzählen, was für ein Monster das Leben ist. Gute Nacht, du Unwirkliche – die sich gläsern bedacht unter meine Poren schiebt. Die Zigarette am Ende, wie ich.

Zerbrochen

Zerbrochen

Der Krug stand seit Jahren auf dem Highboard. Das Holz und ihn trennte nur ein Platzdeckchen. Sie betrachtete das Wappen, das direkt und mittig über dem Accessoire hing. Wie schwanger ging sie mit der Tradition, die Dinge zu bewahren, die seit Jahren nur von Hand zu Hand durch die Familie gereicht wurden? Staub übersah sie, berührte das Gefäß nur mit äußerster Vorsicht. Die kleine Bruchstelle am Bauch des Kruges erinnerte sie an den Bruch des gleichen. Es lag Jahre zurück, geschah an dem Tag, an dem sie ihn erhielt. Sie wollte ganz besonders behutsam sein und da passierte es, sie ließ ihn fallen. Es schepperte, die Holzdielen zitterten kurz, oder es waren ihre Knie. »Den flicke ich dir«, hatte ihr Mann versprochen.

In einer seiner schlaflosen Nächte klebte er das wertvolle Teil wieder zusammen, stellte es aufs Highboard, wo es nun immer noch stand. Sie streifte mit dem Finger über die Bruchstelle und flüsterte: »Den repariere ich dir«, lächelte kurz und zog sich zurück in ihr Schneckenhaus.

Blockiert (Aktvoll)

Acht

Flüstere mich aus deinem Kopf. Schrei leise und lach schön. Fruchtgelee, es riecht nach Obst, faulig ist die Stelle, an der du gehst. Aber geh. Duft der Roten, Amsterdam. Ich denke langstielig und breit gefächert, aber Rosen – Rosen sind es nicht, dafür ist es dein Gesicht – für mich! Ich klicke mich durch deine Träume, du schreist vor Lust, ich vergehe nicht, gehe nicht und bleibe nie. Leck mir deine Liebe von der Haut. Genieße, genieße den Duft unserer Körper, deines Körpers. Wie ineinander, wie tief, wie groß. Du! Ich bin es und du bist es – aber nie für immer. Zeit fließt, Scheiß Akt. Ich vögel dich, du fickst mich und sagst: »Bis du schreist.«

Das Herz, das wilde, pocht.

Gebe dir Saft und Dorn! Bewege deinen Hintern. Ich erarbeite dich, für mich – beweg dich nicht! Stopp. Zeit für Minuten, Stunden, Blattgold und Gelee. Kaffee neben Musik, das Leben singt, du stöhnst. Schön! Ich verkaufe mich. Morgen gehe ich dich sandbaden und erläutere deine Poren in Verse – es sind meine, doch meiner bist du nicht. Das Leben schreit, die Muse lässt sich gehen. Meine Zunge in deinem Mund, du nimmst mich. Lust? Lust ist es nicht. Es ist Porno, so grottig wie deine Nächstenliebe. Du sagst:

»So viel Fleisch für so wenig Geld.«

In deiner Zeile Untergang

Sieben

Es tobten Stürme über uns, so einige. Tage, an denen Wind uns um die Nase strich, durchs Haar kämmte, mich deine starken Arme spüren ließ und deine Jacke tragen. Das weiße Hemd zur schwarzen Hose, passend, die Schuhe ausgesucht. Wir tanzten Tango auf knarzenden Dielen und summten unsere Sinfonie dazu. Deine Hände fuhren über meinen Körper, ich bebte unter deiner Zärtlichkeit, wurde Untergang zwischen deinen Zeilen und mannigfache Auferstehung.

Wir erlebten viele Kriege, jede Wunde machte stärker. Ich habe deine meist genäht. Nicht ein Wort über Schmerz und Tragik, nicht eines, das uns sterben ließ. In deinen Augen standen Feuer und Flamme, ich reichte gern das Öl dazu. Du warst kein Phönix, du warst mein Falke, dessen Stolz unsterblich schien. Am Tag möchte ich deine Narben aufdecken, zur Nacht am liebsten dich. In mir bist du ein Ort, den ich für uns erfinde. Ach, mein liebes Herz – in meinen Zeilen Untergang – möchte ich mit dir vergeh’n. Es tobten Stürme. Goodbye, mein Wind.

In meiner Nächte Einsamkeit

Sechs

Es gräbt sich ein Tiefschlaf zwischen meine Sinne, macht mich müde und rar. Gelenkt auf die Dinge, die ich wahrnehme, erkenne ich mich in dem Augenpaar, dass mich beobachtet. Meine Sehnsucht rinnt mir wie Sand durch die Finger. Erinnert mich an Kieselsteine und Ufer, die wir begingen. An einem Fluss sagtest du:
»Hier hätte der Anfang der Erde sein können.«
Und ich sagte: »Oder der, der ersten Nacht.«
Wer auch immer alles erschaffen hat, hat den Menschen reichlich hinterlassen. Vielleicht stopfen wir als Gesellschaft uns satt, wie Gänse kurz vor Weihnachten. Neugierig betrachte ich eine japanische Vase. Die Farben und das Design faszinieren mich.
»Wer die erdachte«, sagst du, »muss über ein künstlerisches Herz verfügt haben.«
Und ich sage: »Oder über Liebe – sieh nur die Farbenpracht.«
Um deine letzte Ruhestätte wächst frisches Gras. Ich stellte ein Veilchen dazu. Dieser Anblick erinnerte mich an deinen Wunsch nach Frieden.
»Stille«, flüsterst du, »die du mir warst.«
Mein Heimweg war beschwerlich. Diesen Körper zu tragen fällt nicht mehr leicht. Aus jungen Augen verfolgt, stützte ich mich mit aller Gewalt gegen meinen Willen, bis ich zu Hause ankam. Die Tränen sollte niemand sehen, auch kein Spiegelbild. In meiner Nächte Einsamkeit?
»Du, mein Herz, du.«

Deine Stimme vom AB

Neulich sagte eine Freundin zu mir, sie habe sich erschrocken, als sie deine Stimme hörte, als sie uns anrief. Sie war so geschockt, dass sie keine Nachricht hinterlassen konnte, und fragte mich, ob ich das nicht ändern möchte. Und ich sagte: »Ach weißt du, manchmal rufe ich uns an, nur um ihm eine Nachricht zu hinterlassen.«

Glas, ich

Fünf

Ich fühle mich wie Glas. Die durch mich durchsehen, dringen auch in mich ein. Fremde Augen verführen mich, mich zu spiegeln. Plötzlich sieht jeder, was ich sehe. Sie sagen kluge Sachen. Ich höre ihnen zu. Danach zerspringe ich in tausend Scherben. Dann kommst du und klebst jedes Stück von mir in eine andere Form, schickst mich los und sagst:
»Erfinde dich neu.«
Wir reden über verwelkte Geschichten und geben ihnen andere Farben. Sie glitzern wie Modeschmuck und wir finden sie zum ersten Mal schön. In unserer Welt erschlagen Riesen keine Zwerge, da beschützen sie sich gegenseitig. Ich lehne mich an dich, sage etwas irrsinnig Blödes, aber du denkst darüber nach. Irgendwann wird auch diese Nacht enden. Du wirst wieder aus dem Fenster fallen und nie unten ankommen.
»Ich bin da«, sagst du.
In neuem Kleid, ein Unikat, schließe ich die Türen ab, lege mich aufs Sofa und flüstere:
»Scherben lügen nicht.«

Dein wunder Punkt

Drei

Erinnerst du dich? Ich fahre unser Leben hoch und runter, lache, weine, werde wütend oder trauriger als ich sowieso schon bin, und trinke. Le Masserie. Wolltest meine Schulter sein, ich könnte ein Rückgrat gebrauchen, weißt du das? Vino Rosso, schmeckt trocken und ist es auch, wie ich. Möchte lieben und leiden, möchte beides aus Schubladen fischen und mich bestücken.
Neu aufgemacht.
Wir haben über Ichs philosophiert, obwohl dir das nicht lag. Beschissene Nächte, beschissene Tage, ich rede immer häufiger über Suizid, auch wenn ich das nicht nötig hab‘. Ich schiebe es auf den Alkohol und auf dich. Erzähl mir nicht, was richtig ist. Ich habe das Bedürfnis, mich aus meiner Sucht nach dir zu trinken. Auf was schiebe ich das? Heute habe ich über Hürden gelegen und fühlte den Sturz. Ohne jeden Moment Revue passieren zu lassen, bin ich müd‘ und leer. Liebe ist … dass ich mich wiederhole.
»So einfach ist das?«, höre ich dich.
»Ja genau, so einfach, du blöder Arsch.«
Schiebe meine Ausdrucksweise auf die Promille in meinem Blut. Morgen gehe ich Blumen pflücken, rupfe ihnen den Kopf ab und sage: »Er liebt mich, liebt mich nicht.«
Jetzt höre ich dich lachen und weiß, dass alles gut ist.
Dein wunder Punkt.

Und wieder 3.00 Uhr morgens

Zwei

Ich wurde wach, diesmal ohne Schmerzen, bin in die Küche – nein – zuerst ins Bad, danach zu meinem Lieblingsplatz ans Fenster und habe mir dort eine geraucht. Weißt du noch, als ich dir sagte: »Ich wäre viel lieber ein Mann geworden«, und du sagtest: »Das wäre bedauerlich.« Daran denke ich komischerweise sehr oft. Gestern habe ich mir, nach unendlich langer Zeit, mal wieder einen Film angesehen. »Ziemlich beste Freunde«, selbst Kevin gefiel der, auch wenn er ihn schon kannte. Natürlich ist er eingeschlafen. Ich legte mich neben ihn aufs Sofa und legte meinen Arm um ihn. Vielleicht vermissen meine Söhne das. Vielleicht vermissen sie mich jetzt schon, weil ich nur noch da bin, nicht mehr. Ich sehe an manchen Tagen durch sie durch, hebe ein Handtuch im Bad auf, lege es in die Wäsche und sage nichts dazu. Meine Wohnung ist das lange nicht mehr.

Unsere Söhne ziehen nicht mehr aus, nachdem sie wieder eingezogen sind. Sie haben Angst. Ich warte nicht darauf, dass sie gehen. Vielleicht aber ist es andersrum. Andrea wollte wissen, ob ich endlich den Termin beim Onkologen gemacht habe. Wir träumen davon, mit einem Bulli die Welt zu bereisen. Ich glaube, sie träumt weniger als ich, sie schaut sich schon nach welchen um. Mir reicht mein Finger auf der Landkarte oder meine Gedanken reisend, nach Frankreich. Da kenne ich mich aus. Weißt du Schatz, ich verliere. »Irgendwann geben wir alle den Löffel ab«, sagst du. Ja, irgendwann, aber ich – bald. Manchmal möchte ich wissen, was danach passiert. Nicht mit mir. Das interessiert mich nicht. Aber wann immer ich diese Frage zurück in den großen Katalog packe, bleibt sie stets unberührt. Gute Nacht, my dear.