Führ mich
Spaziergänge mit Dir
„Führ mich!“, sagst du, legst deine Hand in meine, schließt deine Augen und vertraust dich mir blind an.
Und ich führe dich, auf dem Weg, auch daneben, um Kurven und über Hindernisse. Meine Augen werden deine Augen, die dir den Weg zeigen. Meine Hand wird deine Stütze. Doch deine Ohren werden meine Ohren, denn du teilst mir nun mit, was du gerade hörst: „Da singt ein Vogel.“ „Ich glaub’, da kommt ein Bus.“ „Der Wind rauscht aber heute laut.“
Ein jeder, der uns sieht, mag denken, dass ich es bin, die hier das Sagen hat. Doch weit gefehlt. Ich sehe nur für dich auf diesem Weg, bedenke deine Schritte. Und du hörst für uns beide. Und so bist du es, die den Weg bestimmt.
Wir tauschen. Ich überlasse Dir die Führung. Schwierig, die Augen geschlossen zu halten und nicht ganz heimlich doch zu schauen, ob du mich richtig leitest. Schwierig, zu vertrauen, dir, die voller Schabernack steckt. Doch dieses Spiel spielst du gewissenhaft. Weißt um die Verantwortung. Hältst mich sicher auf dem Weg.
Das sind die wirklich intensiven Spaziergänge. Wenn wir abwechselnd „blind“ sind, in der Hand des anderen, und wir uns voll vertrauen.
Und sonst? Wer führt sonst wen? Ich denk’ manchmal, ich führ’ dich durch dein Leben. Sag’ dir meine Sicht der Dinge. Doch die Wahrheit ist, dass du es bist, die führt. Durch ferne Galaxien. Durch alle Länder dieser Welt. Zu unbekannten Phänomenen. Zu Würmern, Käfern, Mikrokosmos. Durch die Weltphilosophie. Mit deinen tausend Fragen. Mit deinem Blick, dem keine Kleinigkeit entgeht.
Dein Blick lenkt meine Augen. Deine Fragen meine Gedanken. Hin zu dem, was wirklich wichtig ist.
Und nicht nur dafür lieb’ ich Dich, mein Kind.
Hulemule
15. Mai 2010
ach ja – die entdeckungsreisen, die man mit kindern machen kann sind einfach wunderbar, sie schulen den blick für kleine dinge, die so bedeutsam sein können – und sei es nur für einen augenblick.
mir fiel dies lied dazu ein 🙂 http://www.youtube.com/watch?v=hePiAfUku7s
Songline
15. Mai 2010
Hule, das Lied passt gut. „Du bist ein Riese, Max“ mag ich auch sehr gern.
KoKa
20. Mai 2010
Ein beeindruckender Text. Grüß dich, KoKa
Mumpitz
21. Mai 2010
Sich mal besinnen, mit Kinderaugen zu gucken, das finde ich auch sehr wichtig! Manchmal vermute ich, dass unsere Gesellschaft daran erkrankt, dass immer weniger Kinder geboren werden. Wir Großen verlernen so nämlich ganz langsam genau das: Mit Kinderaugen gucken. Mit Kinderseelen fühlen.
manu
25. Mai 2010
die Liebe und das Vertrauen eines Kindes ist ein großes Geschenk !
Ich erinnere auch sehr gerne solche Ausflüge mit meiner Tochter und all das, was sie mich sehen ließ.