Bevor wir uns kannten

„Bevor wir uns kannten, ging’s doch auch.“

Ich weiß nicht mehr, wann wir es zum ersten Mal sagten und wer von uns es tat. Aber es wurde zum geflügelten Wort, wann immer wir uns der Endlichkeit unserer Beziehung bewusst wurden.

Nichts ist für immer. Es gibt Freundschaften und auch Liebesbeziehungen, die halten ein Leben lang – aber seien wir ehrlich: der Normalfall ist das nicht. Warum sich also an der Illusion festhalten, dass es so sein könnte?

Wir wollten kein „Ein Leben lang“, von Anfang an nicht. Wir wollten uns haben und genießen und annehmen und ausleben, solange es eben ging. Und dann ohne einander weitermachen, mit dem Schatz der gemeinsamen Erfahrung.

„Bevor wir uns kannten, ging’s doch auch.“ Ja, bevor wir uns kannten, sind wir auch wunderbar ohne einander klargekommen. Und so haben wir uns eingebildet, dass es auch hinterher so sein würde, wider besseren Wissens. Der Satz war der Strohhalm, dan den wir uns klammerten, in dem Bewusstsein seiner Wertlosigkeit, wenn es zur Trennung kommt.

Nachdem wir uns kannten, war nichts mehr wie vorher. Nachdem wir uns kannten, verschoben sich Prioriäten, Maßstäbe, Werte. Nachdem wir uns kannten, bekamen Dinge eine Bedeutung, über die wir davor keine fünf Sekunden nachgedacht hatten. Nachdem wir uns kannten, haben wir uns bereichert.
Die Trennung kam wie ein Entzug.

Es ist nicht das erste Mal, dass es eben nicht mehr einfach so wie vorher geht. Und es wird nicht das letzte Mal sein.

„Wer lieben will, muss loslassen können.“ Ohne sich an die Hoffnung zu klammern, sie ginge spurlos, schmerzlos vorüber. Das kann sie nicht. Weil wir hinterher nicht mehr dieselben sind, wie die, die wir waren, bevor wir uns kannten.

  • Alles, was wir kennen lernen, verändert uns, prägt uns und macht uns zu dem, was wir sind. Nichts kann je sein wie es vorher war, keine zwei Augenblicke sind jemals gleich. Manche Begegnungen helfen uns, uns selbst kennen zu lernen. Andere rufen eine starke eigene Veränderung hervor.
    Wenn das Erlebte etwas ist, das uns großes Glück beschert hat, sollte es uns ein Leben lang ein wenig glücklicher machen. Selbst wenn das Erlebte Vergangenheit ist, bleibt doch das innere Glück in einem erhalten.
    In einem Lied von mir (Schmetterling) hab ich mal gedichtet:

    Warum trennen sich die Wege, und wer mischt die Karten neu?
    Kannst du vertrauen, wenn du die Regeln nicht verstehst?
    Ob nun Stunden oder Jahre: sicher ist, dass ich mich freu,
    wenn du ein Stück des Weges mit mir gehst.

    Jetzt, als ich deinen Text las, fielen mir diese Zeilen wieder ein.

    • Sehr schöner Kommentar, ich danke Dir. Und ich stimme Dir zu: Das innere Glück bleibt erhalten und wird dauerhaft als Gewinn empfunden.
      Wäre es anders, wäre der Trennungsschmerz stärker als das positive Gefühl aus der Beziehung, könnten wir uns wohl nicht mehr auf einen anderen Menschen einlassen.

  • “Bevor wir uns kannten, ging’s doch auch.”
    Eben – und das sollten wir nicht vergessen! Und deshalb ist es so wichtig, jeden Tag miteinander zu genießen, ihn nicht als selbstverständlich hinzunehmen.
    Denn wir verändern uns, das Miteinander verändert sich. Beziehungen muss man jeden Tag neu leben – erleben.
    Noch etwas – wer niemals am Boden war, auch Trennungsschmerz ganz intensiv erlebt hat, der ist wohl nicht in der Lage, das Glück hautnah zu spüren.

    Das Leben ist wunderschön, aber manchmal tut es verdammt weh.
    Doch wer will schon im schwammigenen dazwischen leben?

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