Sein oder Nichtsein

Niemand bemerkte mein Fehlen. Der junge Mann nicht, der sich zur Mittagszeit eingequetscht im überfüllten Autobus wiederfand, der ältere Herr nicht, dem der jüngere vorwarf, ihn bei jedem Zustieg eines neuen Fahrgastes anzurempeln, und die anderen Fahrgäste auch nicht, wie sollten sie auch, lenkte sie doch der seltsame, kordelumrandete Filzhut des jungen Mannes ebenso ab wie die weinerlich beleidigte Diskussion, die er mit dem alten Mann führte, bis er, kaum dass er einen freien Platz erblickte, sich auf diesen stürzte und endlich Ruhe gab.

So wäre ich ein Nichts geblieben, im Fehlen unerkannt, wäre nicht der junge Mann, zwei Stunden später längst dem Bus entstiegen, vor der Gare Saint-Lazare seinem Freund begegnet. War es ein Windzug, der dem Schlacks den langen Hals verkühlte und ihn frösteln ließ, trotz seines Hutes? Was auch immer. „Dir fehlt ein Knopf am Ausschnitt“, sprach der Freund. Und so wurde ich.


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Anmerkung: Der Text ist ein Beitrag zu einem Projekt an anderer Stelle: Stilübungen nach Raymond Queneau

  • Hui! Ein toller Text, was zum mehrmals lesen mit einer überraschenden Pointe. Richtig klasse!

    • Dankeschön! Ich lese mich gerade durch die Stilübungen von Queneau. Kennst du die? Er hat die Geschichte von dem jungen Mann im Bus 98 mal in einer anderen Fassung geschrieben. Das Projekt geht so, dass man eine neue Idee entwickeln und weitere Fassungen davon schreiben soll. Gestern wollte ich das Ganze schon rappen, aber so gut ist mein Rap nicht 😉
      Es gibt die Story auch als Elfchen und Sonett und so weiter. Ich schau mal, was mir noch einfällt.

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