Jenseits des Rades
Der Schmerz traf sie unvermittelt und sie fand sich auf dem Schotter des Parkplatzes wieder. Sie hatte doch eben noch … Ihr blieb die Luft weg. „Ruhig bleiben, atmen“, dachte sie. Der linke Knöchel schmerzte höllisch. „Verdammt, ich hab jetzt keine Zeit für sowas.“ Als sie sich aufsetzen konnte, sah sie die Vertiefung im Boden, die ihr zum Verhängnis geworden war. Sie hatte auf den Brief in ihrer Hand gesehen, anstatt auf die Schritte vor ihr.
Ein Wagen hielt, eine Frau stieg aus und half. „Soll ich Sie begleiten?“ Sie ging ein Stück mit. „Ich glaube, es geht schon, danke, ich muss nur ins Büro, das ist nicht mehr weit.“
„Sicher?“
„Ja, ich schaffe es. Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben.“
2 Etagen die Treppen hinauf. Die Kolleginnen schimpften.
„Du musst zum Arzt.“
„Ich arbeite mit dem Kopf, nicht mit den Füßen.“
„Das sieht wie ein Bänderriss aus.“
„Wenn das Band gerissen wäre, täte es nicht mehr so weh.“
Als die Kolleginnen sahen, wie der Knöchel zu einem Ei anschwoll, sorgten sie für den Transport ins Krankenhaus.
Sie wurde mit dem Rollstuhl an der Tür abgeholt und auf den Flur geschoben. Die Krankenschwester blickte suchend über den Flur, aber es sollte eine Stunde dauern, bis endlich der Arzt erschien. In dieser Zeit sah sie dem Maler zu, der die weißen Wände frisch strich.
„Was haben Sie gemacht?“
„Ich bin mit dem Fuß umgeschlagen“
„Dann röntgen wir erst mal.“
Das war klar. Wieder wurde sie geschoben, zum Röntgen und wieder zurück. Wieder wartete sie. Der Arzt erschien mit einem strahlenden Lächeln.
„Sie haben eine Schiene gewonnen!“
„Wie bitte?“
„Eine Gipsschiene.“
„Sagen Sie nicht, ich hab was gebrochen, ich hatte noch nie was gebrochen!“
„Nein, Sie haben einen Außenbandanriss. Früher hat man sowas sofort operiert, dann kamen Reha und Krankengymnastik. Heute behandelt man mit einer Schiene.“
„Wie lange muss ich die tragen?“
„6 Wochen.“
Während der Pfleger ihr die Schiene anlegte, dachte sie an alles, was noch zu tun war.
„Darf ich arbeiten, wenn mich jemand hinfährt? Ich bin im Büro und kann meistens sitzen.“
„Haben sie jemanden, der Sie fährt?“
„Ich organisiere jemanden.“
„Ich schreibe Sie eine Woche krank und dann sehen wir weiter.“
Sie ließ sich vom Krankenhaus abholen und nach Hause bringen. All die Termine dieser Woche lösten sich auf. Und auch die der nächsten. Vor kurzem erst hatte jemand gesagt, dass ein Unglück nicht zufällig passiert, sondern um jemanden aus dem Hamsterrad zu retten, der gerade etwas Zeit für sich braucht. „Als hättest du’s gewusst“, lächelte sie.
Mumpitz
12. Sep. 2012
Oh, solch eine Hamsterradbefreiung habe ich selber schon erlebt, sehr treffend beschrieben!