Kauri

„Wenn man einem Menschen seine Träume nimmt, was hat er dann noch?“
„Die Geschichten.“

„Geschichten, Sina“, widersprach Clare, „schreiben sich mit ihrem Ende in die Vergangenheit. Träume schauen nach vorn. Und wäre dort nichts mehr, welchen Sinn hätte dann das Sein?“
„Den, weitere Geschichten anzusammeln.“
„Richtig, Sina, aber ohne Träume kannst du sie nicht schreiben, sondern würdest Geschriebene sein.“

Clare schwieg und wiegte sich in sich selbst. In Gedanken spazierte sie einen Strand entlang, sammelte ein paar Muscheln und kehrte dann in ihr Haus zurück, von dem aus sie das Meer sehen konnte.

„Träumst du wieder?“, fragte Sina. Clare nickte. Dann stand sie auf und holte einige sorgsam beschriftete Dosen aus dem Schrank, in denen einst Bonbons waren und die nun ihre Schätze hüteten. Muscheln befanden sich darin, Schnecken, meergeschliffenes Glas, hier die Schere eines Krebses, dort die Knochen eines Tintenfischs. Strandgut aller Meere. Sina betrachtete die Sammlung mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis.

Clare legte die schönste ihrer Schnecken in Sinas Hand:
„Ich fand meine Wege, weil ich sie träumte und mich nicht schreiben ließ.“
„Meine träumte ich nie.“
„Dann behalte sie.“

  • Deine Geschichten sind still, langsam, gefühlvoll. Sie sind wie Nebel, der in der Frühe über einen stillen See streicht. Ja, es sind immer Morgen-Geschichten, mit einem Hoffen und Sehnen auf den Tag, der da kommen mag.

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