Literarisches Nähkästchen

Habt ihr schon mal neben einer Autorin gesessen? Ich meine, neben einer richtigen, während sie arbeitet? Nein? Dann lasse ich euch jetzt mal an unserem Schreibstübchen teilhaben.
Gestern saß sie da uns las mir ihre Texte vor. Ich höre ihr so gern zu, während sie nicht begreift, warum das so ist, und ich es ihr nicht erklären kann. Manche Dinge sind halt einfach, wie sie sind.
Immer, wenn sie laut liest, sagt sie hinterher: „Das ist scheiße.“
„Was genau?“, frage ich.
„Die vielen Wiederholungen.“
„Ich höre keine.“
„Und ich höre sie nur, wenn ich sie laut lese.“

Ich ergreife die nächstbeste Gelegenheit zur Flucht, in dem Wissen, dass sie alles über den Haufen geworfen hat, bis ich wieder da bin.
„Jetzt muss ich dir alles nochmal vorlesen.“
„Mach mal, ich höre dir immer noch gerne zu.“
„Wieso?“
Als ob ich das jetzt besser wüsste als eben. „Lies einfach“, sage ich.

Und so wechseln wir zwischen ihrem Schreiben, das ich mit sinnlosen Internetspielen fülle, und ihrem Lesen.
„So“, sagte sie nach der letzten Korrekturorgie, „jetzt habe ich den Text von dem ganzen Schwulst befreit. Hatte ich das geschrieben?“
„Ja“, sagte ich, „als du ganz traurig warst.“
„Lass mich nie wieder schreiben, wenn ich traurig bin, oder lege es mir drei Monate später nochmal zur Korrektur vor!“, fordert sie.

Es ist drei Monate später. Hallelujah!

  • „Lass mich nie wieder schreiben, wenn ich traurig bin …“
    Meist sind das die ganz besonderen Texte, eben weil das Gefühl so „frisch transportiert“ wird.

  • Frag nie eine Autorin oder einen Autor, ob er zufrieden mit seinem Werk ist!
    In starken Gefühlswallungen zu schreiben, kann sehr besonders werden, ja. Ich persönlich finde meist erst Worte, wenn Situationen bereits durchlebt sind.

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