Wer du bist

Da ist sie wieder, diese Frage, die eine deiner ersten war. Und ich sehe deine Zweifel, ob man dich liebhaben kann, und den Gedanken, was dich prägt. Du fragst dich, ob du anders wärest, hätte dir das Leben einen anderen Ort zugewiesen, eine andere Familie, ein anderes Umfeld.

Am selben Ort, in derselben Familie, wachsen zwei Kinder auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das ältere ruhig, überlegt, besonnen. Irgendwie erwachsen, vom ersten Tag an. Das jüngere verspielt, fantasievoll, drauflos. Die gleiche Erziehung, zwei verschiedene Menschen.

Deine Frage macht mich immer wieder nachdenklich. Ich bin die, als die ich auf die Welt kam. Durch Erfahrung gereift, aber den Charakter nicht verloren. Mein Ich war und ist und bleibt, was immer auch außenrum passiert. Wie ich mit etwas umgehe, ist das, was mich ausmacht, und meins.

Mit Dir ist es genauso. Du nimmst die Dinge und bewältigst sie auf deine Art. Obwohl ich dir meine Art vorlebe. Du siehst mich an und machst es doch anders. Das bist du. Deine Art, mit den Dingen umzugehen. Und diese Art wäre so, egal, wo du aufwachsen würdest.

Ob ich dich so liebhabe? Natürlich. Weil Du du bist. Weil du liebenswert bist. Als die, die du bist, mein Kind.

  • Die Selbstfindung beim Erwachsenwerden ist oft ein sehr schwieriger Prozess. Ich kann den Text sehr gut nachvollziehen, auch bei meinen Kindern kann ich sehr unterschiedliche Charaktere erkennen, die sie die Dinge unterschiedlich sehen lassen. Andererseits vergleichen sie sich, mit ihren Eltern, aber vor allem auch mit ihren Geschwistern, versuchen sich selbst in ihrem Gegenüber zu erkennen, oder besser gesagt, sich dem gegenüber abzugrenzen, um „Selbst“ zu werden. Die Sorge, vielleicht nicht liebenswert zu sein, verliert sich erst, wenn man sich selbst lieben kann, so wie man ist. Wenn man akzeptieren kann, dass man manche seiner Sicht- und Handlungsweisen nicht bezwingen, sondern sie annehmen kann, guten Gewissens. Dann entwickelt sich ein Selbstwertgefühl, das einem auch erlaubt, andere zu lieben, nicht nur sich selbst.

    • Ich kenne die Zweifel an mir selbst auch aus Kindertagen und sehe sie nun bei meiner Jüngsten, während die Große in sich ruht. Gut, sie ist fast drei Jahre älter und hat einen Freundeskreis, der sie so annimmt, wie sie ist, was bei der Jüngeren nur eingeschränkt der Fall ist. Ich denke viel darüber nach, wie ich den Zweifeln meiner Jüngsten begegnen kann.
      Danke für deine ausgewogenen Kommentar dazu.

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