Über den Hügel

Ich kam lange nicht mehr über den Hügel gefahren. Ich erblicke den Kirschbaum jenseits des Tales: mein Ort glücklicher Kindertage, mein Schutz, meine Welt, Start- und Zielpunkt aller Traumreisen, Ausguck auf die sonnengetauchten Felder ringsherum. Der Baum am Hang, in dem du mich fürs Leben lernen ließest; darüber das Haus. Deine Wäsche hängt nicht mehr am Pääsch neben der Scheune. Darin hast du auf dem Holzfeuer das Wasser erhitzt, das zum Waschen ebenso wie das für den Zinkzuber, in dem wir gebadet wurden. Und auch das für die Rübenschnitzel, deren Geruch mir wohlwollend durch die Nase streicht.

Ich fahre den Hügel hinunter, durch die Senke und dann rechts die Straße hoch, die auf das Haus zuführt. Du kommst über den Hof, wischst dir die Hände an der Schürze ab und begrüßt uns mit einer Herzlichkeit, die ich von niemandem sonst kenne. Ich bleibe zwei Wochen in eurem Haus, dessen Tür direkt in die Küche führt, das klein ist und kein separates Bett für mich hat und kein Bad, aber das ich heute noch nenne, wenn man mich fragt, was für mich Heimat ist. Die Heimat im Haus warst du.

Ich kam lange nicht mehr über den Hügel gefahren. Seltsam, nicht zum Haus abzubiegen, sondern der Straße zu folgen, dort vorbei, wo früher der Laden war und der Schuster, um dann auf die Kirche zuzufahren, die über dem Unterdorf thront. Eines ist geblieben, von damals: Es kommen noch immer alle zusammen, wenn es Abschied zu nehmen gilt, diesmal von dir. Unter den Rasen möchtest du, hast du gesagt, weil es so praktisch ist und es niemandem Arbeit macht. Doch ich sehe dich immer noch über den Hof kommen und die Hände an der Schürze abwischen, um mich zu begrüßen.

  • Ein sehr liebevoller Nachruf. Man spürt, dass hier nicht nur ein Mensch gegangen ist, sondern auch eine ganz uralte Zeit ein Stück weiter in die Ferne rückt.
    Beim Lesen habe ich das Gefühl, dass ich gern einmal daran teilgehabt hätte, an dem Ort über dem Hügel, an der Zeit, an dem Menschen, der gegangen ist.

  • Ich schließe mich Mumpitz an.

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