Wärest du morgen noch da
„Hey Du.“
Sonja wendet sich um und folgt dem leisen Klang der vertrauten Stimme. Dort ist er. Ein wenig verlegen blickt er sie an, unsicher, wie sie reagieren wird. Und doch auch mit dem verschmitzten Lächeln im Gesicht, das sie so sehr an ihm liebt.
„Hey Marc.“
Sonja zögert. Was tut man in so einem Moment? Was tut man, wenn körperliche Nähe noch vor nicht allzu langer Zeit selbstverständlich war, nun aber diese Trennung im Raume steht, mauermeterhoch? Umarmt man sich? Aber wenn er es auch wollte, sollte dann nicht er…? Sie bewegt sich nicht.
„Wie geht’s dir?“
Sonja ging es schon mal besser. Es ist so viel passiert in letzter Zeit. Aber sowas erzählt man nicht am Stöbertisch einer Buchhandlung. Ein „Wie geht es dir?“ richtig zu beantworten braucht Zeit und einen Kaffee. Vor allem aber das Gefühl, dass der andere auch morgen noch zuhört.
„Gut, und selbst?“
„Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Ich dachte, du wärest traurig.“
Ja, das ist sie ohne ihn. Immer noch und immer wieder. Aber – sagt man das? Sagt man das, wenn man möchte, dass es dem anderen gut geht und er sich keine Sorgen um einen machen muss? Nein, das sagt man nicht.
„Nein, es ist okay. Wie geht es dir?“
Marc erzählt, was er so macht, und es hört sich gut an. Ärger im Büro, aber ein neues Projekt in der Freizeit, von dem sie weiß, dass es ihm Spaß macht. Sie freut sich für ihn.
„Es ist schwer, ohne das, was wir hatten.“
Marc spricht es aus. Ja, es ist schwer. Man hütet den Schatz der Erinnerung und weiß zugleich um das „nie wieder“.
Sonja schweigt. Solange man schweigt, fällt es leichter, das Zittern der Lippen zu verbergen und die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
„Trinken wir ab und zu einen Kaffee zusammen?“ Sonja hält Marcs erwartungsvollem Blick stand und schafft ein überzeugendes „Ja, gerne.“
„Okay, dann bis dann mal.“
„Ja, bis dann mal. Mach’s gut.“
Sonja sieht Marc hinterher, während er die Buchhandlung verlässt. Und spricht nur in Gedanken aus, was sie ihm hätte sagen wollen. ‚Was erzählen wir uns dann, wenn wir ab und zu einen Kaffee trinken? Träumen wir von alten Zeiten? Zerreißt es uns, weil wir sie nicht zurückholen können? Reden wir dann übers Wetter, weil das nicht weh tut? Und gehst du dann wieder? Gehst Du wieder? Du fehlst mir unendlich. Aber vertraut mit dir reden, so wie früher, könnte ich nur, wenn ich sicher wüsste, du wärest auch morgen noch da.‘
blue
3. Sep 2010
Ich bin morgen noch da. :-> Blue
Songline
3. Sep 2010
Siehst du, wie ich lache? Dein Kommentar ist erste Sahne 😀
Mumpitz
3. Sep 2010
…das verschmitzte Lächeln, das sie so sehr an ihm liebt“…
Ich denke, er wird nicht so oft kommen können, wenn er sein verschmitztes Lächeln bewahren will.
Andererseits wird er auch einen „wie geht es dir“-Dialog in Kauf nehmen, um ihre Stimme zu hören.
Eine so einfache, klare Begegnung, die so schwierig ist. Puh.
Songline
4. Sep 2010
Mmh, ich denke, in der Geschichte ist es die mangelnde Kommunikation über die gegenseitigen Erwartungen, die es so schwierig macht.
koka
4. Sep 2010
This text is incredibly beautiful