Appelkitsch
Appelkitsch war groß, blond, blauäugig und vor allem: cool. Von ihm schwärmte die gesamte Teenagergeneration, nicht nur die weibliche. Keiner wusste so genau, was er eigentlich machte, seit er das Gymnasium mitten im Schuljahr verlassen hatte, weil er – wie er sagte – dort nichts lernen könne, was für irgendetwas zu gebrauchen sei. 17 war er – immerhin das wusste jeder. Sommer wie Winter lag er im Schwimmbad und ließ seinen makellosen Körper anhimmeln. Seinen richtigen Namen hatten sie mit der Zeit vergessen, alle nannten ihn nach dem Plastikding, das er um seinen Hals trug: „Appelkitsch“.
Man hätte meinen können, dies außergewöhnlich hässliche Etwas verleihe ihm magische Kräfte. Er trug es auf stolzgeschwellter Brust mit der Würde eines Helden. Wo andernorts Löwenklauen und Tigerzähne Stärke und Tapferkeit bewiesen, dokumentierte Appelkitsch seine Mannhaftigkeit durch ein Apfelkerngehäuse aus Hartplastik. Und die Mädchen standen drauf.
Appelkitsch hingegen stand auf Mathilde. Die dunkelhaarige Schönheit war erst vor kurzem zugezogen und bediente hinter der Bäckereitheke des örtlichen Supermarktes. Was für eine Frau! Stufe 12 auf einer Skala bis 10. Der Wahnsinn! Appelkitsch konnte die Augen nicht von ihr lassen, kaum dass er den Supermarkt betrat. Höflichkeit vortäuschend, ließ er alle Rentner vor ihm ihre Bestellung aufgeben. Kostbar jede Minute, in der sie mühselig ihr Kleingeld auf der Theke abzählten, oder Mathilde ihr Portemonnaie reichten, damit sie es täte. Wie sie lächelte! Wie freundlich sie blieb, egal wie umständlich die Kundschaft war. Wie sie sich bewegte! Und jedes Mal, wenn sie ihn dann fragte, was es denn sein dürfe, stammelte Appelkitsch etwas verlegen seine Bestellung, obwohl er sich etwas anderes von oder besser: mit ihr gewünscht hätte.
Keine Chance. Mathilde war sicher schon zwanzig und hatte bestimmt einen Freund. So eine Frau musste einen Freund haben. Da konnte es nur in einer Blamage enden, sie anders anzusprechen als mit „Ich hätte gerne zwei Brötchen, bitte“ und dabei die Stimme männlich tief klingen zu lassen.
Die Tage vergingen. Immer der gleiche Dialog:
„Was darf’s denn sein?“
„Ich hätte gerne zwei Brötchen, bitte.“
Mathilde war so anders als die Zahnspangenfraktion. Sie schenkte ihm keine bewundernden Blicke, nur dieses Lächeln, das nicht anders war als für jeden anderen Kunden auch. Dann kam Tag 13, ein Freitag war’s. Appelkitsch hatte beschlossen, etwas Abwechslung in seine Beziehung zu Mathilde zu bringen.
„Was darf’s denn sein?“
„Ich hätte gerne zwei Croissants, bitte.“
Keine Regung. Nicht einmal ein Brauenzucken. Mathilde ließ die Croissants in eine Papiertüte gleiten, ebenso, wie sie es sonst mit den Brötchen tat, und nannte wie gewohnt lächelnd den Preis.
Appelkitsch stand völlig konsterniert vor ihr. Umständlich zählte er das Geld ab und legte es auf den Tresen. Nicht einmal ein Brauenzucken. Kein Zwinkern. Keine Regung, aus der er hätte schließen können, ob sie ihn mochte oder nicht.
Mit irgendetwas musste sie doch zu beeindrucken sein. Er griff sich in den Nacken, löste das Halsband und hielt es Mathilde hin.
„Hier, das schenk ich dir.“
„Das ist ein Appelkitsch.“
„Jeder hier weiß, dass es meiner ist.“
„Das Ding ist ziemlich infantil.“
Drei Tage später ging Jürgen wieder zur Schule.
Mumpitz
20. Jan 2011
Ausgebremst, kann ich da nur sagen! ähh – wo ist dieser Supermarkt? Nur so interessehalber…
Songline
20. Jan 2011
Suchst du nach leckeren Brötchen? 😉