Sankt Martin und der Nebel des Grauens

Martinszug. Laternen. Leuchtende Kinderaugen. Und eine Fachsimpelei über Horrorfilme. Zwischen mir und einem Achtjährigen. Wobei er der Experte war.

Gestern Abend. Martinszug bei uns im Dorf, von den Kindern mit Vorfreude erwartet und von mir wie jedes Jahr begleitet. Es beginnt mit aufgeregtem Plappern, bis die Musik erklingt und sich der Zug in Bewegung setzt, St. Martin auf dem Pferd voran und die Grundschüler hinterher. Ein tolles Bild. Die Kinder, noch voll motiviert, singen lauthals mit. Gut, sie singen schneller, als die Musik spielt, aber über solche Kleinigkeiten sehen wir gelassen hinweg. Wie übrigens auch darüber, dass sich unsere Klasse genau zwischen zwei Musikkapellen befindet und wir nie so genau wissen, welches der beiden (natürlich unterschiedlichen) Lieder dieser Kapellen wir denn nun mitsingen sollen. Nun ja.
„Du singst ja falsch.“, muss ich mir von dem Schulfreund meiner Tochter sagen lassen, der gleich neben mir geht. Nein. Ich singe nicht falsch. Die Kapelle spielt die Lieder eine Terz zu hoch und da komme ich nicht hin. So. Dafür bin ich unglaublich textsicher. Und es macht mir auch gar nichts aus, dass die Lehrerin meiner Tochter die Strophen von „Laterne, Laterne…“ in einer anderen Reihenfolge singt als ich. Von so etwas lasse ich mich keinesfalls entmutigen. Immerhin finde ich vier Kinder, die sich meinem Singsang anschließen, während ein paar andere der Lehrerin folgen und der Rest das Lied der vorderen Kapelle mitsingt.

Bei der Hälfte des Zugweges lässt der Enthusiasmus der Kinder spürbar nach. Die hintere Kapelle spielt ein Lied, das kein Mensch kennt, und da wir infolgedessen nicht singen können, ist der junge Mann neben mir um Konversation bemüht. Ein echter Gentleman.
„Frau H., magst Du Horror?“
„Nein, ich mag Horror nicht besonders.“
„Kennst Du denn Halloween?“
„Ja, Halloween kenne ich.“
„Also, ich meine den Film, hast Du den gesehen?“
„Nein, ich gucke keine Horrorfilme, weil die mir nicht gefallen.“
„Also ich finde die toll. Von Halloween gibt es ja mehrere und ich habe schon 1 und 3 gesehen.“
„DU darfst Horrorfilme gucken???“
„Ja, ich kenn auch noch „Fog-Nebel des Grauens“ und … und … Und in … hatte der Typ das gleiche Messer, das wir auch zu Hause haben, damit hat der den Frauen den Hals aufgeschlitzt.“
„Aber Du machst das nicht nach, was Du da in dem Film gesehen hast???“
„Nein, mach ich nicht. Aber ich kenn auch noch … und da war … Und in … hat der …“
Ich höre nicht mehr richtig hin und denke nur, ich sei im falschen Film. Der Knirps neben mir ist acht Jahre alt.

„Du, Frau H., warum meinst Du denn, dass ich das nicht gucken soll? Haste etwa Angst, ich könnte danach nicht mehr schlafen? Also ich kann ganz gut schlafen und ich hab schon ganz viele Filme geguckt, die waren alle ab 18.“
Ich beschließe, unsere Tochter nicht bei diesem jungen Mann spielen zu lassen. Er darf gern zu uns kommen, die wir den Medienkonsum unserer Kinder in geordneten Bahnen ablaufen lassen.
„Frau H., welche Horrorfilme kennst Du denn?“
„Keine.“, sage ich und habe kein schlechtes Gewissen, obwohl diese Antwort eine Lüge ist. Ich werde doch dem jungen Mann nicht noch Tipps geben, was man sich noch so ansehen kann. Und mit Grauen denke ich an „Freitag der 13.“, „Hitcher – Der Highway-Killer“ und „Der Blob“ zurück. Die ich mit Anfang 20 sah und die auf meiner zartbesaiteten Seele einen derart nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben, dass ich mir so etwas seither nicht mehr angesehen habe.

„Ich schlage vor, wir singen noch ein wenig. Schließlich ist Sankt Martin“, sage ich und stimme in den Singsang ein, der sich inzwischen wieder um uns herum entwickelt hat. Wobei: Für jeden Freund von Chorkonzerten erweckt der Gesang dieser Klasse ein Grauen. Und ist von daher durchaus mit dem Effekt eines Horrorfilms zu vergleichen.

Wir erreichen den Schulhof, auf dem das Martinsfeuer brennt. In Viererreihen stehen die Kinder um das abgesperrte Areal und es dauert eine Weile, bis die kleineren Schüler vorne und die größeren hinten stehen. Die Mantelteilung kann erst vorgeführt werden, als keiner mehr „Ich kann nichts sehen“ brüllt. Der Bettler, spärlich bekleidet, bittet Sankt Martin um Hilfe, und gerade als dieser seinen Mantel hingibt, sieht sich jemand aus der Klasse meiner Tochter zu der lautstarken Bemerkung veranlasst „Sankt Martin ist schon lange tot.“

Dass beim abschließenden „Großer Gott, wir loben Dich“ niemand mehr den Text kennt, mir bei den hohen Tönen die Stimme versagt und die Kapelle zu allem Unglück auch noch zwei Strophen spielt, kann diese Veranstaltung dann auch nicht weiter beeinträchtigen. Immerhin stellen wir abschließend fest, dass wir in diesem Jahr keines der Kinder verloren haben. Das ist doch auch schon etwas wert.
Die Kinder gehen in ihre Klassen und bekommen die Martinstüten. Ein letztes Mal wird „Sankt Martin“ gesungen, meine Stimme ist inzwischen wieder tonabgabebereit, und dann geht es nach Hause. Mit einer zufriedenen Tochter. Die weder von den Horrorstories noch von dem toten Sankt Martin etwas mitbekommen hat. Und dementsprechend zufrieden ist. Was will Mama mehr. Und nächstes Jahr gibt es wieder the same procedure as every year. Dann hoffentlich weniger grauslich.

  • Klasse, Sankt Martin im Nebel erinnert mich an einen Dialog vor Jahrzehnten.
    Meine Jungs (6+3 Jahre alt):“Oma hat uns einen Tierfilm gucken lassen.“ Ich:“Das ist schön,was habt ihr denn für Tiere gesehen.“
    Antwort:“Den weißen Hai!“

  • Ha, sehr gut! Am Reformationstag ist es übrigens noch härter… 😉

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