Verstand verstrahlt
Heute habe ich mir den halben Tag den Kopf darüber zerbrochen, wie ich dem geneigten Leser das Thema des heutigen Tages nahebringe. „Worüber schreibst du?“, fragte meine Freundin und ich antwortete: „Atompolitik.“ „Puh!“, sagte sie da.
Wer jetzt ebenfalls „Puh“ denkt, findet hier ja gottseidank genügend Alternativen, aber vielleicht geht ja doch der eine oder die andere mit mir auf eine atomare Entdeckungsreise.
Das Atom an und für sich ist ja keine schlechte Sache, es ist klitzeklein und alle Materie besteht daraus. Kompliziert wird es aber, wenn man Atome spaltet (Fission) oder mehrere miteinander vereinigt (Fusion). In beiden Fällen wird ungeheure Energie freigesetzt und wenn man diese Energie in eine Bombe packt, malt sich die Welt geschockt Szenarien wie Hiroshima und Nagasaki.
Doch jedes Ding hat bekanntlich zwei Seiten. Statt in Bomben, kann man die Atomenergie auch in ein Kraftwerk stecken, beziehungsweise sie dort erzeugen, und hinten kommt dann Strom raus. Prima.
Doch was teilweise noch immer als die Lösung des Weltenergieproblems gepriesen wird, erwies sich von Anfang an als höchst gefährlich. Bereits seit 1952 gab es immer wieder Reaktorunfälle, zum Teil mit erheblichen Opferzahlen und nachhaltigen Auswirkungen auf die Umwelt. Außerdem ist bis heute nicht geklärt, wo radioaktive Abfälle sicher gelagert werden können, bis sie nicht mehr strahlen. Und das dauert lange.
Dies alles vorausgeschickt, hab ich mich ja so richtig auf die Angela gefreut. Also ich meine natürlich die Bundesangela, unsere Kanzlerin. Die hat doch, dachte ich, als promovierte Physikerin Ahnung von Atomen. Und die weiß auch ganz bestimmt, da war ich mir sicher, wie gefährlich die Dinger sind, selbst wenn man sie hinter dicken Kraftwerksmauern versteckt.
Aber die Angela war in Sachen Atomstrom gar nicht auf meiner Seite. Gut, dachte ich, vielleicht weiß sie doch besser Bescheid als ich. Vielleicht ist die Gefahr ja doch nur eine potenzielle, virtuelle gar, und keine reale. Sie muss es ja wissen. Sie hat das ja studiert, ich nicht. Also, ich auch, aber nicht Physik.
Jedenfalls nahm ich erstaunt, aber typisch deutsch achselzuckend hin, dass sie den Atomkonsens wieder aufhob, mit dem die rot-grüne Vorgängerregierung und die Kraftwerksbetreiber im Jahr 2000 den Atomausstieg beschlossen hatten. Nun gut. Der Atomkonsens 2010 sah die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke vor.
Tja, und dann, dann behielt ich am Ende doch Recht. In Fukushima ging der Meiler hoch, weil eine dicke Welle über den Reaktor geschwappt war. Plötzlich zuckte die Öffentlichkeit nicht mehr nur mit den Achseln, sondern forderte lautstark den Atomausstieg. Fukushima könnte schließlich auch vor der eigenen Haustür passieren, mit Verstrahlung und allem drum und dran. Die Bundesangela beugte sich und ließ die Reform von der Reform beschließen. Der letzte deutsche Meiler geht 2022 vom Netz. Alle sind happy, bis auf die Kraftwerksbetreiber, aber ein paar Kollateralschäden muss es auch beim Atomausstieg geben.
Alle sind happy? Fast. Ich bin es nicht. Nun mault nicht, dass ich nicht zufriedenzustellen wäre, ich bin eine Frau, da wäre das mein gutes Recht. In Wahrheit bin ich aber bescheiden, wenn – ja, wenn ich denn jetzt endlich eine klare Atomlinie hätte. Hier in Deutschland werden Atomkraftwerke abgeschaltet, weil sie nicht sicher sind, und die Kraftwerksbetreiber bekommen sicher staatliche Unterstützung zur Lagerung der Abfälle und dem Abbau der Anlagen, und sei es in Form von Steuererleichterungen, auf jeden Fall bezahle ich als Steuerzahlerin den Atomausstieg. Ist okay, für so etwas zahle ich gerne.
Auf der anderen Seite bürgt aber die Bundesrepublik, und das bin ja auch ich, für den Neubau von Atomkraftwerken im Ausland, unter anderem für Angra 3 in Brasilien. Das verstehe, wer will, ich verstehe es nicht. Sind Atomkraftwerke in Japan und Deutschland gefährlich, aber in Brasilien, Indien und China nicht? Angra 3 liegt, wie Fukushima, unmittelbar an der Küste, was ist, wenn eine Welle kommt? Im 20-km-Umkreis wohnen 170.000 Menschen, die kann doch kein Mensch evakuieren. Und – was nicht unwesentlich ist – Brasilien verweigert seit 2004 Kontrollen durch die internationale Atomenergiebehörde. Wenn der Iran das macht, ist gleich ein Riesen-Aufruhr, bei Brasilien spricht keiner drüber.
Wenn ihr mich fragt, ist da was faul, aber mich fragt ja keiner. Ich denke derweil über kleinste Teilchen nach und über radioaktive Verseuchung und über Strahlung. Vor allem aber darüber, wer wohl mehr potenziell verstrahlt ist, die Angela oder ich. Mein Argument: Sie hat studiert. Ich nicht. Also, ich auch. Aber nicht Physik.
Bis bald mal,
Wanda
Maultrommler
8. Jan 2012
Also, keine Angst, Dein Verstand ist nicht verstrahlt!Ich bin kein Kernphysiker, aber ich kenne einen – er übt seinen Beruf nicht mehr aus.Konsequenz aus Erfahrungen in einem KKW in Frankreich. Vermute ich, nachdem, was er erzählt hat.
Du kannst Deinem Text hinzufügen, dass Oettinger, ein CDU-ler und typischer Schildbürger, 40 neue AKW in der EU bauen will.Da freut man sich.Schööön! Das angeblich größte und sicherste KKW wurde/wird-man hört derzeit kaum mehr davon-in Finnland gebaut mit der Beteiligung Deutschlands. Auch die Arbeitskräfte meist deutsche. Schön….Mehrmals wurde vom Staat der Weiterbau gestoppt. Fusch am Bau. Hunderte eklatante Mängel…
Gratuliere Dir zu Deinem Thema!
Astrid Barin
9. Jan 2012
So, jetzt habe ich es auch geschafft, Deinen Text zu lesen. Ich finde den hast Du sehr gut geschrieben und ich stimme Dir voll zu. Leider ist das Thema in der Öffentlichkeit wieder verstrahlt, will sagen verflogen, die Halbwertszeit der Erinnerung an Atomkatastrophen ist leider nicht annähernd so groß, wie die des Atommülls. Die Problematik der Endlagerung kommt mir in der Diskussion ohnehin immer zu kurz und ich finde auch: Ein deutscher Atomausstieg geht nur international, also wenn Deutschland, bzw. deutsche Steuerzahler, sich auch international nicht mehr an Atomkraftwerken beteiligen.
Finde es toll, dass Du das Thema hier weiterstrahlen lässt!
Mumpitz
10. Jan 2012
Ja, die Halbwertzeit der Erinnerung… auch die Halbwertzeit der Legislaturperiode ist zu berücksichtigen. Nach vier Jahren wieder gewählt werden zu wollen heißt einerseits Wohlstand durch Kredite vorzugaukeln (siehe Maultrommlers Zukunft-Gedicht, klasse!), heißt immer so zu tun, als hätte man viel erreicht. Das betrifft auch die Energiepolitik. Es geht nur billig, damit sich alle zufrieden fühlen, auf wessen Kosten auch immer. Auch ruhig auf die der nachfolgenden Generationen, womit wir wieder bei der Halbwertzeit der Erinnerungen wären. Nach mir die Sintflut. Und wenn nicht nach mir, dann bitte aber neben mir. Ich selbst werde schon nicht betroffen sein. Ein genetischer Fehler in der menschlichen Programmierung, so kurz zu denken.