Im Handumdrehen
Ich bin ja für meine langen Kurzgeschichten berüchtigt, aber nicht jeder mag ausgedehnte Texte am Bildschirm lesen, wie man mir zuweilen zu verstehen gab. Darum hier mal ein Quickie. Wie sollte es in diesen Tagen anders sein, es geht um Fußball. Irgendwie jedenfalls:
Im Handumdrehen
Der „Heilige Rasen“ ist lediglich ein profaner Kunststoffbelag, die ausdruckslosen Figuren sind allesamt von der Stange und andauernd drehen irgendwelche Hitzköpfe durch. Wobei gerade Letzteres außerordentlich befremdet. Ein Kreisen der Stange um 360 Grad ist nämlich als unfaires Ablenkungsmanöver verpönt und beim Schuss sogar streng verboten. Es gibt Leute, die behaupten, Tischfußball sei kein wahrer Fußball, kein echter Sport. Aber nach Meinung von Hektor Sauermann von den „Gladbecker Dreschflegeln“ hatten diese Stänkerer Schläge verdient. Für ihn gab es jedenfalls nichts Schöneres als Kickern, und heute sollte es sein Tag werden. Er stand kurz vor dem Turniersieg. Er hatte sich bis ins Finale durch- und seinen Endspielgegner beinahe niedergekämpft. Der arme Kerl ihm gegenüber war so gut wie erledigt. Sein Blick flackerte ängstlich, sein verschwitztes Haar hing ihm wirr in die Stirn und das ungeduldige Ruckeln an den Griffen verriet seine Panik. Doch Hektor kannte kein Mitleid. Angriffslustig bleckte er die Zähne. Einen noch! Einmal noch die kleine Hartplastikkugel ins gegnerische Gehäuse pfeffern, dann war er Deutscher Meister im Herreneinzel. Der nächste Ball wurde eingerollt. Eine kurze Strecke eierte er die Mittellinie entlang, dann kullerte er auf Hektors Seite. Na bestens, frohlockte der Dreschflegel in Gedanken, die Götter waren mit ihm. Geduldig und ausnehmend vorsichtig ließ er die Spielkugel durch seine Reihen laufen. Jetzt bloß keinen Ballverlust. Vor und zurück, hin und her passte er das Spielgerät von Puppe zu Puppe. Dann sah er die Lücke. Was nun? Mit Schmackes oder mit Gefühl? Ein Pull-shot, ein Abquetscher oder ein Jet? Er entschied sich für einen Schrägzwirbler in der Kuznetzov-Variante. Klack! Tock! Drin! Gewonnen! Die Welt hatte einen Champion mehr, und in der voll besetzten Hamburger Billardkneipe „Blutsturz“, wo der Wettkampf ausgetragen wurde, steppte der Bär. Ungehemmt ließ Hektor seinen Freudentränen freien Lauf, während ein bunter Konfettiregen auf ihn herniederging. Er war gerührt. Welch ein Rausch, was für ein Beifallsorkan. Also ehrlich, dachte er, viel frenetischer kann es im Bernabéu-Stadion zu Madrid auch nicht zugehen.
Den Text gibt es auch noch als Audiodatei bei Netzknistern, gesprochen von Juliane Ahlemeier.
Audio Im Handumdrehen
Songline
31. Mai 2010
Ich spiele auch gerne Kicker und hab Deinen Quickie von daher sehr genossen. Aber Deine langen Texte mag ich auch! Die kann man ja schließlich zum Lesen auch ausdrucken 😉
Mumpitz
31. Mai 2010
Kicker kein Sport! Du spinnst wohl! Wo hab ich je mehr Kalorien verbraucht!
Klasse Geschichte, eine kleine Blitzdemonstration deiner Wortgewandtheit!
Mehr Kurze! Gib mal ne Runde!
Dirty Harry
31. Mai 2010
Hihi, Mumpitz, Du kennst mich. Für mich ist sogar Schach ein Sport. Und Hallenhalma! Sogar Skat!
manu
1. Jun 2010
wirklich nette Geschichte!
ich machs auch gern – bin aber eindeutig unbegabt 😉
diesen Gesichtsausdruck kenne ich allerding aber sehr gut – wenn nämlich mein Mann und sein Sohn sich ein solches Gefecht liefern 🙂