Ausstellung über das Nichts
Sie standen Schlange vor der großen Halle, in der so oft das Leben pulsierte, in der gefeilscht und gehandelt wurde. Das Motto der Ausstellung war ebenso gewagt wie es neugierig machte:
„Ausstellung über das Nichts“.
Wie sollte man es sichtbar machen, was nicht sichtbar war? Und wer würde Eintrittsgeld für inhaltsleere Vitrinen ausgeben, die Künstler mit ihren verrückten Ideen bestückten? Oder war doch etwas hinter dem Glas, das das Nichts einer Gesellschaft sichtbar machte, die sich verschanzte hinter der Heiterkeit, die alles überlagerte? Warum diese Ausstellung, woher die Magie, die sie verhieß?
Ich zögerte und überlegte, ob ich hineingehen sollte und ging hinein. Eine innere Unruhe hatte mich ergriffen, das Wichtige auf dem Tageszettel der Besorgungen und Besorgnisse zurück gedrängt. Die Menschen in der Warteschlange unterhielten sich über das, was auf sie zukam, über das, was sie erwarteten. Hatten sie nicht in der Vergangenheit schon oft ihr Geld ausgegeben für große Künstlernamen, die einmal waren? Die sich jetzt vor der Menge im Playback mit sich bewegenden Lippen und fett gewordenen Bäuchen selbst hörten, aus der Konserve ihrer Vergangenheit?
Was würde ich selbst erwarten, wo doch ungewöhnliches Stillschweigen im Vorfeld der Ausstellung herrschte? Es wurde nicht einmal groß die Werbetrommel gerührt. Nichts stand da im Vorprogramm, und ob es überhaupt außer den Wänden der Halle etwas gab, an das man sich halten konnte, wohin der Blick gerichtet sein würde. Vielleicht würde es nicht einmal einen Lageplan geben, auf dem man zu den Orten des Nichts führend aufmerksam gemacht wurde. Wie sollte man sich dem Thema stellen, ohne dass man einmal mehr enttäuscht eine Veranstaltung dieser Größenordnung verließ, und sich ausweichend dem Trivialen vor dem Fernsehschirm hingab?
Es musste also etwas sein, was das Nichts „sichtbar“ machte. Was aus einer leeren Vitrine entweichen wollte. Davor hier und da ein Wärter, der die Menschen zurückdrängte, wenn sie dem Nichts zu nahe kamen. Von innen nach außen drang es und traf auf Augen, die es so nah noch nie „gesehen“ hatten.
Jetzt, Jahre nach der Ausstellung, erinnere ich mich an das Bild- und trage es noch bei mir. Das Bild, das mir selbst zeigt, wie viel ich besitze und wie wenig es mir bewusst und wert ist.
Es war das Bild eines Kleinkindes. Nein, nicht der Körper, nicht seine zerrissenen Kleidungsreste. Der Fotograf hatte sein Motiv auf einer der hohen Schutthalden am Rande einer Großstadt entdeckt, und reflexartig ein paar Mal auf seinen Auslöser gedrückt. In einem der großen LKW Reifen, der angelehnt aufrecht den Berg zu stützen schien, lag es auf dem Bauch seiner erschöpft schlafenden Mutter. Von den drei Einstellungen, die er schoss, nahm er die, die das gewaltige Ausmaß des Nichts festzuhalten in der Lage war. Für einen Augenblick.
Gekka
1. Nov 2011
Schwer zu kommentieren. Vielleicht ist es besser, NICHTS zu dem Text zu sagen, und ihn einfach nur auf sich wirken zu lassen. Und der eigenen Phantasie Raum zu geben. Schwer tue ich mich auch mit dem letzten Absatz, der so gar nicht vom Nichts erzählt…
Grüße…
buckj
2. Nov 2011
@gekka
das besagte Bild erwartet keine Erklärung. Es spricht aus sich heraus. Aus der Armut einer Gesellschaft, in der ein Autoreifen ein Zuhause sein muss, da er den Regen abweist, nicht aber die Not, der kein Profil mehr hat wie die Tage am Rande der Müllberge.
Mit einem lieben Gruss
buckj
enja
2. Nov 2011
Mir gefällt die Auseinandersetzung mit „Nichts“ und die Frage wie man „Nichts“ darstellt.
Mit fragendem Blick lässt du mich jedoch zurück.
Welches „Nichts“ ist auf dem Bild und in deiner Geschichte gemeint?
Das materielle „Nichts“, das gesellschaftliche „Nichts“, das „Nichts“ das in die Zukunft der beiden blicken lässt…?
buckj
2. Nov 2011
Es sind alle drei Antworten richtig. Und der Satz …“mit fragendem Blick lässt du mich jedoch zurück“…trifft auf jeden der Besucher zu, die in leere Gesichter sahen, in leergefegte Fussgängerzonen, auf Bahnschienen, die den Anschein gaben sich in der Ferne zu treffen.
Mit durchaus vollem Blick und einem Gruss
buckj
Mumpitz
3. Nov 2011
Das Bild, das mir zeigt, wieviel ich besitze. Es ist ein Nichts, ein Rahmen ohne Inhalt, und doch ist es alles. Eine interessante Vernissage des Geistes.