Charmante Beutelschneiderei

Riley, eine Entscheidung fürs Leben – eine Rezension

Ein Jugendbuch! Mit Jugendbüchern ist das so eine Sache. Weil sie für junge, noch ethisch zu formende Menschen geschrieben werden, sind sie in ihrer Fasson immer etwas eingeschränkt und schablonenhaft.
Sie müssen moralische Werte vermitteln, haben einen Bildungsauftrag, dürfen nicht zu grausam sein und sollen bloß nicht an niedere Instinkte appellieren.
Nun ja! In dieses politisch korrekte Erzählkorsett eingeschnürt, weichen Jugendbücher dann auch selten vom bürgerlichen Ideal ab, selbst wenn sie noch so fantasievoll daherkommen (siehe Harry Potter).

Anja Rosok


„Riley“ von Anja Rosok ist kein Buch, welches das Genre revolutioniert. Aber Spaß macht das Werk trotzdem, das von einem verantwortungsbewussten Teenager erzählt, der auf einer Farm im australischen Outback zu Hause ist und sich plötzlich mit der kniffligen Aufgabe konfrontiert sieht, ein Kängurubaby großzuziehen.
Die Adoleszenzgeschichte ist zu lebendig geschildert und viel zu exotisch, um zu langweilen. Man lernt auf unaufdringliche Art viel über Down Under – über die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt, die Landeskultur, die Mythologie der Aborigines, die im Busch lauernden Gefahren …
Manchmal – an den Stellen, wo Moralphilosophie und Romantik zusammenfallen – wird das Ganze denn doch ziemlich gefühlig. Für diesen Sentimentschwall hätte das durch tolle Tier- und Landschaftsfotos bereicherte Buch eigentlich einen Abzug in der B-Note verdient. Aber, was soll’s? Ein bisschen Schmalz muss sein! In jedem von uns steckt doch schließlich ein Schlagersänger. „Tie Me Kangaroo Down, Sport!“
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Etymologie

gemeinfrei aus Wikipedia

Madenburg in der Pfalz

Auf einem Bergkamm stehn verlassen
die Mauerreste und Terrassen.
Verwittert, wüst und eingefallen
sind Bergfried, Dach und Ritterhallen.

Ruine ist die Burg geworden,
der weiland wilde Madenhorden
Gebälk wie Stein elend zerbissen.
Die Täter plagte kein Gewissen.

So kam die stolze Burg zu Schaden,
geschändet von den bösen Maden,
wovon der Name heut noch spricht:
Die Madenburg – wer kennt sie nicht?

Jedoch sagt man, nach alter Sage,
man höre nächtens noch die Klage
von einer ruhelosen Made,
vergebungsheischend:
Gnade, Gnaaaadeeeeee!

MaxPesieEtymologie

© Max Pesie

KUNSTentARTet

– Kunstspaziergang in Brissago –

Strandpromenade

Restaurant hier

Blick auf die Blumeninsel dort

und siehe da

Kunstobjekte

entlang des Meeres

Wellengang auf dem See

Wellen im Blick

KUNSTentARTet in meinem Kopf

Text und Fotos: © Tietze Linskens

Eine Krimilesung der besonderen Art: Die Mordsmütter meucheln in Witten!

Am Dienstag, den 25.10. fallen die Mordsmütter in Witten ein.
Im Mittelpunkt des tödlichen Treibens steht der vom Aarbergener ViaTerra-Verlag 2011 herausgebrachte Anthologieband „Mordsmütter“.

Flyer: Mordsmütter Witten


In dem sich zu einem Bestseller entwickelnden Band wird der Mythos Mutti gründlich und endgültig demontiert.

Schauplatz des literarischen Blutrauschs ist das Maschinchen Buntes.

Maschinchen Buntes


Es lesen Mordexpertin Elke Pistor, Mitherausgeberin Regina Schleheck und Mobster Harry Michael Liedtke. Lyrisch verfeinert wird das Gemetzel von Humorphilosoph Dirk Juschkat. Zur Nervenberuhigung gibt es zwischendrin Musik: Gitarrenkönner Hans Schmitz spielt eine locker-flockige Mischung aus Folk, Rock und Pop.
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Unterwegs und doch daheim – im Gladbecker Café Stilbruch

Unterwegs


Die Veranstaltung ist schon etwas länger her, doch die Impressionen der Netzkritzler-Lesung „Unterwegs“, die am 8.8.2011 trotz einer Vielzahl von Künstlern und einem nur provisorischen Ablaufplan bemerkenswert glatt, reibungslos und flockig über die Bühne ging, sollen der Nachwelt nicht vorenthalten werden.

Collage s/w


Netzkritzler


Publikum


Ein eingespieltes Team gab sich die Ehre, und diejenigen, die zum erstmals dazustießen, passten sich nahtlos ins Programm ein.

Collage 1


Zudem bot die präsentierte Anthologie „Unterwegs“ mehr als genug Stoff für einen unterhaltsamen Abend.

Flyer


Andrea Heinrich legte ein famoses Lesungsdebüt hin, Regina Schleheck war wie immer bitterböse, Robert Königshausen ließ seine faszinierenden Energievampire auf die Menschheit los, Bettina Lohaus’ dramatische Storys rüttelten auf und gingen ob ihrer Härte mitunter an die Nieren, Inga Hetten erwies sich für eine Gruftiepunkerin als erstaunlich scharfsichtige Beobachterin des bürgerlichen Alltags, meine Wenigkeit erzählte von einer Bestattung, wie ich sie für mich selbst gern hätte, und der gitarrenbewehrte Schelmendichter Andreas Gers lieferte zu all dem den perfekten Soundtrack.

Andrea Heinrich


Der Große Mumpitz


Fernerhin verliehen die impressionistischen Bilder der Kölner Malerin Bettina Lohaus, die an diesem Abend ausgestellt wurden, der Show in ein seelenvolles Ambiente.

Bettina Lohaus


Inga Hetten


Aufgefangen und eingesammelt hat die Eindrücke der bunten Buchvorstellung der rastlose Oberhausener Fotokünstler Frank Gebauer, dem an dieser Stelle ein besonderer Dank gesagt werden soll: Frankie-Boy, tolle Arbeit!!

Collage 2


Robert Königshausen

Fotos: Frank Gebauer

Frank Gebauer


Café Stilbruch

http://www.andreas-gers.de/
http://www.leoaspekt.de/wordpress/
http://www.wortlaterne.de/
http://www.cafe-stilbruch-gladbeck.de/
http://www.regina-schleheck.de/

Cover: Unterwegs


Unterwegs
Anthologie u.a. mit Regina Schleheck, Inga Hetten, Bettina Lohaus, Harry Michael Liedtke, Angie Pfeiffer, Robert Königshausen, Henrik Lode, Frank Haberland
Andrea Heinrich (Hrsg.)
ISBN 978-3-8423-4802-8; bei Books on Demand

Der Boden unter ihren Füßen

Schlagartig fiel ihr die Szene vor Jahren wieder ein.
Sie hatte das Gefühl gehabt, der Boden würde ihr unter ihren Füßen weggezogen. Sie stürzte. Tief.

Er mit ihr.
Ganz vertraut. Eng nebeneinander sitzend, sich anlächelnd und sich unterhaltend.
Sie war der Störfaktor gewesen, sie spürte es. Ihr Unwohlsein, ihre Intuition, dass da irgendetwas vor sich ging zwischen den beiden, betrog sie nicht.
Es war eine Lüge. All die Jahre. Lange Jahre.

Sie schlug die Bettdecke zur Seite und stand auf. Ging die Stufen hinunter ins Wohnzimmer. Es waren noch dieselben Stufen wie gestern, und doch waren sie anders.
Mit fiebernden Händen suchte sie die CD von Pe Werner, sie wollte sie sich anhören, jetzt, es passte gerade so gut, fand sie, auch wenn es weh tat.

Kein Lippenstift auf seinem Kragen…kein fremder Duft auf seiner Haut, keine Spuren auf seinem Hemd, aber das hat alles nichts zu sagen, seine Gedanken gehen fremd

Die vielen kleinen Anzeichen seiner Abwesenheit, auch wenn er da war, die langen Nächte allein in ihrem Bett, die Spuren, die sie fand, und doch nicht fand und seine ständigen Beteuerungen, dass da rein gar nichts sei. Beteuerungen, die sie ihm geglaubt hatte. Seine Blicke, die an ihr vorbeigingen. Augen, die sie nicht anschauten, wenn er mit ihr sprach.

Er trägt ihr Bild in seinem Herzen, es macht ihn seltsam unnahbar, die Augen strahlen wie Wunderkerzen, nur ihre sind dem Heulen nah.

Nach einiger Zeit hatte sie geglaubt, sie würde sich das alles nur einbilden. Nach Monaten war sie davon überzeugt gewesen, sie wäre nur krankhaft eifersüchtig. Nach Jahren glaubte sie schon fast, sie wäre tatsächlich paranoid gewesen.
Am Ende war es ihr egal geworden. Er war ihr egal geworden. Die Gleichgültigkeit zog ein in ihr Haus.

Kein Lippenstift auf seinem Kragen, keine Haare auf dem Jackett, das hat alles nichts zu sagen, er nimmt ihr Lächeln mit ins Bett. Der Zweifel schleicht in ihre Träume, stellt er ihr Herz aufs Abstellgleis. Pflanzt er neue Apfelbäume, und wenn ja, um welchen Preis?

Schweren Schrittes stieg sie die Stufen wieder hoch, dieselben Stufen wie gestern noch, und doch waren es andere geworden. Der Boden in ihrem Haus trug sie nicht mehr. Sie nahm den Karton mit den Fotos und den Liebesbriefen, die sie ihm geschrieben hatte, und warf den Inhalt in einen Mülleimer. Seltsam unbeteiligt sah sie zu, wie alles heraus fiel.
In die leere Schachtel legte sie ihr Herz, ihren Stolz und ihren Schmerz. Und ein paar Jahre ihres Lebens.
Dann schrieb sie mit großen Buchstaben auf den Deckel:

FREI

Doch glücklich fühlte sie sich dabei nicht.

Lyrics von Pe Werner’Kein Lippenstift auf seinem Kragen‘

Die Blumenhändlerin

Als ich den Laden geriet, so kurz vor Ladenschluss, hatten die Blumen, Pflanzen und Gewächse schon etwas Tagesmüdigkeit in sich. Lilien leuchteten nicht mehr wie am Morgen, Rosen schlossen sich zu einem Traumbund, etwas in einem atemberaubenden Gelb gab nur einen Teil seiner Schönheit preis, indem es sich von der Eingangstür abwandte. Zwischen alldem eine gebeugte Gestalt, in der ich die Chefin vermutete, in ihrer geblümten Schürze. Sie war beim Kassensturz und hatte wohl vergessen die Tür zu verriegeln. Sie blickte kurz auf, nachdem sich die alte Eingangsglocke wieder beruhigt hatte.

„Sie wünschen?“

In ihrer Stimme schimmerte etwas nettes, verbindliches neben ein wenig Neugierde, wer sich da noch so spät entschlossen hatte doch noch etwas zu kaufen. Ich erwartete zwar eine Frage, nicht aber von ihr. Ich hatte mich schlicht in der Eingangstür geirrt. Die neben der des Telefonladens gleich nebenan, der das eigentliche Ziel war. Anstatt aber zu sagen: ich habe mich geirrt, bin hier falsch, dem eine kleine Entschuldigung folgen konnte, hörte ich mich sagen:

„Haben sie etwas Frisches, das nicht schläft?“

„Sie meinen, das sich nicht schließt über Nacht?“

„Ja, so in etwa.“

Sie schlurfte zu einem der am Boden stehenden schmucken Eimer, in dem sich eine muntere Gesellschaft ein ausgiebiges Fußbad gönnte. Ich kannte weder Namen der Sonderlinge noch sah ich sie jemals vorher. Geschickt nahm sie sich den Eimer und stellte ihn auf den Verkaufstisch, entnahm drei der Blütenzweige und hielt sie im Arm als wäre es ihr Brautstrauß.

„Was halten sie davon?“

In mir kämpfte die Abteilung „Chipkarte für das Telefon besorgen“ gegen das wundervolle Bild, das sie abgab in ihrer Schürze, dem lachfaltigen Gesicht und den leuchtend blauen Augen, in die eine Strähne ihres grauen Haares hing.

„Ich nehme 5 davon, und wickeln sie sie mir bitte nicht als Geschenk ein. Sie sprechen für sich.“

Nachdem sie mir den Strauß liebevoll zusammen gestellt hatte und mit einer Folie versehen, überreichte sie mir die Blumen. Ich wollte zahlen und hörte, wie sie zu mir sagte:

„Das macht 4 Euro, und der Telefonladen ist gleich nebenan.“

Sie hatte mein Handy gesehen, das ich die ganze Zeit in der Hand hielt und das irgendwie etwas von mir wollte.

Ein Lümmel mit nur Un im Sinn

Wenn sich ein Dichter selbstironisch den Künstlerbeinamen Mumpitz gibt, lässt das tief blicken. Und wenn sein Buch dann auch noch im Titel von einem Lümmel kündigt, dann weiß man als Leser, was kommt. Schelmereien sind angesagt! Andreas Gers ist ein Humorist par excellence. Dies stellt er mit seinem Bucherstling eindrucksvoll unter Beweis. Seine Lyrik ist ebenso hintersinnig wie ulkig, mal gefühlvoll, mal absurd, immer warmherzig, durchgängig geistreich und bei aller Moral von der Geschicht ohne jeden heiligen Ernst. Wer den eleganten Sprachwitz eines Heinz Erhardt mag, sich bei Willy Astors versponnenen Wortspielen vor Lachen kringeln kann und freche Pointen à la Karl Valentin schätzt, hat mit Ein Lümmel mit nur Un im Sinn den richtigen Griff ins Buchregal getan. Nach zahllosen Live-Auftritten quer durch die Republik ist der Nottulner Wortkünstler dem Publikum bereits ein Begriff und die Zeit reif für sein erstes Buch. Seine Fangemeinde hat Andreas Gers Beinamen längst zu Der Große Mumpitz erweitert, und nun hat das Warten endlich ein Ende!

Ein Lümmel mit nur Un im Sinn gibt es für 13,50 Euro unter anderem bei Amazon

Über den Autor
Veröffentlichungen Der Hahn ist schuld ; Preisträger CAM Lyrikwettbewerb. In: Weihnachtsgedicht-Anthologie 2008, CAM-Verlag 2008 Spinnenjäger ; Preisträger Literareon Kurzgeschichtenwettbewerb 2008, Herbert Utz Verlag 2009 Brötchenduft ; Veröffentlicht in der Jokers-Lyrik-Datenbank Februar 2009 Großer Wagen , Gedichtwettbewerb 2009 der Brentano-Gesellschaft Frankfurt/M. mbH, Edition Frankfurter Bibliothek des zeitgenössischen Gedichts, Frankfurt 2009 Delphi (Lyrik),); In: Hoffung im Untergang , e-book, Hrsg. Christian von Kamp u. Renate Neff, Düsseldorf 2009 Untergang benutzen (Kurzgeschichte) In: Hoffung im Untergang , e-book, Hrsg. Christian von Kamp u. Renate Neff, Düsseldorf 2009 Im Weihnachtsrummel , Preisträger im Kurzgeschichten-Wettbewerb Frohe Weihnacht im Herzen , Bd. 2, Elbverlag, Magdeburg 2009 Schneeglöckchen (Lyrik), Preisträger im Wettbewerb Blumengrüße von Herzen ; Elbverlag, Magdeburg, Mai 2010 Was sie wohl gerade macht (Lyrik), Preisträger im Wettbewerb Chili für die Venus , Wunderwald-Verlag, März 2010 Hi Suse (Kurzgeschichte); in: Augenblicke, die berühren, Elbverlag, November 2010 Außer Dienst (Lyrik) Anthologie Ruhm und Boden , cenarius Verlag 2011 CD Zauberlieder Live-Mitschnitt des gleichnamigen Solo-Programms, der 2009 in der Crèperie du Ciel in Münster von Wolfram Dettki, Pathos Studio aufgenommen wurde. Zu hören sind alle Lieder und ein Teil der dort vorgetragenen Gedichte. CD …und dazwischen… Neue Lieder und Gedichte. Live-Mitschnitt aus dem Café Stilbruch in Gladbeck (2010) mit Michael Pospisil an der Percussion. Altbewährt stand auch hier Wolfram Dettki, Pathos Studio in Nottuln am Mischpult.

Ein Lümmel mit nur Un im Sinn gibt es für 13,50 Euro unter anderem bei Amazon

Auf Null

Was wäre ich ohne meine Erfahrungen,
ohne das, was ich gelebt und gefühlt habe.
Hey, ich bin es, möchte ich schreien,
siehst du nicht, wie es in mir aussieht?

Wie gern würde ich manches auf Null setzen.
Neu anfangen.
Unbedarft.
Ohne Verletzungen, ohne Schmerz, ohne Trauer.

Glücklich.
Erwartungsvoll.
Frei.
Von vorn.

Ohne meine Lügen. Die lasse ich nämlich hier.
Die Sorgenfalten werden glatt gestrichen,
die Vergangenheit auf Nichts gestellt.
Kein Leid erfahren, kein Unglück.

Erfahre Liebe und auch Hass neu,
die Gleichgültigkeit, Neid,
die Eifersucht.
Auch die Lüge.

Verzeihe mir all das, was ich getan, gesagt, und nicht erledigt –
werde vielleicht ein besserer oder
auch nur ein anderer Mensch,
bekomme eine zweite Chance.

Doch – die Summe der Lebenserfahrung macht mich aus.
Musst mich halt nehmen, wie ich bin.
Oder auch nicht.
Mich lieben mit all meinen Fehlern.

Auf Null geht nicht.
Dazu ist es zu spät

Alt

Du redest, ich höre dir zu. Ich hab keine Lösung parat, ich weiß nicht, wie ich helfen soll, aber – ich merke, das Reden tut dir gut. Du sprichst davon, dass es schwer für dich ist, deine Mutter so leiden zu sehen. Sie war immer so aktiv und stand mit beiden Beinen mitten im Leben, sagst du. Nie war sie krank. Und nun – kannst du sie kaum unbeaufsichtigt lassen. Alzheimer ist die Diagnose. Wie soll das werden, fragst du mich – wie sieht das Leben aus, mit ihr und überhaupt – was bleibt denn noch? Keine Nacht schläfst du durch, ständig hörst du auf das Telefon, ob etwas mit ihr ist, dein Tag dreht sich nur um sie…kannst du dir das vorstellen, wie das ist, höre ich dich fragen. Während ich dir versichere, dass ich mir das durchaus vorstellen kann, schweifen meine Gedanken ab.

Szenenwechsel

In der Buchhandlung. Die ist an diesem Mittag gut besucht. Die alte Frau, die verlassen im Verkaufsraum herumsteht, nehme ich nur schemenhaft wahr. Bin zu sehr beschäftigt mit meiner Bücherauswahl. Sie läuft durch den Laden, mal hier hin, mal dort hin und sie scheint auf jemanden zu warten. Einfach so.
Ich werde aufmerksam, als eine jüngere Frau auf sie zukommt, ihre Hand nimmt und sie leise anspricht: „Kommst du – Mama?“
Die ältere Frau blickt der Jungen ins Gesicht, schaut sie prüfend an und fragt: „Gehörst du zu mir?“
„Ja, Mama. Ich gehöre zu dir“, antwortet ihre Tochter beruhigend und führt sie behutsam aus dem Geschäft heraus.

Ich schaue beiden nachdenklich hinterher…

Szenenwechsel

Beim Friseur. Sohn bringt seine Mutter zum Haareschneiden. Als die Mutter gebeten wird, sich auf einen Stuhl vor dem Spiegel zu setzen, fängt diese an zu schreien. Sie will nicht. Sie will an der Hand ihres Sohnes bleiben. Der redet beruhigend auf sie ein: „Es passiert doch nichts, Mutti. Du wirst jetzt schön gemacht. Deine Haare werden geschnitten.“ „Tut das weh?“, fragt sie…und fängt wieder an zu schreien, als die Friseuse ihr die Haare waschen will.

Ich hoffe, dass meine Kinder mir einen Gefallen tun, wenn ich alt und verwirrt bin – und mir das hier ersparen werden…, sagt meine Friseuse, als die beiden gegangen sind.

Szenenwechsel

Samstag nachmittag bei einem Spaziergang in einer niederrheinischen Kleinstadt.
‚Arche Noah‘ lese ich. Ein Tagesheim für Senioren. Idyllisch liegt es, die großen Fenster ermöglichen einen Ausblick auf die umliegenden Felder und Wiesen und erlauben gleichzeitig einen Blick ins Innere des Heimes – Parkettboden, warme Farbgestaltung und geräumige Zimmer.
Die alte Dame, die dort am Fenster steht, hat keine Augen für die schöne Landschaft. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt. Der Blick geht ins Leere.
Ich mag gar nicht hinschauen, komme mir indiskret vor und doch – ich merke, sie nimmt mich gar nicht wahr. Sie ist allein mit ihrem Schmerz.
Und wartet.
Auf was?

Die Begegnung ist ein paar Monate her, aber ihren Gesichtsausdruck werde ich nicht vergessen.

Ich höre dir wieder zu. Du sagst mir, dass ich froh sein könne, keine Eltern mehr zu haben und du sagst gleichzeitig, dass du weißt, wie egoistisch das klingt.

Doch – ich weiß ja, was du denkst, ich weiß, was du fühlst und ich weiß, wie du das meinst.

Aber – wenn wir beide alt sind, möchten wir doch auch, dass da jemand ist, der sich um uns kümmert?