Klang des Lebens

Der Saal war bis zum letzten Sitzplatz voll. Das Scheinwerferlicht war auf Ava gerichtet, eine junge aufstrebende Cellistin die soeben ein Engagement bei der Honolulu Symphony. Eigentlich zitterte sie am ganzen Leib vor Aufregung, doch das fiel niemandem auf, denn ihr Spiel ließ das Publikum im Meer der Töne versinken. Das Lampenfieber vor und während eines Auftrittes war stets dasselbe, doch als der Applaus einsetzte, überkam sie pures Glück. Die Musik bedeutete für sie Freiheit zu leben.

Ava lernte den zwanzig Jahre älteren Pianisten Rob bei einem Jazzkonzert kennen. Sie war seine Muse, denn wegen ihr und für sie komponierte er Lieder für seine Jazzband. Sie betete Rob an, denn er machte sie offen für all die anderen Empfindungen, die sie wegen der Musik vernachlässigte. Doch wirklich Glücklich war sie in der Beziehung nicht. Ihr fehlte die Leidenschaft. Sie meinte, sie müßte dasselbe erleben, welche sie in der Musik spürte.

Der Regen prasselte auf das Dach und der Wind ließ die Palmblätter aneinander peitschen. Fahles Licht durchflutete das Schlafzimmer. Ava und Rob lagen im Bett, als er sie fragte: „Bist du glücklich?*. Sie zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch aus, und starrte ihn nur an. Es war einer jener Tage, die sie nicht mochte. Sie wollte sich nicht mit solchen Dingen befassen. Sie stand auf und ging auf die Veranda. Der kühle Wind machte sie wach und ließ ihre innere Unruhe um so mehr spüren. Sie hörte, den Klang des Klaviers. Rob spielte, wenn er niedergeschlagen oder voller Lieber war. Als der Regen vorbei war, schien die Sonne, als sei nichts geschehen, doch tief im Innern wußten Ava und Rob, daß sie keine gemeinsame Zukunft haben würden, doch keiner sprach es aus.

Wie so oft irrte Ava nach den Proben noch Stunden umher, nur um Rob aus dem Weg zugehen. Als sie durch den Park ging, traf sie auf ihn, denn er paßte sie ab. „Da du nicht nach Hause kommst, komme ich dir entgegen.“, sagte er mit fester Stimme, ohne ihr dabei in die Augen zu sehen. Ava verstand nicht sofort und ging auf ihn zu. „Aber ich komme doch nach Hause. Laß uns gehen.“, erwiderte sie und nahm ihn bei der Hand, doch er wehrte ihr Griff mit einer Handbewegung ab und ging auf Abstand.
„Ich dachte, daß du mich liebst, doch du liebst nur dich und deine Musik. Da habe ich keinen Platz.“
„Das ist nicht wahr. Ich liebe dich.“
„Du willst nicht beides haben. Du lebst in deiner eigenen Welt und läßt mich außen vor. Das ist keine Liebe und keine Beziehung.“
„Aber ich kann mich ändern. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Laß mir einfach ein bisschen Zeit.“
„Ich denke nicht, daß du das wirklich willst. Ich liebe die Musik auch, so wie du es tust. Aber ich will mehr, ich wollte dich. Ich bedeute dir nichts. Ich fühle mich wertlos neben deiner Musik. Es ist besser, wenn wir uns trennen.“
„Das meinst du doch nicht ernst? Bitte laß mich nicht alleine, geh nicht fort. Ich will nicht alleine sein!“
„Ich glaube, du willst es. Du bist so abgestumpft was Gefühle der anderen betrifft, daß du gar nicht merkst, was ich für dich empfinde. Ich kann nicht auf dich warten. Der Schlüssel liegt auf dem Tisch.“
Rob drehte sich um und verschwand im Dunkel der Nacht und ließ Ava zurück. Im ersten Augenblick war sie geschockt, aber sie vergoß keine Träne. Langsam lief sie nach Hause, vorbei am Treiben und Lärm der Stadt. Sie wälzte sich im Bett hin und her und fand keinen Schlaf. Draußen war nur das Rauschen der Wellen des Meeres zu hören und eine beklemmende Stille umgab sie plötzlich, die sie bisher noch nicht kannte.

Es folgten Tage, an denen Ava keinen Ton spielte und manchmal dachte sie, daß sie das Cello spielen an den Nagel hängen sollte, bis sie merkte, daß sie schwanger war.
„Was?!“, sagte sie entsetzt der Arztgehilfin.
„Beruhigen Sie sich. Sie sind nicht die Erste…“, entgegnete diese und lachte.
Sie fragte sich, was sie nun tun sollte. Sie wollte keine Kinder. Sie wollte nicht gebunden sein an Sachen, denen sie nicht gewachsen war.
Es vergingen ein paar Wochen, bis sie sich an die neue Situation gewöhnte, aber nun freute sie sich. Denn wenn immer sie Cello spielte, fühlte sie, wie das Ungeboren sich bewegte, als würde es zum Takt wippen.

„Warum hast du mir nichts davon gesagt?“, fragte Rob, als sie diesen bei einem Festival der Honolulu Symphony nach Monaten wiedersah. „Ich bin so enttäuscht von dir, du kannst es dir gar nicht vorstellen. “ Ava starrte nur auf den Boden. Sie wußte gar nicht, wie sie reagieren sollte und es war ihr in diesem Augenblick auch nicht bewußt, was sie Rob damit antat. Ava ging jedem aus dem, der sie auf die Beziehung mit Rob und das Kind ansprechen könnte. Doch Rob ließ nicht locker und machte alles, um an ihrem Leben wieder teilhaben zu können. „Du bist gegangen. Weißt du nicht mehr? Und nur weil du der Vater des Kindes bist, drängst du dich mir auf?“. Wutentbrannt lief sie aus dem Zimmer und brach zusammen.

Nach Wochen des Regens, schien die Sonne durch das Fenster und fiel auf Ava blasses Gesicht. Sie schlug die Augen auf und mußte sich an das helle weiße Zimmer gewöhnen. Rob hielt die kleine Malou im Arm und wippte es sachte, dabei summte er ein Lied, was er einmal für Ava geschrieben hat. Ava beobachtete die Szene und spürte so etwas wie Zufriedenheit. Dieser Moment ließ sie umdenken und sie wünschte sich, daß Rob bei ihr bliebe und sie zusammen dieses Kind großziehen würden.

Die Monate vergingen und der Alltag schlich sich ein. Rob war an den Abenden mit seiner Band unterwegs, während Ava sich um das Baby kümmerte. Sie wurde traurig, weil ihr die Musik fehlte. Sie beendete die Saison beim Orchester und unterzeichnete nicht für eine weitere. Statt dessen gab sie nur noch Unterricht. Sie spielte auch Malou vor. Ava stellte sich vor, wie das wäre, wenn ihre kleine Malou genauso musikalisch wäre, wie sie und Rob. Sie sang ihr vor, kaufte ein kleines Xylophon, eine kleine Trommel. Aber all dies ließ Malou liegen. Als es Zeit war, sprechen zu lernen, gab Malou keinen Ton von sich, was Ava sehr beunruhigte.

„Es tut mir leid, Ava.“, sagte Paulina, die Kinderärztin. Ava verließ die Praxis mit Malou auf dem Arm und schwieg. Sie schwieg eine ganze Woche. Der Schmerz über die Nachricht, daß Ava nicht hören konnte, war zu tief. Sie war mit dieser Situation überfordert und verließ von einem Tag auf den anderen das Haus. Für Rob war es nicht das erste Mal, daß Ava ihn vor vollendete Tatsachen stellte, und nahm sich um Malou an. Ava erhielt derweil ein Engagement in Sydney und verließ das Land. Obwohl sie den Kontakt nicht zu Rob und Malou verlor, wollte sie nicht weiter Anteil am Leben der Beiden haben und machte mit dem Wegzug einen Schlußstrich unter diesen Lebensabschnitt.
Malou wurde zu einer bildhübschen jungen Frau. Auch sie hatte eine Leidenschaft. Genauso wie für ihre Mutter das Cello und für ihren Vater die Jazzmusik, war es das Tanzen, was Malou begeisterte. Auch wenn sie die Melodie nicht hören konnte, ließen die Beats den Boden vibrieren und das Kribbeln in ihren Beinen die Musik wahrnehmen. Die Musik dröhnte unangenehm laut aus den Boxen, aber nur so, konnte Malou sie am ganzen Körper spüren. Sie tanzte besser, als die Tänzerinnen, die hören konnte, und wenn man ihr nur zusah, und die Musik wegließ, merkte niemand, daß sie taub war.

Für Gehörlose war Malou ein großes Vorbild. Denn sie ließ sich durch ihre Behinderung nicht behindern. Zusammen mit der befreundeten Tanzlehrerin, Elaine, gründete sie Vibe, eine Tanzschule für Gehörlose.

„Ich bin so aufgeregt“, sagte Malou in Gebärdensprache zu Rob. Er umarmte sie fest und strich ihr über das Haar. Es wurde dunkel im Saal, der Vorhang ging auf und die Scheinwerfer waren auf die Tänzer gerichtet. Sie bewegten sich synchron, mit einer Energie und Leidenschaft, daß es die Zuschauer magisch faszinierte.
„Es ist schön, daß du es auch geschafft hast.“
„Meinst du, ich lasse es mir entgehen, meine Tochter zu sehen?“
„Jetzt auf einmal, wo du gehört hast, daß sie erfolgreich ist?“
„Das ist nicht fair Rob.“
„Es ist nicht fair, daß du uns alleine gelassen hast und abgehauen bist. Dir war deine Karriere wichtiger als wir.“
„Sei still!“

In Gebärdensprache, erzählte Rob Malou, daß es ihrer Mutter gefallen hatte. Sie fragte ihn, wo sie war, doch insgeheim ahnte sie, daß sie wohl schon weg war bis jemand auf ihre Schulter tippte. Malou lachte über das ganze Gesicht.
„Vielleicht ist es Zeit nach Hause zu kommen. Glaubst du, sie kann auch zu Cello tanzen?“, fragte Ava Rob. Dieser nahm Ava und Malou bei der Hand. Gemeinsam entdeckten sie die Musik neu, welche sie zusammenhielt.

Mausmorgen

Mausmorgen

Still sitze ich im Morgennebel.
Bin heute früher dran.
Die Nacht hat mich nicht finden können und somit blieb ich wieder einmal schlaflos.
Konnte ich genauso gut früher in den Betonbunker fahren, in dem mein Büro eines von ganz vielen war.
Es ist noch ruhig und diese Ruhe ist so ohrenbetäubend schön, dass ich noch eine Zigarette rauche, bevor mich das Neonlicht verschluckt.
Ich nehme eine kleine Bewegung zu meinen Füßen wahr und erblicke eine Maus, die im Rekordtempo von hier nach da flitzt.
Seltsam.
An dieser Stelle, habe ich schon Seite an Seite mit einem Entenpärchen gehockt und Tauben suchen ab und zu nach Fressbarem. Aber eine Maus? Die muss hier neu zugezogen sein.

Ich überlege, wie jetzt die übliche Reaktion auszusehen hätte.
Gewagter Sprung auf die Parkbank, um laut um Hilfe zu schreien?
Zu klassisch.
Oder dem Hausmeister Bescheid geben, dass es in einer Klinik nicht so gut kommt, wenn die Mäuse das Mausen nicht lassen.
Wie blöd ist das denn?

Die Maus macht mir Spaß, obwohl sie doch einen leicht verwirrten Eindruck hinterlässt.
Kann sich nicht entscheiden, ob sie näher kommen soll, oder besser wieder unter dem Blumenkübel verschwindet, der anscheinend ihr neues Zuhause darstellt.

So kann man auch ganz gepflegt seine übrige Zeit verbringen, denke ich so.
Ob ich ihr einen Namen geben soll?
Besser nicht.

Und leider ist die stille Zwiesprache zwischen Maus und Mensch dann auch wieder so schnell vorbei wie sie gekommen ist, als diese Knallerbse von Weitem mit dem Laubsauger im Anmarsch ist.
Also ab an den Schreibtisch, müßig weiter drüber nachzudenken.

Als ich am Nachmittag noch einen kurzen Zwischenstopp an der Parkbank einlege, liegt seltsames Pulver auf dem Asphalt.
Die Schweine haben sie gekillt!
Meine Maus!

Ich hätte ihr doch einen Namen geben sollen.

R.I.P.

Bilder zaubern Worte – Begegnung im Park

Ohne Limit
von Susanne Ulrike Maria Albrecht

Eine Botschaft
Direkt an deine Seele
Habe das Licht gesehen
In deinem Innern
Es ist entfacht
Lass es weiter scheinen
So hell wie die Sonne strahlen
Uns aus dem Ozean des Lichts
In das Abenteuer Leben starten
Seelenflüge
Ohne Limit
Ein Wimpernschlag
Zeit genug für einen Traum
Die Wirklichkeit unbegrenzt nutzen
Uneingeschränkt leben
Ohne Limit

Copyright Susanne Ulrike Maria Albrecht

Räume zwischen Zeilen

Andreas Gers: … und dazwischen – eine (sehr persönliche) Rezension

Gers
Ein musikalisches Werk objektiv zu rezensieren, ist nicht gerade einfach. Entweder, die Mucke gefällt einem oder eben nicht! Dazwischen gibt es nichts. Die Texte eines Liedes können noch so feinfühlig sein, das Zupfen der Saiten noch so kunstfertig, der Rhythmus noch so stampfend, das Zusammenspiel der Instrumente noch so ausbalanciert – wenn einem die Grundrichtung nicht behagt, ist das alles Schall und Rauch.
Daher gilt: Selber hören macht fett!


Andreas Gers ist ein klassischer Liedermacher. Der Vergleich zu Reinhard Mey drängt sich geradezu auf. Vielleicht mag der Künstler aus dem westfälischen Nottuln-Appelhülsen dies nicht so gern hören, weil mit solchen Komparationen auch immer eine Schubladeneinordnung verbunden ist, aber andererseits ist es eine einfache Art, dem Publikum zu vermitteln, was es beim jeweiligen Künstler zu erwarten hat.
Wer mit diesem poetisch-klampfigen Musikstil etwas anfangen kann, kriegt mit Andreas Gers’ neuer CD „… und dazwischen“ eine echte Delikatesse auf den Teller. Ich für meinen Teil kann den Silberling nur empfehlen. Auch habe ich zu der Scheibe eine persönliche Beziehung. Es handelt sich um einen Live-Mitschnitt eines Konzerts, das der spitzfindige Lautmaler im November 2010 in der Gladbecker Kulturkneipe „Café Stilbruch“ gab, wo ich des Öfteren Lesungen und Musiksessions organisiere. Auch diese Veranstaltung fiel in meinen Zuständigkeitsbereich, und so darf man es mir nicht übel nehmen, dass in meiner Rezension auch ein bisschen Stolz mitschwingt.
Mein Lieblingsstück ist das Titellied, einer der ruhigeren Songs auf dem Album. Eine echte Perle, wie geschaffen fürs Radio. Wo, verdammt, sind die Piratensender, die neue Trends setzen wollen? Hier wäre mal was, um die gewohnten Programmschemata aus ihrem eintönigen Takt zu bringen.
Andreas Gers’ Mittel sind Gesang, Gitarre, Blues-Harp und natürlich die Sprache. Kennen gelernt habe ich den gelernten Geologen als Autor. Im Netzkritzler-Schreibforum (http://netzkritzler.de/) bin ich auf ihn und seinen Blog „Gute Stube“ gestoßen und dem Sprachzauber prompt erlegen. Unter dem Künstlernamen „Mumpitz“ beeindruckt der gewitzte Wortspieler mit emotionalen Kurzgeschichten und pfiffigen Schelmengedichten. Irgendwann hatten wir dann ein paar gemeinsame Auftritte, über die sich die Künstlerfreundschaft noch verstärkt hat. Insofern übernahm ich gern die Aufgabe, einige Zeilen über Andis neues Werk zu verfassen. Ey, Mumpitz, ist echt’n Knaller geworden, die Platte!

Foto: Björn Roll


Und wie und über wen kann man das Werk nun beziehen?! Nun, das ist nicht so ganz einfach. Noch ist Andreas „Mumpitz“ Gers ein Geheimtipp und die CD somit nicht die Produktion eines großen Labels. Daher bestellt man „… und dazwischen“ entweder über die eigene Website des Künstlers oder über seine Vertriebspartner, den Cenarius Verlag Hagen beziehungsweise paradisefound.hood.de.

Links:
http://www.andreas-gers.de/
http://www.cenarius-verlag.de/
http://www.hood.de/shop/12128/bil-musik-worte-und-mehr.htm

Und hier ist die erbetene Hörprobe des Titelsongs:

und dazwischen

Maimond

Weißt du,

das ist der Vollmond.

Der macht mich unruhig

und melancholisch zugleich.

Dann klebt mir dieser doofe Satz

„wie einst im Mai“

in der Seele.

Ich fange dann an,

mich zu erinnern.

Es kommt so ein

bisschen Sehnsucht hoch.

Die ist aber

mit Zorn durchsetzt.

Weil du uns einfach so

abgehakt hast.

Inzwischen ist es mir

immer noch nicht egal.

Aber weißt du,

mach dir nichts draus.

Ist nur der Vollmond.

Bilder zaubern Worte – Begegnung im Park

Ist es Euch nicht auch schon passiert, dass Ihr ein Bild gesehen habt und dachtet: Dazu könnte ich jetzt eine Geschichte schreiben? Unter dem Slogan „Bilder zaubern Worte“ bieten wir regelmäßig ein Bild an, das Euch Inspiration für einen Text sein soll.

Das aktuelle Motiv ist ein Park.

Im Park, auf einer Bank am Weg oder vielleicht auch versteckt hinter Bäumen und Büschen, können die merkwürdigsten Dinge passieren. Menschen treffen aufeinander, vielleicht lehnt ein stiller Beobachter an einem Baum, vielleicht findet ein streunender Hund ein neues Zuhause. Der älteste Baum könnte jahrhundertealte Geschichten erzählen.

Ich bin gespannt, was euch zu diesem Thema einfällt.

Ihr könnt Eure Texte auf Euren Blogs einstellen und sie werden dann hierher verlinkt. Wer mag, kann auch auf seinem Blog eine eigene Kategorie dafür anlegen. Auf dem Gemeinschaftsblog „Netzwerk“ habe ich das schon gemacht.

Und nun wünsche ich Euch viel Spaß beim Schreiben!

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Und hier sind die Texte zum Thema:

Es war einmal von Angie Pfeiffer

Mausmorgen von aletheia

Ohne Limit von Delphinpaar

Marga von Songline

Die Dame Lila

Die beiden älteren Damen an meinem Tisch machten mir Spaß.
Sie redeten nicht allzu viel, aber wenn sie denn Worte tauschten, dann grantelten sie meist. Und das in einem so entzückenden Hamburgerisch, dass ich einfach nicht weg hören konnte. Insgeheim hatte ich sowieso die Vermutung, dass die beiden Damen belauscht werden wollten. Oft ging es um ihre Katzen, die schon heißhungrig unter den extra reservierten Sonnenliegen auf sie warteten, um sich an der täglichen Fütterung zu laben.
`Das ist wohl das Liebesspiel des Alters` dachte ich so vor mich hin, während ich mich weiter still und heimlich dem Geplänkel an meinem Esstisch hingab.
Voller Ungeduld warteten die Damen auf die Eröffnung des Gesprächs meinerseits. Doch ich ließ mir damit Zeit, fast so, als wollte ich die dem Alter nachgesagte Geduld prüfen. Die Damen reagierten genauso unterschiedlich, wie sie auch zu sein schienen. Die scheinbar Ältere mit den lilastichigen und hoch auftoupierten Haaren widmete sich mit stoisch zur Schau gestellter Gleichgültigkeit der Bestückung ihres Katzen-Care-Paketes. Doch die neben mir sitzende, fast jugendlich wirkende Dame hielt es nicht mehr aus und erklärte mir mit einem zitternden Fingerzeig aus dem Fenster, die Rangfolge der bevorstehenden Fütterung. Ein wahres Panoptikum öffnete sich meinem Blick und ich musste an die Garfields und Felidaes denken, die bei der Lektüre gleichnamiger Comics und Bücher vor meinem inneren Auge lebendiger geworden waren, als meine eigenen Katzen, die ich einst Mitbewohner nennen durfte.

Sich um diese tatsächlich viel zu fetten Katzen zu kümmern, schien den Damen ein diebisches Vergnügen zu bereiten. Denn im Grunde war es durch die Hotelleitung untersagt und es gab einige Gäste, die sich an der hartnäckigen Weigerung der Damen, sich an dieses Verbot auch zu halten, doch sehr stießen.
Mir allerdings war es herzlich egal.
Ich dachte daran, dass auch das Alter eine gewisse Leichtfertigkeit bereit hielt und daran konnte ich mich erfreuen.

Die Damen behaupteten von sich, Freundinnen zu sein. Sie wohnten im gleichen Haus in Hamburg, pflanzten die gleiche Art von Balkonblumen, fütterten abwechselnd Igel, Raben oder Eichhörnchen und das fand ich sympathisch. Es entlockte mir eine Vision aus längst vergangenen Tagen. Oft hatte ich mit Freundinnen darüber philosophiert, dass wir in den Zeiten unseres Altersunruhestandes zusammen hocken würden, irgendwo am Strand, irgendwo auf der Welt. Wir würden uns zuprosten und über die Eroberungen längst vergangener Zeiten lästern. Ohja, hatten wir uns immer geschworen, wir würden die lustigsten Witwen der Welt werden und immer noch die Feste feiern, wie sie denn nun fielen. Vielleicht etwas leiser, vielleicht mit weniger Energie, aber doch mit dem nötigen Humor und dem kleinen Zwinkern in den immer noch blitzenden Augen.

`Wie lange diese beiden Damen wohl schon lustige Witwen waren? ´ dachte ich, als die Dame Lila anfing, mit ihrem Alter zu kokettieren. Sie wollte geschätzt werden. Und bewundert. Ich beschloss, der Dame diesen Gefallen zu tun, um ihr kurz darauf zu attestieren, wie „gut sie sich doch gehalten hätte“. `Das immer gleiche Spiel´, dachte ich. Früher hatten wir es mal „den Jahrmarkt der Eitelkeiten“ genannt. Aber da sprachen wir weniger vom Alter, sondern eher von der Art und Weise, wie die jeweilige Eitelkeit den Jahrmarkt zu beeindrucken pflegte.

Nun, die Dame Lila beeindruckte durch ihre fast asketische Art. Sie aß wie ein Spätzlein und sie nippte geziert an ihrem einzigen Glas Rotwein des Abends. Sie sprach davon, nie geraucht und immer penibel auf ihr Gewicht geachtet zu haben.
`Ein Jammer´, dachte ich und überlegte, ob die schmal zusammen gepressten Lippen und die kalten Augen etwas mit der Askese zu tun haben könnten. Die Jugendliche neben mir lachte trocken auf.
„Ich rauche und trinke und esse jetzt noch eine Portion Nachtisch. Und? Bin ich etwa dick?“
„Dafür hast du Bluthochdruck. Ich sage dir seit Tagen, du sollst keinen Alkohol trinken und nicht rauchen. Aber du hörst ja nicht!“ entrüstete sich die Dame Lila und entfernte sich zur Obstauswahl des Abends.

„Meinen Sie, dass man vom Rauchen Bluthockdruck bekommt?“ beugte sich die Dame Jugendlich flüsternd zu mir und ich musste unwillkürlich lachen. „Nun, gesund ist es nicht und das wissen wir ja wohl beide. Aber wir können uns gerne bei einem Mokka und einer Zigarette draußen weiter unterhalten, wenn Sie möchten.“ Das Lachen der älteren Dame, das in ihren Augen spitzbübisch aufleuchtete, bereitete mir ein noch größeres Vergnügen als die Widerspenstigkeit ihres Alters.

Zwei Abende später bedauerte sich die Dame Lila auf das Äußerste, als sie sich allein an meinen Tisch setzte. Ihre Freundin war wegen ihres Bluthochdrucks ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nie, wirklich nie, hätte sie während ihrer Urlaube in diesem Hotel Probleme gehabt, doch nun führe einmal ihre Freundin mit und schon fingen die Schwierigkeiten an.
Etwas irritiert hakte ich bei Frau Lila nach, in welchem Krankenhaus denn die Freundin nun liegt und wie es ihr dort ergehen würde. Das wüsste sie nicht, sagte Frau Lila entrüstet, denn die Freundin hätte sich ja nicht gemeldet bei ihr. Überhaupt wäre die ja so langsam, dabei wäre sie doch vierzehn Jahre jünger als Frau Lila selbst. Aber die Freundin würde schon am nächsten Tag wiederkommen, da war sich die Dame Lila ganz sicher, denn schließlich müsste die Erkrankte einen Tag später nach Hause fliegen und das ginge ja nun nicht anders.
Im Übrigen wüsste sie auch gar nicht, wen sie informieren sollte, denn die Namen der Anverwandtschaft ihrer Freundin, die würde sie gar nicht kennen.
Und nun ginge sie erst mal zum Buffet.

`Ein merkwürdiges Verständnis von Freundschaft´ dachte ich noch, als sie mit einem voll beladenen Teller wieder an meinen Tisch zurückkehrte. So sehr mir die Nachricht der Dame Lila auf den Magen geschlagen war, umso mehr hatte es offensichtlich ihr selbst einen guten Appetit beschert. Sie aß so viel, wie ich sie alle Abende vorher nie hatte essen sehen. War der Spatz vielleicht zu einem reißenden Wolf mutiert? Merkwürdigerweise packte sie an diesem Abend auch keine Leckereien für ihre Katzen ein, sondern vergnügte sich bei einem zweiten Glas Wein an sich selbst.

Ich wollte mich entrüsten, doch dann fiel mir ein Satz ein, den ich mal in einem Buch gelesen hatte. Es hatte etwas mit der fast unmenschlich wirkenden Gleichmut des Alters zu tun.*

Wie oft hatte ich mir bereits geschworen, niemals im Alter „so“ zu werden. Und genau das dachte ich in diesem Moment auch. Aber hatte ich überhaupt eine Wahl? Hatte ich nicht in letzter Zeit ganz merkwürdige Marotten an mir festgestellt, die ich als junger Mensch so verabscheute und nun scheinbar außerstande war, diese einfach zu umgehen?

`Ich mochte die Farbe Lila noch nie´ dachte ich zornig.

Also würde ich sicher auch niemals lila werden.
Hoffentlich.

*Sie besaß jenen scheinbaren Gleichmut des Alters, der unmenschlich wirkt und tröstet, ohne dass ein Wort gesagt oder eine Träne vergossen wird: sie war der lebende Beweis für das Vergessen und das Ende aller Dinge.“
(aus: „Die Hunde und die Wölfe“ von Irène Némirovsky)

Lass uns ins Blaue reisen Das wir sind – eine Rezension

Ein gezielter Schuss ins Blaue

Cover

Es ist nicht lange her, da drückte mir ein befreundeter Verleger mit den Worten „Hier, hör dir das mal an“ eine CD in die Hand. „Wenn es dir gefällt“, meinte er, „schreib doch bitte eine Rezension. Und wenn nicht, dann nicht!“
Na ja, wie man jetzt liest, habe ich eine Rezension geschrieben. Also kann man sich denken, wie mir der Inhalt der CD gefallen hat.
Ein Hörbuch war’s, das er mir ausgehändigt hat. Lyrik! Der Name des Autors kam mir irgendwie bekannt vor. Uwe Helfrich … Ein Blick ins World Wide Web bestätigte meine Vermutung: Ah ja, der Kabarettist und Schauspieler … Und der ist auch Autor? Offenkundig! Und gar kein schlechter!
Wie es der Titel andeutet, geht es bei dieser Reise durch die lyrischen Gefilde ins Blaue. Dazu passt, dass die einzelnen Abschnitte geografisch geordnet sind: Deutschland, Niederlande, Israel, Spanien, Ukraine, USA/Arizona, North Carolina, Indien, Belgien, Deutschland/Berlin, NRW. Warum, wieso? Müssen eigentlich alle Geheimnisse aufgeklärt werden? Es fällt bei manchen Gedichten leichter, die jeweilige Länderwidmung nachzuvollziehen, als bei anderen. Die in fast jedem Abschnitt zum Einsatz kommenden Musikinstrumente (Gitarre, Harfe, Akkordeon, Sitar, Maultrommel) verstärken jedenfalls den Eindruck einer Weltreise.
Die Texte künden hintersinnig von neuralgischen, springenden, wunden oder auch toten Punkten. Mal fallen sie ganz persönlich aus, mal kosmopolitisch! Es sind Schelmengedichte – verschmitzte, leicht spöttische Lehrstücke. Sie handeln von großen Fußspuren, verschlafenen Möglichkeiten, Wortbomben, Dschinns, Erzengeln, Reservationen, Moralin, Staubplaneten, Fata Morganas, Stechschritten, Steinbrüchen … und meinen die wesentlichen Dinge des Lebens. Es sind Aperçus über uns, wie wir uns aufführen, wie wir uns geben, was uns bewegt.
Unwillkürlich kommt einem manchmal der große Loriot in den Sinn: „Das ist fein beobachtet.“

Titel: Lass uns ins Blaue reisen Das wir sind – ein lyrisches Hörbuch
[Audiobook] [Audio CD]
Autor: Uwe Helfrich
Verlag: cenarius Verlag Hagen; Sprache: Deutsch;
ISBN: 978-3-940680-30-3; Einband: Jewelcase; Preisinfo: 11,95 Eur[D]

Frühling, Sommer, Herbst und Blut – eine Rezension

„Schon wieder Vampire?“, wird so mancher nun stöhnen. „Kann man es nicht langsam mal gut sein lassen mit den ollen Blutsaugern?“ Nein, kann man nicht! Dann würde man nämlich was verpassen.
Zugegeben, auch ich habe so überdrüssig gedacht. Nach tausenden von Vampirfilmen, -comics und -romanen (ich übertreibe nicht!) war mein Blutdurst eigentlich gestillt. Bereits in jungen Jahren ein gieriger Konsument diverser Horrorheftserien à la John Sinclair, habe ich anschließend alle Trends und Moden mitgemacht. Bram Stoker, Max Schreck, Marvels „Tomb of Dracula“, Wesley „Blade“ Snipes, die Lost Boys, der Kleine Vampir, Vampirella (hach …), Klaus Kinski, Blacula und und und – ich hatte sie alle. Irgendwann ließ der Reiz nach. Und nach Herbert, dem schwulen Vampir aus „Tanz der Vampire“, habe ich eh gedacht, das kann durch nichts mehr getoppt werden. Der Mythos – ohnehin durch mannigfache Veralberungen, Verniedlichungen und Zeitgeistanpassungen ausgezehrt – verlor sukzessive seinen Appeal. Und als die morbiden Zähnefletscher dann zu romantischen Frauenlieblingen mutierten, gab ich angeödet mit verdrehten Augen auf.
Tja, und dann fiel mir dieses Buch in die Hände (und der Autor lief mir gleich mit über den Weg), ein Kurzgeschichtenband über die wohl stilvollsten Geschöpfe der Nacht, ergänzt mit Lyrik und Illustrationen. Schon nach den ersten Sätzen war die alte Faszination wieder da. Dargebracht in spannenden Storys, flamboyanten Gedichten und wunderhübschen Zeichnungen, triefen hier die bissigen Untoten nur so vor traditionellem Flair.
B.A. Moon gibt gar nicht vor, dass er etwas revolutionär Neues zu bieten hat. Nein, der Autor wandelt auf klassischen Pfaden. Seine Vampire sind würdevoll, auf eine beinahe altmodische Weise unheimlich. Der Autor lässt auch nicht die hinlänglich bekannten Klischees links liegen (er schwelgt geradezu in ihnen), aber er verwendet sie wohldosiert und immer in einem originellen Kontext. Ob es nun den Zeugen Jehovas an den Kragen geht, eine makabere Sucht entsteht, ein dunkler Jäger zur brutalen Tat schreitet oder man es mit dem sonderbaren Amt für Nocturnihumanoide zu tun bekommt, es mischen sich Dunkelromantik, Wortwitz, Suspense und Action zu einer sehr unterhaltsamen Lektüre.
Das schon so häufig umgekrempelte Vampirgenre ist eben doch nicht so ausgelutscht, wie es den Anschein hat.

Porträt

Titel: Frühling, Sommer, Herbst und Blut – Eine Anthologie über die Kinder der Nacht und ihre dunkle Welt
Autor: B.A. Moon
Verlag: Books on Demand
ISBN: 978-3-8391-0549-8
Paperback; 9,80 Eur[D]; ca. 144 Seiten

On the Road

Unterwegs – eine Rezension

Vorab: Ein bisschen „Werbung in eigener Sache“. Nicht für mich (auch wenn ich in dem Buch vertreten bin), sondern für unser gemütliches Schreibforum. Auf dass „Netzkritzler“ ein wenig mediale Aufmerksamkeit erhält.

In den Weiten des Internets gibt es ein kleines, aber feines Schreibforum: „Netzkritzler“! Mitmachen darf eigentlich jeder, Themenvorgaben gibt es nicht und Stilfragen sind ein begehrter Diskussionsgrundstoff. Im Grunde können die Teilnehmer alles einstellen – von Kurzgeschichten über Glossen bis hin zu Gedichten (sogar Buch- und Filmrezensionen oder Plattenkritiken sind erwünscht).
Abseits allen Wettbewerbdrucks, tummeln sich dort einige äußerst spitzfindige und sprachwitzige AutorInnen. Leseratten bekommen einiges geboten. Doch Vorsicht: Man kann sich leicht im stattlichen, zum Schwelgen einladenden Textarchiv verlieren (speziell im Blog des Großen Mumpitz Andreas Gers).
Im Jahr 2010 rief dieses Forum zu einem Kurzgeschichtenschreibwettbewerb auf, 2011 wurde das Ergebnis verkündet, kurze Zeit später lag dieses Buch als Ergebnis vor. Schön ist es geworden. Das mag jetzt nicht stärkste, aufrüttelnste Beschreibungsvokabel sein, aber sie trifft es halt am besten. Es ist wirklich ein schönes Buch geworden. Und es sind eben nicht nur Netzkritzler am Werk. Auch viele „freie“ Autoren haben ihren Weg ins Buch gefunden.
65 SchriftstellerInnen im Alter von 14 bis 72 Jahren aus der Schweiz, Österreich, Polen, Italien und allen Teilen Deutschlands haben Story zum vorgegebenen Thema „Unterwegs“ eingereicht, die besten Beiträge sind in diesem Buch abgedruckt. Das Resultat ist so vielschichtig wie die Teilnehmerliste: Selbstfindungstrips, Urlaubseindrücke, Übergänge ins Jenseits, Gewaltmärsche, Transitverkehr, Stop and Go, Traumreisen, Landstreicherei, Abstecher in die Vergangenheit, Weltraumfahrten, Verfolgungsjagden, Heimatsuche, Wattwanderungen, Freiheitsstreben, erste Schritte, Irrwege und und und – zu nahezu jeder Form der Rast- und Ruhelosigkeit findet sich eine Geschichte. Jedes Buch hält für seinen Leser eine Reise bereit. Dieses ganz besonders. Das Fernweh ist gestillt – zumindest, bis man die letzte Seite hinter sich gelassen hat.

Anlesetipps:
Angie Pfeiffer – Wohin die Reise geht
Henrik Lode – Auf und Ab

Unterwegs: Anthologie des Netzkritzler-Schreibwettbewerbs
Geheftet: 188 Seiten
Erschienen bei Books on Demand, 15.03.2011
ISBN 9783842348028
Genre: Sonstiges

Dieser Text ist auch erschienen bei Ruhrstadt-Netzwerk: http://www.ruhrstadt-netzwerk.de/application/cms/website.php?page=2490&form=newsFeedDetailview&report_entry_key=5520