Liebe allein ist nicht genug

Du hattest mein „Ja“. Doch es wurde das einzige Versprechen, das ich nicht gehalten habe.

Sitzt da, wie früher, und erzählst, wie es Dir geht, was Du so machst und wovon Du träumst. Und ich schau Dich noch immer gerne an, hör Dir zu, doch eine Weile nur, bis Deine Worte in meiner Erinnerung zerfließen und ich die Bilder wieder sehe.

„Tausendmal berührt.“ Nichts traf es so sehr wie dieses Lied damals. Tausendmal hatten wir uns gesehen, bis zu diesem einen Tag, an dem es „Zoom“ machte und mich der Blitz traf wie aus heiterem Himmel. Lange hat es gedauert, sehr lange, bis Du meine Liebe erwidert hast. Tausendmal berührt. Tausendmal geweint. Aber irgendwann war es soweit. In jener Nacht, nachdem ich lange fort gewesen und zurückgekehrt war. Und in der Zwischenzeit beinahe… Nur beinahe. Ich hab gewartet für Dich, auf Dich und nach meiner Rückkehr wusste ich, dass das Warten nicht vergeblich war.

Dann ging es sehr schnell, gemeinsame Wohnung und gemeinsame Lebensplanung. Und mein „Ja“ auf Deine Frage, ob ich Dich heiraten wolle. Ein klares „Ja“ damals. Ausgesprochen, bevor wir zusammengezogen waren.

Dann kam der Alltag. Die kleinen Dinge, die täglich Kompromisse erfordern. Wir gingen die Kompromisse ein, machten vieles zusammen und ließen einander doch auch genügend Freiheiten für eigene Interessen. Es lief gut, sehr gut. Auf den ersten Blick.

Irgendetwas war anders. Anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich fühlte es, ohne Worte dafür zu finden. Und es dauerte einige Zeit, bis ich es formulieren konnte: Ich wollte nicht nur Deine Liebe. Die hatte ich, wie Du mir immer wieder beteuert hast. Ich wollte Deinen Respekt.

Ich wollte, dass Du meine Arbeit anerkennst.
Ich wollte, dass Du meine Gefühle achtest.
Ich wollte, dass Du genauso viele Schritte auf mich zugingst, wie ich auf Dich.
Ich wollte, dass Du Dir meiner nicht so sicher warst, dass jede Anstrengung um mich für Dich unnötig erschien.

Doch das hast Du mir nicht gegeben. Ja, Du hast mich geliebt, so wie Du mich gesehen hast. Aber so war ich nicht. Du liebtest das Bild, das Du von mir hattest und hast nie verstanden, dass hinter der von Dir geliebten Fassade so viel mehr steckte.

Respekt zu haben hätte bedeutet, hinter diese Fassade zu blicken. Mich zu sehen, nicht Dein Bild von mir, sondern den Menschen dahinter.
Respekt zu haben hätte bedeutet, mich nach meinen Träumen zu fragen. Und mir zu helfen, diese Träume zu verwirklichen.
Respekt zu haben hätte bedeutet, mich so anzunehmen, wie ich bin. Und sich nicht über meine Schwächen lustig zu machen.
Respekt zu haben hätte bedeutet, einen Schritt auf mich zuzugehen. So wie ich viele Schritte auf Dich zugegangen bin.
Respekt zu haben hätte bedeutet, meine Liebe nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern dich um mich zu bemühen. Immer wieder. So wie ich mich um Dich bemüht habe. Damit aus 2 x „ich“ ein „Wir“ wird.

Nun, es hat nicht geklappt. Und so wurde mein „Ja“ das einzige Versprechen, das ich nicht gehalten habe.

Du sitzt noch immer da, wie früher, und erzählst, wie es Dir geht, was Du so machst und wovon Du träumst. Und ich schau Dich noch immer gerne an, hör Dir zu, eine ganze Weile noch. Immerhin sind wir Freunde geblieben. Wenigstens das. Haben eine prima Trennung geschafft, ohne Streit, ohne Verbitterung.

„Aber ich liebe Dich doch“, hast Du gesagt, als ich ging. Uns zu lieben, zu achten und zu ehren hätten wir uns versprochen.

Denn Liebe allein ist nicht genug.

  • Liebe allein ist nie genug. Ich habe nie verstanden was Frauen wollen, jetzt habe ich einen Eindruck. Danke dafür. 🙂 Grüß dich, Koka

  • solch eine klare Definition hab ich für mich nie finden können – dieses Gefühl, daß es eben nicht reicht nicht in Worte fassen können…
    danke dafür!

  • Was bleibt von dem „ich liebe dich“ noch übrig, wenn der Respekt, die Achtung und das Ehren, das hinter die Fassade blicken nicht dazugehört? Ich glaube, viele Menschen sind sich der Bedeutung dieser drei Worte nicht in vollem Umfang bewusst, wenn sie sie aussprechen.

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