Quer zum Gleis
Maja stand am Fenster des Hochhauses und sog frische Luft ein. „Mitternacht“, dachte sie. Nur vereinzelt brannte noch Licht. In der Ferne hörte sie das leise Rauschen der Autobahn. Hätte sie Schlaf gefunden, sie wäre ins Bett gegangen. So aber blickte sie über die Gleisanlage, auf deren Schienen sich das Mondlicht spiegelte.
Es war kalt. Maja zog sich etwas über und kehrte ans Fenster zurück. „Ein Spaziergang täte jetzt gut“, überlegte sie und fragte sich zugleich, wohin er führen sollte. Bei Nacht ist es draußen nicht sicher. Hier und da drücken sich dunkle Gestalten in Hauseingänge, Stoff und Geld wechseln die Besitzer. Eine Handtasche geht schnell verloren, oder was sonst ein Stück Leben verspricht, einen Schritt weiter, ein Vergessen auf Zeit.
Unkraut zwischen zwei Gleisen. Rostiger Stahl. Mondlicht. Ein Körper am Signal. Maja stutzte. „Der Nachtzug!“ Fokussiert, ein Vergewissern, dann sprang sie in Stiefel und Mantel und stürzte hinaus, an der Hausfront entlang, die Passage hindurch, wie viele Schritte noch, wie viele Meter, wie viel Zeit bis zum …
Durchgerauscht. Kein Quietschen, kein Bremsen. Am Signal: ein Mensch. Aufrecht ihr zugewandt. „Nach dem letzten fahren keine Züge mehr“, sagte er.
Maultrommler
5. Jan 2014
Das gefällt mir,sehr, erst beschaulich, dann die Gedanken an nächtliche Unsicherheiten,die Beobachtung des Gleises, mit wenigen Worten entsteht eine sehr starke Spannung, ihre Auflösung, die nicht erklärt, warum der Zeitgenosse dort steht.Und das alles in einem sehr kurzen Text.
Ich würde allerdings nach „….und fragte sich zugleich, wohin er führen sollte“, das Präsens
benutzen- bis einschließlich …Zeit.“
Mumpitz
6. Jan 2014
Deine Geschichten sind eigentlich Dichtung, sehr minimalistisch, auf den Punkt, ohne Ballast. Die rasch aufgebaute Spannung wird zwar gelöst, doch für den Leser unbefriedigend. Dadurch geht die Episode im Kopf des Lesers weiter, hallt noch nach, mit dem Echo des eigenen Herzens.
Die Präsens-Lösung, die Uwe vorschlägt, teile ich!
Songline
6. Jan 2014
Vielen Dank ihr beiden. Nachdem jetzt 2:1 Stimmen für den Präsens vorliegen, habe ich es abgeändert 😀