Töte, um zu leben
Irgendwann kamen sie in unser Dorf und haben mich mitgenommen. Kämpfen solle ich, haben sie gesagt. Oder sterben.
Ich wollte doch nur lernen, lernen für ein besseres Leben. „Bildung ist der Schlüssel zu allem“, hat mein Vater immer gesagt, und „Dir soll es einmal besser gehen als mir.“ Ich lernte gern, war froh, auf die Schule gehen zu dürfen, auch an diesem Tag. Doch an diesem Tag kam ich dort nicht an.
An diesem Tag packten sie mich auf dem Schulweg, zogen mich in ihrem Jeep und nahmen mich mit. Ich schrie. Ich weinte. Ich bettelte, dass sie mich laufen ließen. Doch sie lachten nur. Wir kamen in ein Lager im Dschungel. Ob ich kochen könne, wollten sie wissen. Also kochte ich. Dann fragen sie, ob ich mehr könne als kochen. Ich wusste nicht, wovon sie sprachen, aber das erfuhr ich dann. Nein, das konnte ich nicht, aber das war ihnen egal. Sie taten es dennoch mit mir und es tat weh.
Im Lager waren viele Männer. Aber auch Jungen, der jüngste kaum älter als ich. Sie wurden in den Dschungel geschickt, um etwas auszukundschaften. Ich habe nicht verstanden, worum es ging. Oft hörte ich Schüsse ganz in der Nähe des Lagers und das machte mir Angst. Eines Tages kamen die Schüsse plötzlich immer näher und dann sahen wir Soldaten auf das Camp zukommen. Wir sind gerannt, in alle Richtungen, fort, nur fort und haben uns versteckt, so gut es ging. Als die Soldaten wieder fort waren, gingen wir zurück ins Camp. Die Soldaten hatten die Zelte angezündet und zwischen den brennenden Zelten lagen Leichen. Leichen der Männer und Leichen der Jungen. Es waren viele Leichen an diesem Tag.
Einer der Männer hob ein Gewehr auf, das neben einem toten Jungen lag, und drückte es mir in die Hand. „Ab heute bist Du ein Kämpfer.“, sagte er zu mir. Ich starrte ihn nur an. „Du kämpfst, oder Du stirbst.“ Er zeigte mir, wie man mit dem Gewehr umgehen musste. Das Gewehr war schwer, so schwer, dass ich es kaum heben konnte.
Wir legten uns auf die Lauer. Die Soldaten passierten immer bestimmte Wege und wir lagen im Dschungel und lauerten ihnen auf. Als sie kamen, schossen wir. Das heißt, die anderen schossen, und ich drückte mein Gesicht in den Boden und hielt mir die Ohren zu. So fand mich unser Anführer.
Er kontrollierte mein Gewehr und sah, dass ich keinen Schuss abgefeuert hatte. „Du wirst lernen, zu schießen.“, sagte er. Er zog mich hinter sich her. Sie hatten einen Soldaten gefangen genommen. Er kniete auf dem Boden, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. „Töte ihn!“ sagte unser Anführer zu mir. Ich sagte kein Wort. Ich sah in die Augen des Soldaten, der meinen Blick mit einer Mischung aus Erstaunen und Trauer erwiderte. Ich rührte mich nicht.
„Töte ihn oder ich töte Dich.“ Ich hob das Gewehr, es war so schwer. Ich zitterte. Ich stand nur ein paar Schritte von dem Soldaten entfernt und er sah mich immer noch an. Ich wollte schon das Gewehr sinken lassen, als ich das Messer unseres Anführers im Rücken spürte. „Schieß endlich!“
Ich drückte ab.
Ich war zwölf, als sie mich mitnahmen.
Und ich werde niemals dreizehn sein.
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Seit dem 12. Februar 2002 ist der Einsatz von Kindersoldaten gemäß UN-Kinderrechtskonvention verboten. Man muss nicht die Frage diskutieren, warum es so lange gedauert hat, ein solches Verbot zu erlassen.
Aber es gehört ins Bewusstsein, dass weiterhin weltweit etwa 250.000 Kinder als Soldaten ausgenutzt werden.
Info: Red Hand Day
Bildquelle: Gilbert G. Groud, Wikipedia
Text zum heutigen Gedenktag nochmal hervorgeholt.
adrian
1. Feb 2010
Das hier hab ich erst mal sacken lassen, um den Inhalt zu verarbeiten. Jetzt, nochmal gelesen, öffnet sich mein Kopf für den Autoren. Ich finde es gelungen, weil du die Sprache eines zwölfjährigen Kindes benutzt. Das ist der Grund, warum man von Zeile beklommener wird.
Auch hier, wie bei anderen Texten von Dir schon registriert, verzichtest Du auf Überflüssiges, lässt genau soviel Details zu, wie nötig sind, um zu verstehen, was da vor sich geht.
Hätte ich einen Hut, hier würde ich ihn ziehen.
Mumpitz
1. Feb 2010
Es ist ergreifend, wenn man solche für uns eher theoretischen, fernen Themen in den emotionalen Bereich verschiebt. Und genau dort gehören solche Themen hin. Hier ist es so extrem, dass man vom Gefühl her eigentlich umschalten möchte, oder sich einen fluffigen Werbeblock herbeisehnt. Oder wenigstens ein Ende mit Hoffnung…
Mir persönlich wurde aber auch klar, dass sich diese Art der Vergewaltigung von Kinderseelen nicht auf ferne Kriegsszenerien beschränkt und damit wieder ad acta gelegt werden kann. Die drastische Erzählung hilft auch, den eigenen Umgang mit Schutzbefohlenen wieder einmal zu reflektieren und im besten Fall auch zurechtzurücken.
deludis
10. Mai 2011
Dieser Text wird seine gebührende Würdigung finden.
Das kann ich definitiv sagen *schmunzelt*
In ‚Ruhm und Boden‘.
Songline
11. Mai 2011
Ich freue mich schon sehr darauf 😀 Bin gespannt, wie das Buch aussehen wird.