„Offen will ich sein und notfalls unbequem“

Zum Rücktritt Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten.

Ausgerechnet jetzt. Ausgerechnet in einer Zeit, da Deutschland endlich wieder jubelt und die Begeisterung über den Sieg von Lena beim Eurovision Song Contest 2010 noch anhält, tritt Horst Köhler vom Amt des Bundespräsidenten zurück und das Land verfällt erneut in eine Art Schockstarre.

Dabei hat uns die 19-jährige Schülerin gerade erst die Negativschlagzeilen der letzten Monate vergessen lassen – Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Politikkrise, Griechenlandkrise, Eurokrise, Ölkrise im Golf von Mexiko. Und dann kam Lena. Im Rausch der ersten guten Nachricht seit Monaten war alles andere auf einmal vergessen. Doch der Trip währte nur kurz: Mit Horst Köhlers Rücktritt ist Deutschland wieder in der Realität angekommen.

Der Schock sitzt tief. Verlässt hier ein Kapitän das sinkende Schiff? Nie zuvor ist ein Bundespräsident zurückgetreten. Heinrich Lübke hatte 1968 seinen Amtsverzicht zum Ende der Amtsperiode im Juni 1969 erklärt, aber dass ein Bundespräsident bereits ein Jahr nach seiner Wiederwahl das Handtuch wirft, hat Deutschland noch nicht erlebt. Als Ottonormalbürger steht man fassungslos da und fragt nach dem Warum.

Horst Köhler begründet seinen Rücktritt damit, dass er den „notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt“ vermisse. Die öffentlichen Anschuldigungen, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehrten jeder Rechtfertigung.
Köhler fühlt sich missverstanden und zu Unrecht kritisiert wegen einer Äußerung, die er am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio machte:
„Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern.“
Köhler meinte den Kampf der Bundeswehr gegen die Piraten vor Somalia. Seine Kritiker werfen ihm vor, er habe grundgesetzwidrig einen Wirtschaftskrieg gerechtfertigt.

Horst Köhler kommt nicht aus der Politik. Das wurde ihm oft als Nachteil angerechnet, hat sich jedoch in der Vergangenheit oft genug als Vorteil herausgestellt. Als studierter Volkwirt und mit einem großen Erfahrungsschatz in der Finanz- und Währungspolitik war er es, der eine Regulierung und Bändigung der Finanzmärkte und des Finanzkapitalismus forderte.
Bereits in 2005 forderte er die Politik auf, der Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang vor allen anderen politischen Zielen einzuräumen.
Klar und beeindruckend sprach er sich gegen aktive Sterbehilfe aus: „Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen“. Zugleich forderte er eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügungen, damit jeder Mensch in jeder Phase seines Lebens entscheiden könne, ob und welchen lebensverlängernden Maßnahmen er sich unterzieht.

„Offen will ich sein und notfalls unbequem.“ hat Horst Köhler zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2004 gesagt. Damals war er ein in der Bevölkerung weitgehend Unbekannter. Während der ersten 5 Jahre als Bundespräsident hat er sich Anerkennung und auch Beliebtheit in der Bevölkerung verdient. Seit seiner Wiederwahl im Mai 2009 ist es ruhiger um ihn geworden. Bis zum heutigen Paukenschlagrücktritt.

Man mag Horst Köhler vorwerfen, dass die Verantwortung des Amtes ein breiteres Kreuz erfordert. Dass man als Bundespräsident damit leben können muss, wenn missverständliche Äußerungen als solche bezeichnet und kritisiert werden. Man mag ihm sagen, dass er mit seinem Rücktritt genau den Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen lässt, den er von seinen Kritikern einfordert. Aber das alles dreht den Zeiger der Uhr nicht zurück. Horst Köhler hat das Amt nicht mehr inne, das er besser ausgefüllt hat, als manch einer ihm zugetraut hätte.

„Offen will ich sein und notfalls unbequem.“ Vielleicht war Horst Köhler nie so unbequem wie an seinem letzten Tag.

Es sind noch keine Namen für einen Nachfolger im Umlauf. Und das ist gut so. Vom heutigen Tag muss sich die politische Szene erst einmal erholen. Und dann in Ruhe nachdenken.
„Lena for president“, würde vielleicht heute mancher fordern, der sich frischen Wind, Unbekümmertheit, Charme und Optimismus in der Politik wünscht. Nun, Lena ist zu jung, der Bundespräsident muss mindestens 40 Jahre alt sein. Aber aus dem politischen Raum fällt mir derzeit niemand ein, den ich gerne als „mein“ Staatsoberhaupt sähe. Vielleicht sagt das mehr über die Krise der deutschen Politik, als es der Rücktritt Horst Köhlers tut. Es ist niemand mehr da, dem ich den Präsidenten-Job zutraue. Also wieder eine Krise. Die Präsidenten-Krise. Als hätten wir nicht schon Krisen genug.

  • Als hätten wir nicht schon Krisen genug. Wie wahr!

  • Also gut, wenn’s den so sein soll, schlag mich vor, ich machs…
    Uebrigens: nicht Koehler ist der Kapitaen, er ist der Reeder, sondern Merkel. Die scheint aber kotzend seekrank in der Kabine zu liegen und kriegt weder ihren Reeder noch ihre Offiziere in den Griff. Vom Schiff Deutschland Mal ganz zu schweigen.

  • Bleiglass, sei mir nicht bös, aber Dich schlage ich nicht vor. Wenn Du den Job machst, hast du nämlich keine Zeit mehr für den Netzkritzler 😉

  • ja – Krisen haben wir genug. Und gerade deshalb und zu diesem Zeitpunkt habe ich kein Verständnis für solche Animositäten!
    Und ansonsten schließe ich mich Bleiglass vorbehaltlos an.
    Und Bleiglass for President wäre sicher eine gute Idee!

    Also Song, seien wir mal nicht so selbstsüchtig, wenn es denn dem Wohle der Nation dient 😉

    • Pssst, Manu: Ich wollte es ja eigentlich nicht ganz so öffentlich sagen, daher nur für Dich:
      Bleiglass und ich sind politisch zu weit auseinander, als dass ich ihn als „mein“ Staatsoberhaupt haben möchte. Aber lieber als Rüttgers oder Koch hätte ich ihn allemal 😉

      • oh Song – dann danke ich doch für Dein Vertrauen – ich werde mich nun umgehend mit den politischen Ansichten des Herrn Bleiglass auseinandersetzen 😉

  • Für mich ist die Sache wirklich zwiegespalten. Einerseits fand ich es beruhigend, dass das Amt des Bundespräsidenten von einem ruhigen, kompetenten und unpolitischen Menschen bekleidet wird, der der machtgeifernden Politik etwas Besonnenes und Überlegenes entgegensetzt. Andererseits hatte Horst Köhler für mich nicht genug Aussstrahlung, um ohne direkten politischen Machteinfluss auch etwas zu bewirken. Ich mag ihm Unrecht tun, aber ich finde es bezeichnend, dass er der erste ist, der zurücktritt. Den nötigen Respekt, den er einfordert, wird dem Amt nur dann gezollt werden, wenn auch der Mensch, der das Amt ausfüllt, sich diesen Respekt verschafft.

  • Songline: also mich mit Rüttgers oder Koch in einem Satz zu nennen ist nun nicht gerade schmeichelhaft, ich muss wohl noch etwas an meinem „Image“ arbeiten…
    Geissler, Merz und Clements, Kubicki und ja, auch Westerwelle passen doch eher zu mir, freiheitlich denkend, weniger Staat, weniger Regeln und Gesetze, die Steuererklaerung auf einem Bierdeckel, ohne Hintertuerchen oder wenn und aber, aber vor allem: dem einzelnen Buerger die Verantwortung fuer sein Leben zurueckgeben – mit allen Folgen. Arbeit belohnen und den wirklich Beduerftigen helfen.
    Und den Spass am Leben nicht ganz vergessen….

    • ohje Herr Bleiglass – Geissler, Merz und Clement – d’accord – bei Herrn Westerwelle alerdings sträuben sich mir sämtliche Haare 😉
      es ist m.E. eindeutig zuviel der Ehre jenen mit den anderen in einem Atemzug zu nennen…

      • Manu, diesen Kommentar von Dir unterschreibe ich vorbehaltlos. Auch in dem Wissen, mich damit bei Bleiglass unbeliebt zu machen *schnellwegduck* 😉

        Bleiglass: Dein Programm gefällt mir, aber da ich weiß, dass Dein „freiheitlich“ teilweise weiter geht (Finanzwelt) und teilweise eingeschränkter ist (Überwachung öffentlicher Räume) als meins, kann ich Dich dennoch nicht vorschlagen.

        Im Büro haben wir heute NICHT darüber diskutiert, wer der/die Bestgeeignete für das Amt wäre, sondern wer das geringste Übel ist. Das sagt doch alles, oder?

        Wer hier einen Namen in den Ring wirft, zu dem wir alle „ja“ sagen können, für den lobe ich hiermit einen Preis aus. Ich muss mir nur noch überlegen, welchen, aber da fällt mir schon was ein.

  • Da muss ich leider sagen: typisch Deutsch… es wird nicht darueber diskutiert, wer am „Bestgeeignesten“ ist, sondern wer das „geringste Uebel“ ist. Am Ende ist es kein Unterschied, aber: das Glas scheint in Germany immer halb leer zu sein, nie halb voll.
    Und bitte vergesst eines nicht: das English von Westerwelle ist genauso gut (oder schlecht) wie das von Lena, so what! Es gibt wenige Laender auf dieser Welt, die ihre internationalen Aushaengeschilder Bundespraesidenten und Aussenminister so konsequent demontieren wie die Deutschen, und am Ende damit nur sich selbst schaden. Aus dem Ausland gibt es zu dieser zeremoniellen Selbtzerfleischung nur unverstaendliches Kopfschuetteln… und etwas Freude, denn der deutsche Wettbewerbsvorteil schrumpft, ihr schiesst euch ins eigene Knie. Das Pfund war schon lange nicht mehr soviel wert wie heute, und dafuer ein kleines „Danke“ 🙂

  • nun Bleiglass – des einen Freud ist des anderen Leid oder so….
    aber was wäre die Alternative : stillschweigen und die innerdeutschen Ergüsse unseres Außenministers einfach hinnehmen???
    Zum Glück ist die Zeit vorüber wo das deutsche Volk sich geduckt und geschwiegen hat!
    Und ich hoffe nicht, daß ordentliches Englisch
    ( welches er auch ausschließlich im Ausland spricht – denn in unserem schönen Land verweigert er es den Journalisten)als Qualifikation für einen Außenminister ausreicht – denn viel mehr hat man hier von seinem Job nicht erfahren dürfen….

  • Mal zurück zum Bundespräsidenten ihr Lieben! Ernstgemeint: Ich schlage für das Amt Joschka Fischer vor. Songline, krieg ich den Preis?

  • Ich schlage Margot Kaessmann vor, trinkfest wie Joschka, und sieht besser aus. Zudem grundehrlich und respektiert, eine bessere Kandidatin als von der Leyen

  • manu: es geht nicht um ducken und schweigen, aber fuer alle Kritik gibt es eine Zeit, und waehrend Deutschland auf dem internationalen Parkett so im Scheinwerferlicht steht (Euro/Griechenland) ist es etwas die falsche Zeit. Es wird zuviel um die Person Westerwelle gezankt, dabei geht es um Parteiprogramme, Inhalte und Ausrichtungen. Die im Moment agierenden Personen kommen und gehen, machen Fehler, sind Flaschen, alles gehabt, alles gesehen. Aber das Amt des Bundespraesidenten oder des Aussenministers sollte man bei aller Kritik versuchen zu verschonen.

    • Ich gebe Dir grundsätzlich recht Bleiglass – nur bin ich nach wie vor der Meinung man hätte unser Land vor einem solchen Außenmimister verschonen sollen!

  • Mumpitz, ich sagte, es bekommt der/diejenige einen Preis, der einen Vorschlag macht, dem wir alle zustimmen können. Nix gegen Fischer, aber den kann mir mir als Bundespapa nicht vorstellen.
    Margot Kässmann dagegen schon eher. Also nicht als Bundespapa. Aber als Bundesmama.

  • Wenn Mumpitz die Kaessmann jetzt abnickt… was kriege ich dann fuer einen Preis 🙂

  • http://www.welt.de/politik/deutschland/article7867978/Kandidaten-Liste-Wer-soll-Horst-Koehler-beerben.html

    guckt mal Ihr Lieben – sieht aus als wären ne Menge Leute für Bleiglass Vorschlag

    ich hab auch nichts dagegen – und einen Führerschein bräuchte sie dann ja nicht 😉

  • gegen kässmann bin ich – hallo – wie glaubwürdig ist das denn? ich trete ab ich trete an? …

    was köhler angeht, so bin ich der meinung, dass eine menge gelaufen sein muss, von dem wir nichts wissen und auch nicht wissen sollen. ob wir wieder einen präsidenten kriegen, der auch mal die unterschrift unter ein gesetz verweigert – steht in den sternen. ich würde es mir wünschen…

  • Hule, es haben auch früher schon Bundespräsidenten die Unterschrift unter ein Gesetz verweigert, insofern bin ich diesbezüglich optimistisch.

    Tja, Bleiglass, kein Preis, wir sind uns noch nicht eingi 😉

  • Ganz klar! Franz ‚der Kaiser‘ Beckenbauer wird der neue Bundespräsident und gründet eine neue Monarchie….

    Ich finde Horst Köhler ist (nach wie vor) ein integerer Mann. Sicher ist die Bundeswehrdebatte lediglich der Auslöser..Wer weiß schon, was im Vorfeld gelaufen ist – und wovon wir als Otto Normalverbraucher nichts mitbekommen haben..
    LG

  • Also was bei Koehler gelaufen ist ist doch ganz klar: zuerst hat er die Kaessmann besoffen nach Hause geschickt, dann dem Koch nahegelegt in Hessen endich kuerzer zu treten. Warum das Ganze? Damit potentielle Nachfolger bereitstehen 🙂 alles ein abgekartetes Spiel, oder?

    Hulemule: so ganz verstehe ich dein Problem mit der Kaessmann nicht.. ich trete ab ich trete an??? Was soll das bedeuten? Sie ist als BigBoss der EKG abgetreten, darf sie jetzt keinerlei Amt mehr innehaben und muss sich ins Nonnenkloster zurueckziehen um fuer den Rest ihrer Tage den Rosenkranz herunterbeten um nicht im Fegefeuer zu landen???

  • Okay, wir finden niemanden, ich seh schon. Die Kaesmann fände ich auch gut, es kommt vielleicht nur etwas zu früh für sie, sie hat noch Restalkohol im Blut, ist also angreifbar. Also mach ich es doch selbst! Einverstanden? Her mit dem Preis, Song!!!

  • „Mumpitz for President“ ! ?? Nein, das klingt falsch. Mumpitz war ein gängiger Ausdruck des langjährigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner, der gegenüber provokanten Journalistenfragen oft nur antwortete: Das ist doch Mumpitz! In deutschen Synchronisationen amerikanischer Spielfilme wird gelegentlich Bullshit! durch Mumpitz! wiedergegeben.
    Mit den Nick… nie! 🙂

  • bah Bleiglass und Mumpitz – im Leben schlage ich Euch nicht vor – es geht Euch doch augenscheinlich ausschließlich um persönlichen Profit – Ihr wollt doch nur den Preis 😉

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