Sióchána, Silvi

Silvi 13.08.1966 - 25.04.2015

Ich hatte Angst vor diesem Tag. Angst davor, hier zu stehen und nicht die passenden Worte zu finden. Angst davor, dass meine Trauer stärker wiegt als mein Versprechen, dich zu verabschieden. Angst davor, dich gehen lassen zu müssen.

Wir kennen uns seit vier Jahren. Das Schreiben ließ uns Bekannte werden, unsere Treffen Freundinnen, unser Weg mit deinem Krebs am Ende fühlen wie Schwestern. Du hast mich deinen „Lieblingsmensch“ genannt und warst selbst meiner. Und nun bist du es, die fehlt.

Die Wohnung ist so leer ohne dich. In den letzten vier Monaten hast du ein Zuhause daraus gemacht, allein indem du da warst. Deine Sachen ergänzten meine und bildeten ein Heim. Dein Lachen füllte die Räume, dein Erzählen, die Lebendigkeit, die du mit dir trugst, trotz des Krebses, dem du gern mehr Zeit abgerungen hättest. Dass er siegt, war uns klar. Dass es so schnell sein würde, nicht. Du hast nie nach einer Prognose gefragt.

Ich trage deine Worte bei mir, einen Gedanken, den du als Widmung in eines deiner Bücher geschrieben hast. „Trauer“, steht hier, „Trauer ist mehr als nur Schmerz und viele Tränen. Sie ist auch, das Glück zu teilen, welches in Erinnerung lebendig bleibt und Bestand erfährt.“
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Ausgleich

Gegen das Leer
und das Laut
wiege ich mich
in unserem Tanz.

Ein Wunsch

Wenn ich einen Wunsch frei hätte,
ich wünschte mir Zeit
zu lachen, zu necken, in den Wald zu gehen
und den Tieren zuzuhören.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte,
ich wünschte mir Reden und Schweigen,
Betrachten, Berühren, Leben.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte,
ich wünschte mir Dich.

Annäherung

Da spinst ein Wort
um die Ecke
schüchtern noch
und fragt sich
ob Du es wohl liest.

Literarisches Nähkästchen

Habt ihr schon mal neben einer Autorin gesessen? Ich meine, neben einer richtigen, während sie arbeitet? Nein? Dann lasse ich euch jetzt mal an unserem Schreibstübchen teilhaben.
Gestern saß sie da uns las mir ihre Texte vor. Ich höre ihr so gern zu, während sie nicht begreift, warum das so ist, und ich es ihr nicht erklären kann. Manche Dinge sind halt einfach, wie sie sind.
Immer, wenn sie laut liest, sagt sie hinterher: „Das ist scheiße.“
„Was genau?“, frage ich.
„Die vielen Wiederholungen.“
„Ich höre keine.“
„Und ich höre sie nur, wenn ich sie laut lese.“

Ich ergreife die nächstbeste Gelegenheit zur Flucht, in dem Wissen, dass sie alles über den Haufen geworfen hat, bis ich wieder da bin.
„Jetzt muss ich dir alles nochmal vorlesen.“
„Mach mal, ich höre dir immer noch gerne zu.“
„Wieso?“
Als ob ich das jetzt besser wüsste als eben. „Lies einfach“, sage ich.

Und so wechseln wir zwischen ihrem Schreiben, das ich mit sinnlosen Internetspielen fülle, und ihrem Lesen.
„So“, sagte sie nach der letzten Korrekturorgie, „jetzt habe ich den Text von dem ganzen Schwulst befreit. Hatte ich das geschrieben?“
„Ja“, sagte ich, „als du ganz traurig warst.“
„Lass mich nie wieder schreiben, wenn ich traurig bin, oder lege es mir drei Monate später nochmal zur Korrektur vor!“, fordert sie.

Es ist drei Monate später. Hallelujah!

In deinem Immer

„Sprich es nicht aus“, flüsterst du und ich schweige. Wie gern würde ich wieder mit dir streiten, wie gern träumen, wie gern …
Sehnsucht definiert sich in den Worten, die du nicht hören willst.

Wir haben gewechselt, du fragst nicht nach der Zeit.
Halt einen Platz in deinem Immer für mich frei.

Treibgut

Du sahst mich stets auf einer Brücke stehen und behieltest recht.
Noch immer gebe ich jedem Fluss ein Stöckchen mit,
auf dass er es in deinen trägt,
an dessen Ufer du auf mich wartest.

Schwerfüßig

Heute ging ich durch den Sommerregen.
Wärest du noch da,
hätte ich darin getanzt.

Rastlos

Meine einzige Ruhe liegt im Wandern am Meersaum entlang.
Könnte ich nur so weit gehen, bis ich an den Ort komme, wo du auf mich wartest.
„Das tust du doch, Liebes“, flüsterst du, „das tust du.“

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

Es gibt ja Menschen, die fahren völlig unbedarft in andere Länder. So Leute wie mich, zum Beispiel. „Ich spreche alle Sprachen, ich habe nämlich Hände und Füße“ ist einer meiner Leitsprüche und damit komme ich wunderbar klar.

So kamen wir am Sonntagabend an unserem Reiseziel an, wo uns der Hunger etwas zu essen suchen ließ. An der Straßenecke: Eine Pizzeria. Pizza ist immer gut, da sieht man auf die Speisekarte, tippt irgendwo drauf und lächelt den Pizzamann an. Genau so machten wir es auch, obwohl wir nicht von allen Zutaten erahnen konnten, um was es sich handelt. Er begann sein Werk, wir schauten im Laden umher.
„Mama, ich habe auch Durst“, tat meine Jüngste kund. Ich bestellte und sie beschwerte sich, als wir draußen waren: „Ich hatte mir gerade einen vollständigen Satz zurecht gelegt und du sagst einfach ‚Fanta‘!“
„Ja, und das hat er verstanden“, konterte ich.
Meine Jüngste schüttelte den Kopf. Ich bin ja froh, wenn die Kinder versuchen, ihre Sprachkenntnisse an den Mann oder die Frau zu bringen, aber ich bin halt ein Fan von pragmatischen Lösungen.
Die Pizza war übrigens phänomenal, mit einem Belag aus Schinken, etwas wie Camembert und Honig.

Manchmal kommen einem in höchster Sprachnot auch die guten Ideen der Angesprochenen zu Hilfe. Gestern fanden wir nach einem Stadtrundgang das Auto nicht mehr. Glücklicherweise stand nahe bei uns ein freundlicher Polizist. Ihm zu erklären, dass wir den Wagen suchen, war kein Problem, aber ihm zu sagen, dass der Parkplatz neben einer Brücke war und das Auto unter Bäumen stand, überstieg meine pantomimischen Fähigkeiten.
Er lächelte und fragte: „Ticket?“
Wie gut, dass ich einen kostenpflichtigen Parkplatz gewählt hatte. Keine zehn Minuten später waren wir am Wagen.

Sage noch einer, ohne ausländische Sprachkenntnisse wäre man im Leben aufgeschmissen. Dass meine Große ein flambiertes Mittagessen hatte, obwohl sie keinen Alkohol mag, gehört zu den Risiken und Nebenwirkungen, bei denen auch kein Arzt oder Apotheker helfen kann.