Kims Mutter (7) – letzter Teil

FeeenweinRike„Als ich Sonja kennen lernte, hat mich ihr Herz berührt. Heute ist dieses Herz umschlossen von Mauerringen aus geleerten Flaschen und ich finde keinen Zugang mehr zu ihm. Sonja fügt den Mauern immer mehr Flaschen hinzu. Sie verändert sich, wird ein anderer Mensch. Und ich habe Angst, dass ich sie nicht mehr wiederfinde, wenn es eines Tages doch gelingt, die Ringe einzureißen.“

Peter Wengert wirkte niedergeschlagen. Seit vier Monaten kam er nun schon in die Selbsthilfegruppe, hatte so gut es ging alle Ratschläge befolgt, und doch waren bei seiner Frau nur kleine Fortschritte zu erkennen. Er wusste, dass er selbst sie nicht würde heilen können. Dass Sonja von sich aus den Weg in professionelle Hände suchen musste. Obwohl es ihm schwer fiel, versuchte er nun nicht mehr, Sonja vom Trinken abzuhalten, doch er überließ es ihr, die Konsequenzen zu tragen. Sie hatte inzwischen ihre Arbeit verloren. Aber sie behauptete noch immer, sie hätte alles im Griff.
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Kims Mutter (6)

FeeenweinRike„Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen, was damals passiert ist. Weil ich es selbst nicht verstanden habe. Weil ich mich schämte. Weil ich glaubte, alles wäre nur meine Schuld gewesen. Und weil ich das Gefühl hatte, einen Menschen im Stich gelassen zu haben, der mich gebraucht hätte.
Elsbeth war meine beste Freundin. Sie war meine Vertraute, meine Zuhörerin. Und zugleich war sie der Teufel.

Wir arbeiteten zusammen im Krankenhaus und teilten uns ein Zimmer im Schwesternheim. Wir waren jung und oft unterwegs, gingen in der Freizeit zusammen aus, hatten Spaß miteinander. Mit Elsbeth konnte man wunderbar lachen und ausgelassen sein. Doch sie verbarg auch ein Geheimnis, das sie mir eines Tages anvertraute. Gegen Ende des Krieges, sie war 15 Jahre alt, waren die Russen in ihr Dorf einmarschiert. Ihr wisst ja sicher, was sie mit den deutschen Frauen gemacht haben, und auch Elsbeth blieb nicht verschont. Als sie davon erzählte, saß sie da wie ein Häufchen Elend und weinte bitterlich, ließ es aber nicht zu, dass ich den Arm um sie legte, um sie zu trösten. Es tat mir unendlich leid, was ihr passiert war.
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Kims Mutter (5)

FeeenweinRikeZwei Tage später wurde Sonja Wengert aus dem Krankenhaus entlassen. Kim konnte sich nicht darüber freuen, dass sie wieder da war. Sie hatte seit den Ereignissen dieser Nacht nicht mehr gesprochen. Was sollte sie auch sagen? Und vor allem: Wem? In der Schule wusste niemand, dass ihre Mutter zu viel Alkohol trank. Kim brachte nie Freundinnen mit nach Hause und mit der Zeit ging sie auch nicht mehr zu anderen Kindern. Als ihr Vater vorgestern Abend nach Hause gekommen war, hatte er gesagt, nun würde alles gut. Aber wie oft hatte er ihr das schon versprochen? Auch Gitta hatte es versprochen und nicht halten können.
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Kims Mutter (4)

FeeenweinRike„Der Wandel muss beim Nichtalkoholiker beginnen.“
„Der Alkoholiker hat zwei Waffen: Die Wut und die Angst.“

Auf dem Heimweg von der Selbsthilfegruppe sprachen Frau Schneider und Peter Wengert nur wenige Worte miteinander. Beide hingen ihren Gedanken nach. Die vergangene Stunde war sehr aufschlussreich gewesen und nun musste jeder für sich das Gehörte erst einmal verarbeiten.

Die Gruppe hatte sie herzlich aufgenommen. Sie wurden gebeten, sich mit Vornamen vorzustellen und zu sagen, warum sie hier waren. „Ich bin Peter und ich habe vergangene Nacht meine Frau verletzt.“ „Ich bin Ingrid und begleite Peter. Wir wohnen im selben Haus.“
Peter war darüber erstaunt, dass niemand ihn strafend oder entsetzt anblickte, als er bei der Vorstellung von der Verletzung seiner Frau sprach. Das gab ihm den Mut, nach dem Austausch der anderen Gruppenmitglieder ausführlicher zu berichten, wie es dazu gekommen war:
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Kims Mutter (3)

FeeenweinRikeDer Anblick, der sich Gitta bot, war erschreckend: Kim kauerte in der geöffneten Wohnungstür und blickte starr ins Wohnzimmer, wo ihr Vater schluchzend vor der Couch zusammengesunken war. „Ich wollte das nicht tun, es tut mir leid, ich wollte das nicht“, brach es aus ihm heraus. Kims Mutter wand sich auf dem Couchtisch und als sie sich umdrehte, erkannte Gitta die Glasscherben in ihrem Rücken. Blut quoll durch das helle Nachthemd. Gitta unterdrückte einen Schrei, hob Kim auf und brachte sie zu ihrer Wohnung. „Wir rufen jetzt zuerst für die Mama einen Doktor, ja? Dann darfst Du Dich bei mir auf der Couch einmummeln und ich schaue nach Deinem Papa.“ „Nicht weggehen.“ Das war alles, was Kim für die nächsten Stunden hervorbrachte.
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Kims Mutter (2)

FeeenweinRikeGitta konnte nicht mitreden. Sie hatte bereits einige Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt, doch jede Form von Sucht war ihr unbekannt. Sie wusste nur, dass Kim Hilfe brauchte, koste es, was es wolle. Kim durfte nicht noch einmal diese nächtliche Szene miterleben, die ihrer Kinderseele einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügte.
Doch womit sollte sie beginnen? „Wenn sie nicht von allein damit aufhören möchte, haben alle anderen keine Chance. Das ist traurig, aber das ist so.“ Frau Schneiders Worte hallten in ihr nach. Nein, es hätte sicher keinen Zweck, mit Kims Mutter zu reden. Kim selbst wollte sie auch nicht damit belasten. Es war für das Kind schon schwierig genug.
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Kims Mutter (1)

FeeenweinRikeDas polternde Geräusch aus der Wohnung über ihr ließ Gitta aus dem Schlaf hochschrecken. Schreie waren zu hören, in unbändiger Wut ausgestoßene Wortfetzen. Sie stritten sich wieder. „Kim!“ Gitta stand auf und öffnete ihre Wohnungstür, doch Kim war nicht da. Gitta hoffte inständig, dass sie kommen würde und nicht wieder mit angstverzerrtem Gesicht und tränenüberströmt allein in ihrem Bett säße, die streitenden Eltern nebenan im Wohnzimmer.

‚Komm zu mir, Kim!’ Es war nur ein kurzer Weg vom Kinderzimmer zur Wohnungstür, doch er führte am Wohnzimmer vorbei und wenn ihre Eltern sie entdeckten, würde alles noch viel schlimmer. In den letzten Monaten hatte es Kim ein paar Mal geschafft, sich hinauszuschleichen und bei Gitta Schutz zu suchen. Doch heute kam sie nicht. Die Schreie wurden noch lauter. Gleich würde Frau Schneider die Polizei anrufen, wie jedes Mal. Die Beamten würden um Ruhe bitten und wieder abrücken. Mit etwas Glück bliebe es dabei. Doch es hatte auch schon Nächte gegeben, in denen sich dieses Szenario mehrfach wiederholte, bis die Beamten Kims Mutter mitnahmen und sie erst am nächsten Morgen zurückkehrte.
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Das schönste Geschenk

WunderkerzenSie stand kurz hinter dem Eingang des Konsumtempels, gut sichtbar für die hinein- und hinaushastenden Menschen und doch von diesen unbemerkt, die mit Scheuklappenblick nur darauf aus waren, noch rechtzeitig Geschenke für das Weihnachtsfest zu besorgen. Sie ertrug die immerwährende Wiederholung der musikalischen Beschallung, das Blinken der Beleuchtung am künstlichen Weihnachtsbaum und die Kälte, die jedes Öffnen der Tür als frostigen Gruß zu ihr trug.
Seit Tagen schon wartete sie darauf, ihr Geschenk abgeben zu können. Doch wer auch immer an ihr vorbei ging, verweigerte die Annahme.
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Advent in Mwanza

Regina war gerade von der Schule nach Hause gekommen und stand nun im Feld, um den dürren Boden zu lockern.
Der Regen ließ schon seit Wochen auf sich warten und sie wusste, dass die Ernte nicht gut ausfallen würde. Zu trocken war der Boden, zu klein die Fruchtstände des Getreides, zu winzig die Körner, die sie bereits fühlen konnte. Mit etwas Glück würde es gerade reichen, um die Familie bis zur nächsten Ernte zu ernähren. Doch keinesfalls würden sie einen Teil der Ernte verkaufen können, wie schon im letzten Jahr nicht und auch nicht im Jahr davor.

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Mein Bild von Dir

Ich hab mein Bild von Dir geliebt
Und nun erkennen müssen
Dass der, der Du in Wahrheit bist
Nicht liebenswürdig ist für mich.

Ich hab mein Bild von Dir geliebt
Hab immer das entschuldigt
Was andere schon vor langer Zeit
Als unsozial empfunden.
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