Neulich in Köln-Kalk

Ich hatte letztens eine Lesung in Köln-Kalk. An sich nichts Ungewöhnliches, selbst wenn man den Stadtteil nicht unbedingt als Kulturmekka bezeichnen kann. Aber vielleicht ändert sich das ja bald, denn unsere wunderbare Kollegin Bettina Lohaus hat dort ein Offenes Atelier aufgezogen. Eben dort sollte auch auf Bettinas Einladung hin die Lesung stattfinden.

Nun, ich war etwas zu früh in Köln und schlenderte mit meinem Kumpel Dietmar durch Kalk. Viele Leerstände, aber das nur nebenbei.
Ich überquerte eine Seitenstraße und kriegte plötzlich Ärger. Ein Autofahrer – Mitte 30, würde ich schätzen – sah mich, und das frühzeitig in etwa 50 Metern Entfernung, gab Gas und heizte auf mich zu, um mich zu erschrecken (was ihm nicht gelang).
Während er auf mich zukesselte, bölkte der Arsch zweimal fröhlich: „Der Typ ist so doof, wie er aussieht“. Ich zeigte ihm ebenso fröhlich den Stinkefinger und rief ihm ein „Blödes Arschloch!“ zu.
Es kam, wie es kommen musste. Zwei hohle Herren der Schöpfung boten einander Prügel an.

(c) Marianne Labisch

Der Blödsack tat so, als würde er aussteigen, blieb dann aber auf dem Fahrersitz. Ich hingegen wollte nicht wieder über die Straße, die sich fix mit Pkws füllte und staute.
Also belauerten wir einander und bedachten uns mit auffordernden Gesten. Komm doch!!

Das Ganze zog sich etwa drei, vier Minuten hin, ich reichte Dietmar vorsorglich meinen Rucksack und meine Brille. Meinem Begleiter standen die Haare zu Berge, was aber bei seiner Albert-Einstein-Frisur irgendwie immer der Fall ist.

Meiner Plünnen entledigt, war ich eigentlich bereit für die Klopperei. Ich wollte mich gerade mit hochgekrempelten Ärmeln in Bewegung setzen, als mir mehrere Gedanken durch den Kopf gingen:

– Ich bin in einer fremden Stadt. Kommen die Bullen, kassieren sie mich ein. Den Auftritt in einer Stunde schaffe ich dann womöglich nicht, wenn ich erst zum Revier muss. Heißt: Kein Auftritt, keine Einnahmen in Form von Buchverkauf und Kollekte, kein Applaus.
– Zudem würde ich Bettinas Ablaufplanung total über den Haufen werfen. Da ich selbst Organisator von Veranstaltungen bin, weiß ich wie viel Stress das bedeutet. Das kann ich ihr nicht antun.
– Und drittens: Ich verdresche das Arschloch, fang mir aber auch selbst was ein. Zwar komme ich rechtzeitig zur Lesung, aber die Pics, die dort gemacht werden, zeigen mich derangiert und blutbesudelt. Möglicherweise landen solche Fotos dann noch in die Presse. Nee, besser nicht!

Ich ließ mir also von Dietmar meine Brille und meinen Rucksack reichen und zog gemessenen Schrittes von dannen. Natürlich bedachte ich den Autofahrerblödian noch mit einer möglichst verächtlichen Handbewegung. Aber ob die ihm emotional zugesetzt hat … Leider vergaß ich in der Aufregung, mir demonstrativ die Autonummer zu notieren. Das hätte meinem neuesten Feind bestimmt eher die Nachtruhe geraubt. Ärgerlich.

Warum ich das erzähle? Weil es mich beschäftigt. Ich weiß, ich habe mich richtig entschieden und verhalten – allein schon wegen Bettina. Aber das Rationale ist nur ein Aspekt. Wer mich kennt, der weiß, dass ich keine Auseinandersetzung scheue, und bei meiner Statur erst recht keinen Handgreiflichkeiten.

Hier habe ich aber zum ersten Mal gegen meine Natur „besonnen“ reagiert. Ich habe mich dabei erheblich vom schnöden Mammon leiten lassen, wenn ich ehrlich bin, und das verschafft mir kein gutes Bauchgefühl. Der Typ hätte echt Senge verdient. Irgendwie komme ich mir wegen meines Rückziehers fast feige vor, auf jeden Fall unangenehm FDPig.
Ich glaube, ich werde alt.
Was wohl Obelix und Bud Spencer zu der Sache sagen würden? Ich glaube, ich käme nicht gut in ihren Kommentaren weg.

  • Na was wohl?

    Die spinnen die Kalker! 🙂

  • Herrlich, dieser krasse Gegensatz zwischen dem Interlektuellen auf dem Weg zu seiner Lesung und dem proletarischen Raufbold, dem es in den Fäusten juckt! Beides ist in dir Harry! Meinetwegen verprügel die Schurken in deinen Geschichten, aber lass im wirklichen Leben Frieden walten! Ich glaube, der arme Idiot war sehr froh, dass er sich nicht mit dir einlassen musste…
    Sehr schöner Nachbericht für eine Lesung!

  • Äh, Harry? So kenne ich dich ja gar nicht. Dass hinter deiner Literatenfassade ein Raufbold steckt, hattest du mir bisher verschwiegen. Was halte ich nun davon? Mh.
    Jedenfalls hast du es gut beschrieben 😀

  • Nun ja, offenbar ist es mit dem Raufbold nicht mehr so weit her. Der Fluch der Prioritäten … man wird zaghaft mit den Jahren.

  • Oder geldgieriger (*schäm*). 😉

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